Der Sprecher der EU-Kommission Margaritis Schinas erklärte in Brüssel, die türkischen Behörden seien aufgerufen, "mutmaßliche Unregelmäßigkeiten" zu untersuchen, die von den internationalen Beobachtern festgestellt worden seien. Die Wahlbeobachtermission von Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte scharfe Kritik an der Organisation der Abstimmung geäußert. Die Berichte über angebliche Unregelmäßigkeiten und der knappe Wahlausgang seien auf jeden Fall Grund, bei allen weiteren Schritten einen möglichst breiten nationalen Konsens anzustreben.
Mit Blick auf die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sagte der Sprecher: "Wir ermuntern die Türkei, wieder näher an die Europäische Union heranzurücken, anstatt sich noch weiter und schneller von uns zu distanzieren." In dem Referendum hatten nach dem vorläufigen Endergebnis 51,4 Prozent der Wähler für die Verfassungsreform und die damit verbundene Einführung eines Präsidialsystems gestimmt.
Yildirm kritisiert "Betrugsgerüchte"
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim wies die Betrugsvorwürfe zurück. Die Menschen hätten sich für einen Wechsel von einem parlamentarischen zu einem Präsidialsystem ausgesprochen, sagte er vor Abgeordneten der Regierungspartei AKP. Der Wille des Volkes sei an der Wahlurne frei zum Ausdruck gekommen. "Versuche, durch die Verbreitung von Betrugsgerüchten einen Schatten auf das Ergebnis der Abstimmung zu werfen, sind nutzlos und vergeblich."
Das Vorstandsmitglied der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), Bülent Güven, sieht in dem Wahlergebnis keine Beschneidung der türkischen Demokratie. Das neue Präsidialsystem stärke die Gewaltenteilung sogar noch, sagte Güven im Deutschlandfunk. So bekomme das Parlament etwa bei der Ernennung von Richtern künftig mehr Mitspracherecht.
Erdogan belebt Debatte über Todesstrafe
Eine erneute Diskussion gibt es nun auch über die Todesstrafe in der Türkei. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte nach der Wahl seine Bereitschaft bekräftigt, diese wieder einzuführen. Sollte das Parlament die entsprechende Verfassungsänderung mit der nötigen Zweidrittelmehrheit bestätigen, werde er das Gesetz unterzeichnen. "Aber wenn nicht, dann machen wir auch dafür ein Referendum." An einem solchen Referendum dürften sich nach türkischem Recht auch wieder wahlberechtigte Türken im Ausland beteiligen.
Der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu warnte davor. "Die Durchführung eines solchen Referendums ist eine rote Linie und kommt einem Ende der EU-Beitrittsgespräche gleich", sagte Mutlu. "Ein Referendum zur Einführung der Todesstrafe widerspricht unseren Werten diametral und darf in Deutschland nicht zugelassen werden." Der Europarat erklärte, dass die Türkei bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe aus der Organisation ausgeschlossen werde.
(fwa/tgs)