Schon von weitem sticht die Präsenz der Sicherheitskräfte in ihren neongelben Westen ins Auge: In und vor dem Piccadilly Bahnhof von Manchester stehen sie. Teils mit Maschinengewehr im Anschlag, freundliches, aber alles andere als einladendes Lächeln. Auskunft gibt es zum Weg, aber nicht zu ihrer Arbeit. Hier um die Ecke wurde vorgestern eine Wohnung gestürmt. Wie ein Damoklesschwert schwebt der Terror über der Stadt.
"Es ist wenig los auf den Straßen. Normalerweise ist es hier brechend voll. Und überall die Polizeipräsenz."
Es bliebe ihnen wohl nichts übrig als sich daran zu gewöhnen. Die beiden älteren Damen sind zum Theaterbesuch nach Manchester angereist. Normalität in Zeiten des Terrors? Noch hält die Stadt den Atem an, auch wenn am Wochenende mitten im Zentrum Sportwettkämpfe ausgetragen werden sollen.
Alle stehen zusammen – das ist der Lebens- oder Überlebensgeist von Manchester. Und der ist legendär. Schon einmal sind die Mancunians, wie die Bewohner genannt werden, auf die Probe gestellt worden: 1996 gab es 200 Verletzte nach einer IRA Bombe. Die IRA hatte den Anschlag angekündigt. Dieses Mal war die Attacke heimtückischer. Ein Sohn der Stadt, der 22-jährige Salman Abedi, Kind libyscher Einwanderer, hat sich nach dem Ariana Grande Konzert in der Manchester Arena in die Luft gesprengt und 22 Menschen in den Tod gerissen.
"Wir haben die linke Treppe genommen, um rauszugehen – wären wir rechts raus, dann hätte es uns getroffen. Wir hatten Glück und sind so schnell aus der Arena wie es ging",
erzählt mir die 18-jährige Sarah, noch immer sichtlich betroffen.
"Die Erinnerung an die schreienden Mädchen, die zum Ausgang strömen, kommt immer wieder hoch und wird wohl nie verschwinden."
Trost spenden und zuhören
Fünf große rote Rosen hält Sarah in der Hand, ihr Freund hat gelbe Blumen ausgesucht: Sie legen sie in das Meer aus Blumen, Kerzen, Ballons, Plüschtieren und Karten am St. Ann’s Platz im Zentrum der Stadt an den Fuß der Richard Cobden Statue. Hier strömen sie her: Die Schaulustigen, die zahlreichen Kamerateams aus aller Welt und natürlich diejenigen, die Anteil nehmen.
Trost spenden und einfach zuhören sei seine Aufgabe hier beteuert Pastor Roger Abbot. Der anglikanische Geistliche und seine Helfer arbeiten eng mit der Polizei und der Stadtverwaltung zusammen.
"Wir sind eins, gleich welchen Glaubens, welcher Kultur oder Herkunft: Wir sind Manchester und werden es bleiben."
Nach der im ganzen Land eingehaltenen Schweigeminute trifft Reverend Charles Nevin den richtigen Ton. Vor allem im Süden Manchesters leben viele Einwandererkinder, viele Muslime.
"Ehrlich gesagt habe ich als pakistanischer Moslem einige schlechte Erfahrungen gemacht. Die meisten Leute verstehen allerdings, dass das nicht der wahre Islam ist und nur ein ganz kleiner Teil der muslimischen Bevölkerung derart abscheuliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht."
Auch Bankmanager George baut auf den Lebensgeist von Manchester. Muslimische Taxifahrer hatten spontan Fahrgäste gratis befördert. Essen und Trinken wurde verschenkt, alle packten an, vor allem wo es am nötigsten war. Sie sei förmlich von Hilfsangeboten überschwemmt worden, berichtet die leitende Krankenschwester Joe Brien aus einer der Notaufnahmekliniken der Umgebung.
Sollen wir reinkommen, hat mein Team, haben andere Krankenschwestern, Ärzte, Spezialisten gefragt, bereit zu helfen."
Für sie alle und vor allem für die zahlreichen Verletzten war der Besuch der Queen gestern eine besondere Ehre:
Ob es ein Schock gewesen sei, wollte die Monarchin wissen….
Mit Applaus wurde die Queen beim Verlassen der Klinik bedacht. Ihre Anteilnahme ist Balsam auf die Wunden, auch wenn Mancunians zäh sind, wie Jacqueline glaubt:
"Wir haben den Computer, Fußball, Seifenopern, kurzum wir haben so gut wie alles erfunden. Das ist unser Lebensgeist."
In der Trauer geeint - auch beim Fußball
Neuerfinden müssten sich die Bewohner Manchesters also nicht, ihre teils neu gefundene Einheit jedoch bewahren. Im Antlitz des Terrors scheint das selbst beim Fußball möglich:
"Fußball ist Fußball: Terrorismus ist Terrorismus."
Meint Fanartikelverkäufer Mark: Und in der Trauer geeint freuten sich auch die Fans von Manchester City über den Europaliga-Sieg des Lokalrivalen Manchester United. Beide Vereine wollen zusammen eine Million Pfund für den Solidaritätsfonds des Roten Kreuzes spenden, der damit auf über drei Millionen anwächst. Im Schmerz steht Manchester vereint, zeigt sich unerschütterlich: Das ist die Botschaft. Diese Mutter wollte sie an ihre Kinder weitergeben. Deshalb ist sie zum St. Anns Platz gekommen:
"Wir sind nicht nur zum Trauern hier, sondern auch um das zu zelebrieren, was wir in unseren Herzen und in unserem Land spüren."
Und das sind Solidarität und Mitgefühl.