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Nach dem Spitzentreffen im Schloss Bellevue
"Es muss Ziel sein, Neuwahlen zu vermeiden"

Der Politologe Wichard Woyke sieht sowohl in der Union als auch in der SPD Mehrheiten für die Neuauflage einer Großen Koalition. Eine Minderheitsregierung hält er für problematisch. Die hätte noch geringeren Legitimationsgrad als eine Koalition von Sozialdemokraten und Union, sagte er im Dlf. Auch Neuwahlen gelte es zu vermeiden.

Wichard Woyke im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    HANDOUT - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) begrüßt am 30.11.2017 den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l) und die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Gespräch in Schloss Bellevue in Berlin. Steinmeier beendete mit diesem Treffen eine Serie von Gesprächen, die er unmittelbar nach dem Scheitern der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen begonnen hatte, um Neuwahlen zu vermeiden. (ACHTUNG: Verwendung nur zu redaktionellen Zwecken im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bei vollständiger Quellenangabe "Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa" - Kein Verkauf) Foto: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa | Verwendung weltweit
    Spitzentreffen bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue (Bundesregierung / Guido Bergmann / dpa)
    "Stefan Heinlein:!! Politikwissenschaftler Wichard Woyke aus Münster. Guten Abend, Herr Woyke.
    Wichard Woyke: Guten Abend, Herr Heinlein.
    Heinlein: Ihre Einschätzung, Herr Woyke. Wie wichtig war der heutige Abend auf dem Weg zu einer neuen Bundesregierung?
    Woyke: Ich denke, der war schon sehr wichtig, und es ist ja in dem Gespräch mit Ihrem Kollegen Detjen ganz klar geworden, dass der Bundespräsident die wichtige Funktion hat, zu einer Regierungsbildung beizutragen, und es muss sein Ziel sein, mit aller Macht Neuwahlen zu vermeiden, denn das ist nicht sehr gut für die Bundesrepublik Deutschland, die ja dadurch charakterisiert ist, dass sie in ihren knapp 70 Jahren Existenz immer dadurch gekennzeichnet ist, dass sie stabile Regierungen hat und dass nach jeder Wahl eine Regierung gebildet worden ist in relativ kurzer Zeit.
    Heinlein: Über die Themen Neuwahlen beziehungsweise Minderheitsregierung, Herr Woyke, müssen wir gleich noch reden. Vielleicht noch einmal zu dem Thema heute: War der Bundespräsident nach dieser Glyphosat-Geschichte heute erst mal als Therapeut, als Streitschlichter gefordert?
    Woyke: Nein, ich denke nicht. Das war eigentlich vorher schon klar, dass das eine bayerische Besonderheit war, die auch nicht die Unterstützung von der Bundeskanzlerin gefunden hatte. Und wenn Sie den Empörungscharakter sehen oder messen der verschiedenen Sozialdemokraten zwischen erster, zweiter und dritter Reihe, dann werden Sie feststellen, dass der Empörungscharakter besonders groß in der dritten Reihe war.
    "Die Haltung der FDP ist in großen Teilen nachvollziehbar"
    Heinlein: Wie ausgeprägt ist denn nach Ihrem Eindruck der Wille zur Macht, der Wille, gemeinsam noch einmal zu regieren, auf beiden Seiten?
    Woyke: Ich denke, es ist schon so, dass Sie sowohl in der Union - in der Union wesentlich stärker -, aber auch in der SPD doch eine Mehrheit haben, die durchaus für die Kooperation beider Parteien ist in einer neuen Koalition, und dass es natürlich gerade auch innerhalb der SPD einen Teil gibt, der vielleicht größer ist als 2013, der diese Koalition zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten nicht will. Aber ich denke, wir sind auf einem Weg in Gespräche, erst mal in Sondierungsgespräche und dann auch in Koalitionsgespräche über eine neue Koalition, die immer noch Große genannt wird, obwohl mit 53 Prozent der Mandate ist das für mich eine normale Koalition.
    Heinlein: Der Eindruck, den viele Beobachter haben, aber auch viele Sozialdemokraten, ist richtig, dass das Risiko einer Neuauflage der Großen Koalition vor allem auf Seiten der SPD, der Sozialdemokraten liegt?
    Woyke: Ja, natürlich ist gerade bei den Sozialdemokraten diese Haltung recht groß, obwohl die Frage wäre, was in einer Neuwahl die Sozialdemokraten für ein Ergebnis erzielen würden und würde das vielleicht nicht noch schlechter sein als das, was im September erreicht worden ist. Auf der anderen Seite sind die Sozialdemokraten in einer noch besseren Position als 2013, weil die Kanzlerin Merkel nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen unbedingt darauf hinarbeiten muss, dass sie mit dem Sozialdemokraten eine stabile Regierung bringt, denn Frau Merkel hat ja eindeutig erklärt, dass eine Minderheitenregierung für sie zwar nicht mehr in Frage kommt, davon ist sie abgerückt, aber doch sie als den schlechteren Weg ansieht.
    Heinlein: Ist das aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Politikwissenschaftlers eigentlich ein bedenkliches Zeichen für den Zustand unserer Demokratie, wenn außer der Union und vielleicht mit Abstrichen die Grünen die anderen Parteien nicht oder nur sehr zögerlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und nach der Macht zu greifen?
    Woyke: Nein, ich würde das nicht unbedingt als ein bedenkliches Zeichen sehen und auch nicht als eine Staatskrise ansehen, wie sie manchmal bezeichnet worden ist. Die Haltung der FDP ist in großen Teilen nachvollziehbar. Die Partei ist ja aus dem Nichts, wenn Sie so wollen, aus der außerparlamentarischen Opposition in den Bundestag zurückgekehrt und hätte dann in einer Regierung mit Unions-Parteien und Grünen auch sehr viele Probleme gehabt, ihre eigene Position darzustellen, so dass das Interesse an einer Regierung bei der FDP doch sehr begrenzt gewesen ist. Und ich denke schon, dass es auch in der SPD genügend Unterstützer für solch eine Koalition gibt, denn der Spruch des früheren Parteivorsitzenden Müntefering, Opposition ist Mist, hat sich ja durchaus auch in der politischen Realität bewahrheitet.
    "Minderheitenregierung hat geringeren Legitimationsgrat"
    Heinlein: Was wäre eigentlich, Herr Woyke, so schlimm an einer Minderheitsregierung? Wir sind eine stabile Demokratie. Wäre das jetzt nicht einen Versuch wert?
    Woyke: Demokratietheoretisch würde ich es als nicht problematisch ansehen, denn wir wissen, dass der größte Teil der Gesetze, über 90 Prozent, tatsächlich mehrheitlich im Konsens durch das Parlament kommt, und in der Öffentlichkeit und auch in den Medien werden ja nur immer die sehr umstrittenen Gesetze vermarktet, wenn Sie so wollen. Aber das Problem einer Minderheitenregierung wäre, dass sie doch einen geringeren Legitimationsgrat hätte als eine Regierung aus einer Koalition von Sozialdemokraten und Christdemokraten. Und gerade angesichts der internationalen Herausforderungen hielte ich das für etwas problematisch, denn der französische Präsident Macron hat ja mit seiner Rede in der Sorbonne sehr deutlich gemacht, dass er und Frankreich Fortschritte in der europäischen Integration wollen und das deutsch-französische Tandem wieder beleben will. Von daher wäre hier eine stabile Regierung wesentlich wichtiger.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Wichard Woyke aus Münster. Vielen Dank, Herr Woyke, dass Sie uns noch so spät Rede und Antwort gestanden haben.
    Woyke: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.