Am Telefon ist der deutsch-ägyptische Politologe, Journalist und Dokumentarfilmer Asiem El Difraoui, seit Jahren auch und gerade mit dem Phänomen des terroristischen Dschihadismus beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Difraoui!
Asiem El Difraoui: Schönen guten Tag!
Barenberg: Ist für Sie klar, dass der Anschlag auf das Konto eben dieses ägyptischen Ablegers der Terrormiliz IS geht?
Difraoui: Also ich, wie viele andere, die Ägypten näher betrachten, halten das für wahrscheinlich, aber man kann sich da im Moment natürlich noch nicht hundertprozentig sicher sein. Es gibt mittlerweile in Ägypten zahlreiche, also mehrere dschihadistischen Gruppen im Norden Sinais, aber zum Beispiel auch in der westlichen Wüste, wo Ende Oktober durch eine Gruppe, die wohl aus Libyen ihre Waffen bezogen hat und zum Teil wohl aus Libyen stammte, ein Dutzend Militäroffiziere und Soldaten getötet worden sind. Da muss man noch abwarten, aber dieser Anschlag sieht natürlich sehr nach Schema …, also nach der Vorgehensweise dieses Islamischen Staates und dessen ägyptischen Ableger aus. Das heißt, zunächst werden Sprengsätze detoniert oder ein Selbstmordattentäter sprengt sich in die Luft, und wenn dann die Krankenwagen kommen und die Sicherheitskräfte, wird mit Schüssen, mit Waffen noch weiter angegriffen. Also es sind Anschläge dieser Form, die man vor allen Dingen schon viel aus dem Irak und aus Syrien kennt.
"Kein Zufall, dass Dschihadisten im Norden so stark sind"
Barenberg: Und wir haben auch in den vergangenen Monaten und Jahren inzwischen öfter über derartige Anschläge, gerade auf dem Sinai, berichten müssen. Kann man unter dem Strich sagen, dass der IS und andere extremistische dschihadistische Gruppen im Irak und in Syrien beispielsweise zurückgeschlagen worden sind und umso mehr jetzt in Ägypten auf dem Vormarsch sind?
Difraoui: Ja, das ist eine Hypothese, die zutreffen kann. Es ist eine große Angst der Ägypter, dass dadurch, dass der IS im Irak und in Syrien militärisch große Niederlagen hinnehmen musste, dass Kämpfer probieren, natürlich in andere Länder zu gehen, vielleicht auch in ihre Heimatländer zurückzukehren, und das betrifft natürlich die gesamte arabische Welt, aber auch Europa. Zum Sinai ist zu sagen, dass dort quasi ein Krieg schon seit mehreren Jahren tobt. Wie der ägyptische Präsident Sisi gestern noch mal gesagt hat, er würde ganz massiv und hart mit aller Waffengewalt vorgehen, aber das wird dem Dschihadismus in Ägypten kein Ende machen. Man kann diese Dschihadisten nur besiegen, wenn man auch wirklich sozioökonomische Reformen macht, wenn man zum Dialog bereit ist. Es ist auch kein Zufall, dass die Dschihadisten im Norden des Sinais so stark sind. Dort leben Beduinenstämme, Beduinen, die sich selber als Ägypter zweiter Klasse behandelt fühlen, die sich selber extrem diskriminiert fühlen, die sozioökonomisch marginalisiert sind, und anstatt denen zu helfen, das heißt, ihnen wirtschaftlich zu helfen, sie an der Macht teilnehmen zu lassen, wird halt eine erbitterte Kampagne geführt, und das sorgt dafür - also auch gerade zum Beispiel durch diese Luftschläge, die gestern Abend wieder gestartet worden sind - , dass natürlich auch viele Zivilisten sterben, und in der Stammeskultur sorgt das natürlich dafür, dass Familienmitglieder, Stammesmitglieder sich dann dem IS zuwenden.
Al-Sisi "setzt auf einen Sicherheitsapparat"
Barenberg: Wenn Sie das so beschreiben, Herr Difraoui, frage ich mich natürlich unmittelbar, wenn das so ist, warum kennt Präsident as-Sisi kein anderes Rezept als die Repression? Er hat auf dem Sinai massiv die Sicherheitskräfte aufgerüstet und verspricht Jahr um Jahr, dass er mit militärischer Gewalt der Bedrohung Herr werden will.
Difraoui: Das Versprechen hat ja bisher nichts genutzt, das heißt, Ägypten hat seit der Machtübernahme Sisis mehr Terror gesehen als jemals zuvor. Da stellt sich die Frage, denkt ein Militär vielleicht nur in militärischen Dimensionen, hat er Angst, dass seine Macht so labil ist, dass er sich eben nicht traut, wirklich einen politischen Dialog zu starten, und dabei geht es nicht nur um einen politischen Dialog zum Beispiel mit den verschiedenen islamistischen Gruppen - wenn ich sage Islamisten, dann meine ich den politischen Islam, die zum Teil friedlich sind, die an Wahlen interessiert wären, an freien Wahlen. Er führt aber auch keinen Dialog mehr mit den weltlichen Kräften, mit diesen jungen Revolutionären, den jungen Aktivisten, die überhaupt die ganzen Umbrüche in Ägypten ausgelöst haben. Er setzt auf einen Sicherheitsapparat, immer mehr weltliche Aktivisten werden auch einfach ins Gefängnis geworfen, dazu natürlich tausende und abertausende Mitglieder der Muslimbrüderschaft. Amnesty International schlägt immer lauter die Alarmglocken, aber gerade zum Beispiel in unseren europäischen Demokratien wird Sisi als Bollwerk gegen den Terror gesehen, wenn sich der Terror in Ägypten weiter ausbreitet und wenn das bevölkerungsreichste arabische Land komplett ins Chaos zu stürzen droht.
"Zunächst werden Ägypter sich hinter den Regierungschef stellen"
Barenberg: Nun war as-Sisi ja gerade mit dem Versprechen angetreten gegenüber seinen eigenen Bevölkerung, das Land wieder sicherer zu machen und zukunftsfähig. Wenn er bislang damit so gescheitert ist und geradezu das Gegenteil hervorgerufen hat, wie Sie es uns schildern, wie sehr gerät er denn unter Druck, sollte der Terror noch weiter anhalten auf dem Sinai?
Difraoui: Das ist schwer zu sagen. Zunächst mal ist es natürlich so, dass die Ägypter entsetzt sind über diesen Anschlag, zusammenrücken werden, dass diesmal das Ziel nicht, wie es vorher so traurig auch war, die christliche Minderheit war, sondern die muslimische Mehrheit. Man kann schon vermuten, dass die Ägypter zunächst mal sich hinter den Regierungschef stellen, aber dauerhaft stellen sich natürlich die Ägypter die Frage, wie geht es weiter. Das Land macht ganz schwierige ökonomische Reformen, Subventionen werden zurückgefahren. Es kann auch sein, dass das Land wirklich zum Rodeln kommt, wenn Sisi nicht auf der wirtschaftlichen Front und auf der sicherheitstechnischen Front Fortschritte macht und es den Ägyptern nicht halt auch bald besser geht und die verstärkt in politische Prozesse eingebunden werden. Die Zukunft Ägyptens ist alles andere als gewiss.
Barenberg: Asiem El Difraoui heute Mittag hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
Difraoui: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.