Noch immer halten die Debatten darüber an, was der Sturm von Trump-Unterstützern auf das Kapitol bedeutet hat. Ein Putschversuch, wie manche Kommentatoren noch in der Nacht mutmaßten, war es wohl eher nicht. Dafür war er zu unkoordiniert, und auch das Militär war nicht auf der Seite des Mobs. Terrorismus trifft es trotz der gefundenen Rohrbomben auch eher nicht. Der Sturm aufs Kapitol war wohl eher ein Akt der Selbstermächtigung der Trumpisten mit dem Ziel zu zeigen, dass man das wichtigste Symbol der amerikanischen Demokratie diskreditieren, quasi entweihen kann.
"Ein Clash, der einen Nachhall haben wird"
Das Kapitol sei für die Amerikaner eine heilige Stätte, so der Historiker Achatz von Müller. "Und in dem Sinne sind die symbolischen, sagen wir mal Gewalten, mit denen wir es hier zu tun haben - auf der einen Seite dieser wahnsinnige Mob und diese wüsten Typen, mit denen wir konfrontiert sind, auf der anderen Seite diese heiligen Gebäude, auch das Verwüsten dieses Gebäudes im Inneren - sind ein Clash, der wirklich für die amerikanische Kultur Nachhall haben wird. Ich weiß nicht, ob so gewaltig wie 9/11, aber doch von ähnlicher Statur", sagte von Müller im Dlf.
Die Idee, einen Ort zu entweihen, gebe es auch bei anderen Populisten in Europa. Der AfD-Vorsitzende habe zwar erklärt, der Versuch einer Handvoll von Dränglern, Fotomachern und Querulanten, in den Bundestag einzudringen, sei nicht zu vergleichen. Doch es sei unerheblich, ob nur wenige oder Tausende wie in Washington versuchten, einen Ort in Frage zu stellen, "seine Sakrosanktheit gleichsam zu problematisieren": Das Konzept sei das Gleiche, so der Historiker.
In Erinnerung dürfte auch das Bild des Mannes bleiben, der in das Büro von Nancy Pelosi eingedrungen war, die Füße auf dem Tisch: "Das war ein politisch gewolltes Bild. Er ist ja auch eine bekannte Person, jemand, der in das rechte Spektrum der Neonationalen Bewegung in den USA gehört. Der wusste genau, was er tut, nämlich diesen Ort zu delegitimieren."
Entsprechung zu Mussolinis Marsch auf Rom
Den Aufruf Donald Trumps schätzt Achatz von Müller nicht als einen versuchten Staatsstreich ein – dazu sei der zu chaotisch. Doch Trump sei ein Spieler und habe irgendwie versucht, tatsächlich etwas zu erreichen, nämlich die Delegitimierung der Wahl. Ihm sei als Entsprechung sofort Mussolinis Marsch auf Rom in den Sinn gekommen: das Ziel Kapitol, ein Spieler wie Trump, die Banden, die er organisierte und auf die Hauptstadt losließ - das habe doch große Ähnlichkeit gehabt. "Und ich denke, was immer in den Köpfen dieser Leute wirklich vorging: Trump als Spieler war Mussolini als Spieler in diesem Augenblick sehr, sehr ähnlich. Und wir erleben ja überhaupt in der trump‘schen Variante der republikanischen Partei eine Art von Gefolgschaftsorientierung, wie sie eigentlich recht symptomatisch für europäische faschistische Bewegung gewesen ist", so von Müller.
Ausbruch als Augenöffnung für die Amerikaner
Doch auf Donald Trump alleine sei die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nicht zurückzuführen – er habe sie nur vergrößert und benutzt. Dieser Ausbruch nun könne dabei helfen, den Amerikanern vielleicht doch vor Augen zu führen, was eigentlich mit ihnen los sei und möglicherweise auch diejenigen, die in Hass nur noch miteinander agitierten, vielleicht doch wieder zusammenzubringen.
Der neue Präsident Biden habe viel zu leisten, doch er sei "ein Versöhner, eine ganz und gar vermittelnde Person". Dennoch werde es ein schwerer Prozess und alle, auch beide großen Parteien, müssten von Anfang an den Versuch machen, die Spaltung zu überwinden.
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