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Nach dem Referendum
ifo-Chef über die Kosten des Brexit

Die Kosten eines Brexit liessen sich schwer beziffern, sagte Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts im DLF. Es werde aber einen Konjunkturdämpfer in der EU geben. Auch Deutschland ist seiner Meinung nach betroffen. Der Aufschwung werde so nicht weitergehen. Europa werde zudem an Verhandlungsmacht einbüßen.

Clemens Fuest im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
    Die große Anzeigetafel zeigt im Handelssaal der Börse in Frankfurt am Main den bis dahin erreichten Kursverlauf, während ein Händler davor auf seinem Platz sitzt.
    Der Deutsche Aktienindex ist deutlich unter die Marke von 10.000 Punkten gefallen. (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Jessica Sturmberg: Jetzt schauen wir darauf, was wird uns dieser Brexit aller Voraussicht nach kosten? Schauen wir zunächst auf die EU, ein großer Beitragszahler fällt weg, das Verhältnis zu diesem wichtigen Handelspartner ist für längere Zeit unklar, und die Verhandlungsposition zu Dritten in der Welt wird schwächer, wenn wir das alles zusammen nehmen, Professor Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts, was kostet dieser Brexit?
    ZEW-Präsident Clemens Fuest während der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner"
    ZEW-Präsident Clemens Fuest während der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Clemens Fuest: Das lässt sich schwer beziffern. Aber man kann sagen, dass die Kosten in verschiedenen Formen auftreten. Erst mal haben wir die große Unsicherheit. Das wird einen Konjunkturdämpfer geben. Der trifft natürlich vor allem Großbritannien, aber dann in zweiter Linie auch die EU, die sich ja noch in einer fragilen Erholungsphase befindet nach der Verschuldungskrise. Vor allem Südeuropa kann das eigentlich überhaupt nicht gebrauchen.
    Dann kommt die zweite Phase. Wenn mal klar ist, wie die Handelsbeziehungen sind, muss man davon ausgehen, dass sie nicht mehr so gut sein werden wie unter der EU-Mitgliedschaft von Großbritannien. Das heißt, manche Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell überdenken, es wird vermutlich weniger exportiert nach Großbritannien. Großbritannien ist ja für Deutschland der wichtigste Handelspartner und überhaupt für alle EU-Staaten ein wichtiger Partner. Da wird weniger Handel stattfinden, das ist der zweite Kostenfaktor.
    "Die EU hat weniger Gewicht nach außen"
    Und der dritte Kostenfaktor ist der politische, wie Sie sagen. Die EU hat weniger Gewicht nach außen. Die EU, weil sie kleiner geworden ist, wird weniger interessant als Investitionsstandort, natürlich auch Großbritannien. Außerdem wird sich die Politik der EU selbst ändern. Es fällt ein Nettozahler weg, deshalb wird man sich den EU-Haushalt anschauen müssen und fragen, ob der noch so groß sein kann, wie er bisher ist, oder um wieviel er schrumpfen muss. Dann stellt sich aber auch die Frage, wie freihändlerisch und wie liberal wird die EU noch sein ohne die Briten. Wir haben ja unterschiedliche Tendenzen in Europa, einige Staaten, die eher protektionistisch sind. Die deutschen Interessen sind natürlich die des Freihandels, weil wir stark vom Export leben. Wenn die EU sich von dieser Politik abwendet, dann wird das Deutschland jetzt über die direkten Beziehungen nach Großbritannien hinaus sicherlich Schaden zufügen.
    Sturmberg: Sie haben jetzt einige Stichworte genannt, auf die ich gerne noch einmal ein wenig genauer schauen würde. Zunächst einmal: Was bedeutet das konjunkturell? Sie haben es schon gesagt: Es kann sich negativ auf die europäische Konjunktur auswirken. Sie haben auch gerade heute den Ifo-Geschäftsklimaindex veröffentlicht. Der ist noch positiv, aber die Stimmen sind eingesammelt worden vor dieser Entscheidung natürlich. Müssten wir uns auch Sorgen um einen konjunkturellen Abschwung in Deutschland machen?
    Fuest: Das müssen wir. Das muss kein sehr großer Abschwung werden, das wird ein kleiner Dämpfer sein. Die Konjunktur ist ja sehr solide in Deutschland und befand sich eigentlich gerade auf dem Weg nach oben in Richtung Aufschwung. Jetzt wird es sicherlich einen Dämpfer geben. Das heißt, der Aufschwung wird nicht so weitergehen. Das hat damit zu tun, dass angesichts der Unsicherheit viele Unternehmen jetzt erst mal abwarten werden, bevor sie Projekte realisieren, bevor sie neue Leute einstellen, bevor sie Investitionsprojekte umsetzen. Das wird erst mal auf Eis gelegt bei allen Projekten, die was mit Großbritannien zu tun haben, oder zumindest wird man das erwägen, die auf Eis zu legen, zu verschieben, und dadurch sinkt einfach die Aktivität und es gibt einen Dämpfer. Es ist schwer, den zu beziffern, weil wir so etwas wie den Austritt eines großen Landes aus der EU ja noch nie hatten. Insofern ist es schwer, da ein Preisschild dranzusetzen. Aber dass es einen Dämpfer auch für uns gibt, ist wohl unvermeidlich.
    Sturmberg: Und wenn wir jetzt mal auf das Verhältnis zwischen der EU und seinem austretenden Mitglied Großbritannien werfen. Da werden sich die kommenden Verhandlungen bewegen zwischen zwei Polen: Einmal die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zu einem beiderseitigen Vorteil auf der einen Seite, auf der anderen darf sich so ein EU-Austritt natürlich auch nicht auszahlen, sonst kommen auch noch andere Staaten womöglich auf die Idee. Was wäre jetzt aus Ihrer Sicht die bestmögliche Beziehung zwischen der EU und Großbritannien?
    "Freier Handel, freier Warenverkehr, das sollte funktionieren"
    Fuest: Es ist sehr wichtig, dass wir jetzt mal das Ziel in den Vordergrund stellen, den Schaden zu minimieren. Und das bedeutet, die britische Wirtschaft nach Möglichkeiten im Binnenmarkt zu halten. Natürlich muss Großbritannien sich dann in den Bereichen, in denen das Land integriert ist, auch an die Regeln halten, die im europäischen Binnenmarkt gelten, aber ich glaube, da gibt es erhebliche Spielräume. Freier Handel, freier Warenverkehr, das sollte auf jeden Fall funktionieren.
    Im Bereich der Migration, der Freiheit des Personenverkehrs wird es dann möglicherweise schwierig. Da wird man sehen müssen, zu welchen Regelungen man kommt mit Großbritannien. Aber ich glaube, es wird schwierig, wenn wir jetzt sagen, nur um andere abzuschrecken müssen wir jetzt hier die Kosten in die Höhe treiben. Für solche Spielereien ist Großbritannien viel zu wichtig als Land. Da steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass man sich jetzt hinstellen könnte und sagen könnte, nein es geht jetzt darum, eventuelle Nachahmer abzuschrecken. Wer raus will aus Europa, der wird rausgehen. Das haben wir ja gerade in Großbritannien gesehen. Großbritannien ist ja gewarnt worden vor den Kosten, die das haben wird für das Land, und viele Leute haben dann offenbar gesagt, dann machen wir es jetzt erst recht. Die Vorstellung, man könnte andere Länder davon abhalten zu gehen, wenn sie gehen, wenn man jetzt Großbritannien wirtschaftlich schlechte Bedingungen gibt, das halte ich nicht für sinnvoll. Aus meiner Sicht muss es jetzt heißen, Schaden minimieren für beide Seiten, möglichst viel von der britischen Wirtschaft im Binnenmarkt halten, und dann kann man weitersehen.
    Sturmberg: Auf den Finanzmärkten war ja in den letzten Wochen schon sehr viel Unruhe wegen dieses drohenden Brexits. Nun ist er wahr geworden. Jetzt haben wir auf weitere lange Sicht unklare Verhältnisse, welches Verhältnis wir genau haben werden zwischen der EU und Großbritannien beziehungsweise auch dem Rest von Großbritannien. Es kann ja auch noch gut sein, dass sich Schottland und Nordirland lösen wollen. Was bedeutet jetzt diese Ungewissheit für die Wirtschaft?
    Fuest: Die Ungewissheit bedeutet, dass viele mit Ausgaben jetzt erst mal abwarten werden. Es werden sich Menschen Sorgen machen um ihre Arbeitsplätze. Das bedeutet dann, dass sie vielleicht die Anschaffung eines Autos oder sogar eines Hauses erst mal zurückstellen. All das wird die Konjunktur dämpfen. Das hat einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft und das trifft die europäische Wirtschaft, auch die britische in einem Moment, in dem doch die Erholung relativ fragil noch ist. Insofern kommt das zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.
    Sturmberg: Sehen Sie auch die Gefahr, dass jetzt Großbritannien zerfallen könnte?
    "Europa wird auf jeden Fall an Verhandlungsmacht einbüßen"
    Fuest: Man muss abwarten, was die Schotten jetzt tun. Es gibt da starke Kräfte, die sagen, wir wollen ein neues Austrittsreferendum. Man muss abwarten, ob das wirklich kommt. Aber die Diskussion wird jetzt wirklich losgehen. Ob das dann eintritt, das ist eine zweite Frage. Schottland erhält erhebliche Unterstützung aus Großbritannien und es ist die Frage, ob das Land darauf verzichten möchte. Aber man kann nicht ausschließen, dass es zu einem neuen Referendum kommt. Das würde dann die Unsicherheit noch mal verstärken.
    Sturmberg: Europa wurde ja bisher in der Welt als eher wachsende Einheit wahrgenommen. Jetzt kehrt sich das um, wenn einer der wichtigsten Staaten nicht mehr dabei sein wird. Was bedeutet das jetzt für die Handelsbeziehungen global betrachtet? Wir haben das vorhin schon kurz angesprochen. Wie viel büßt Europa an Verhandlungsmacht ein?
    Fuest: Europa wird auf jeden Fall an Verhandlungsmacht einbüßen. Das hat damit zu tun, dass man stark ist, wenn man einen großen Binnenmarkt zu bieten hat und wenn man viel Wirtschaftskraft auf die Waage bringt, und das nimmt jetzt ab. Wie sich das genau auswirkt, wird davon abhängen, ob man auch künftig mit Großbritannien zusammenarbeitet, etwa in Verhandlungen wie zum Beispiel bei TTIP. Das ist ja durchaus denkbar, dass man sagt, Großbritannien ist kein Mitgliedsstaat mehr, aber ist assoziiert mit der EU und tritt hier gemeinsam auf. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, auch da den Schaden zu minimieren. Aber es ist klar, dass die EU massiv geschwächt aus dieser Geschichte hervorgeht, und man muss jetzt wirklich genau überlegen, wie man weiter verfährt, damit der Schaden da nicht noch größer wird.
    Sturmberg: Was bedeutet das jetzt für die TTIP-Verhandlungen?
    Fuest: Bei den TTIP-Verhandlungen wird man möglichst schnell entscheiden müssen, ob man gemeinsam mit Großbritannien weiter verhandelt oder ob die EU da zunächst mal alleine einsteigt. Es wäre denkbar, dass man sich relativ schnell darauf einigt, dass man gemeinsam verhandelt, mit der Aussicht, dass Großbritannien vielleicht eine Art Assoziierungsstatus bekommt, und dann wird das die TTIP-Verhandlungen ein bisschen aufhalten. Es wird sie aber hoffentlich nicht komplett zum Stillstand bringen. Wenn das nicht funktioniert, dann kann es wirklich sein, dass man noch mal neu ansetzen muss. Nun ist es so, dass die Verhandlungen ja sowieso schon unter dem Eindruck der Präsidentenwahlen in den USA stehen und sich da einiges verzögern wird. Das macht es jetzt noch mal komplizierter.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.