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Nach dem Tod eines Täuflings
Orthodoxe Kirche hält am Untertauchen fest

In Rumänien ist ein Kind nach dem orthodoxen Taufritual gestorben – mutmaßlich, weil es Wasser in die Lunge bekommen hat. Nun fordern Kritiker, auf das dreimalige Untertauchen der Kinder bei der Taufe zu verzichten. Kirchenvertreter – auch aus Deutschland - weisen die Kritik zurück.

Von Christian Röther |
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Das Taufritual in orthodoxen Kirchen sieht traditionellerweise vor, dass Kinder dreimal komplett im Wasser des Taufbeckens untergetaucht werden. Einige Priester haben das Vorgehen bereits abgewandelt (Foto). (dpa / TASS / Donat Sorokin)
"Ich habe diese Petition als einfacher Bürger gestartet", sagt Vladimir Dumitru. Er will erreichen, dass in der Rumänisch-Orthodoxen Kirche das Taufritual geändert wird. Die Taufe in den orthodoxen Kirchen sieht traditionellerweise vor, dass die Kinder dreimal komplett im Wasser des Taufbeckens untergetaucht werden. Vladimir Dumitru hat Fernsehberichte und Amateurvideos gesammelt, auf denen solche Taufen zu sehen sind.
Die Petition haben bislang rund 65.000 Personen unterzeichnet. Sie richtet sich an die Kirche – nicht an den Staat - und fordert, bei der Taufe auf das Untertauchen zu verzichten. Auslöser ist, dass in der rumänischen Stadt Suceava Ende Januar ein Kind nach der Taufe gestorben ist – weil Wasser in seine Lungen gelangt sein soll, wie Ärzte laut Presseberichten festgestellt haben. Gegen den Priester, der das Kind getauft hatte, werde wegen Totschlags ermittelt.

Debatte um das Taufritual

Außerdem ist eine Debatte entbrannt, an der sich Intellektuelle, Kirchenvertreter und auch die Eltern des toten Kindes beteiligen. Von Deutschland aus beobachtet Radu Constantin Miron die Vorgänge in Rumänien: "Was den konkreten Fall angeht, gab es vor ein paar Jahren mal einen Todesfall in Rumänien, soweit ich weiß, schon einmal. Und dann wurde eben festgestellt, dass da eine Vorerkrankung des Kindes war. Und jetzt wohl wieder."
Miron ist Erzpriester der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und Pfarrer in einer Gemeinde in Köln. Außerdem ist er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, einer ökumenischen Organisation. Mirons Vater war Rumäne, daher betreute Miron auch schon rumänischsprachige orthodoxe Gemeinden. Mit Blick auf mögliche Vorerkrankungen des toten rumänischen Täuflings sagt er: "Offensichtlich ist, dass da eine Aufmerksamkeit geweckt werden muss, ob es irgendwelche Erkrankungen des Kindes gibt. Und so verstehe ich auch diesen Beschluss."

"Analogie zu Sterben und Auferstehen"

Einen Beschluss, mit dem die Rumänisch-Orthodoxe Kirche auf den Todesfall und die Kritik am Taufritual reagiert hat. Darin heißt es, die Priester seien von nun an verpflichtet, sich vor der Taufe über die Gesundheit des Kindes zu informieren – bei Eltern oder Paten, die zuvor mit einem Kinderarzt Rücksprache halten sollten. Die Kirche macht aber auch klar: Sie will generell am dreimaligen Untertauchen festhalten, wenn aus gesundheitlichen Gründen nichts dagegenspricht.
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So sieht es auch der Kölner Erzpriester Radu Constantin Miron, denn das entspreche der christlichen Tradition: "Es handelt sich natürlich um eine Fortsetzung der altkirchlichen Taufpraxis, und allein die Sprache verrät es ja schon: Das Wort taufen kommt vom Wort tauchen." Sprich: keine Taufe ohne vollständiges Eintauchen. Miron: "Weil es eben um eine vollständige Befreiung des Menschen geht. Und das, was im Osten auch sehr gerne betont wird, eben die Analogie zum Sterben und zum Wiederauferstehen. Deswegen eben dieses aus dem Grab oder aus dem Taufbecken, dem Tauchbecken Hervorheben."

"Eigentlich reicht ein Tropfen Wasser"

Der orthodoxe Pfarrer betont allerdings, dass theologisch gesehen auch Ausnahmen möglich seien: "Daneben gibt es natürlich auch in Fällen, wo das nicht möglich ist, eine Besprengungstaufe. Ist aber die Ausnahme geblieben. Und wir bemühen uns eigentlich, es auch als Ausnahme zu behalten. Theologisch gesprochen reicht eigentlich ein Tropfen Wasser, um jemanden zu taufen. Aber es ist einfach dieses Bild des Sterbens und Wiederauferstehens, was uns sympathisch ist und deswegen von der Kirche nicht infrage gestellt wird."
Vladimir Dumitru, der Initiator der Petition, sagt, er habe recherchiert, dass viele rumänische Priester die Kinder inzwischen nicht mehr komplett untertauchen, sondern nur ihre Stirn mit Wasser besprengen. Auch viele Eltern wollten das so, meint Dumitru. Das sei ein guter Anfang, aber das reiche noch nicht aus. Das Besprengen solle zur Regel werden und nicht Ausnahme bleiben, fordert er. Denn es gehe ja um die Gesundheit und das Leben von Kindern.

"Rituale sind ein sehr sensibles Thema"

Für seine Initiative bekomme er viel Zustimmung, sagt Dumitru, er werde aber auch kritisiert und angefeindet. Er sei Marxist, Satanist, Teil einer Verschwörung gegen die Kirche. All das werde ihm vorgeworfen, so Dumitru, und all das weist er entschieden zurück. Solche und ähnliche Debatten gibt es in christlich-orthodox geprägten Ländern immer mal wieder. In den Kirchen selbst werde das Taufritual aber kaum in Frage gestellt, beobachtet Vasilios Makrides, Professor für orthodoxes Christentum an der Universität Erfurt:
"Das Thema Ritual ist ein sehr sensibles Thema. Man kann sozusagen Rituale nicht beliebig ändern. Das dreimalige Untertauchen im Wasser ist ein bewährtes Ritual bei der Taufe schon seit Jahrhunderten. Damit verbunden sind verschiedene Fragen der Gültigkeit des Rituals."

"Hardliner-Priester"

Wenn die Kirchen versuchen würden, das Taufritual zu ändern, könnte das zu innerkirchlichen Konflikten führen, meint Makrides. Denn für manche Priester – und auch für manche Gläubige – sei das Ritual eben nur dann gültig, wenn das Kind dreimal komplett unter Wasser gewesen ist: "Die Hardliner-Priester, sie versuchen immer wieder, die sogenannte Tradition zu bewahren. Das heißt, das eine Ritual wurde auf eine konkrete Weise immer durchgeführt. Und das muss auch genau so bleiben."
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"Zumal wir eben - auch das sage ich selbstkritisch - eine Kirche haben, die sehr an Ritualen festhält", meint auch der orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron: "Was dann zu einer Starre führt und manchmal natürlich auch zu einer Sinnentleerung der Riten, wenn man nicht mehr weiß, warum etwas passiert. Hauptsache, es muss so genau passieren. Da ist dann auch die Grenze vom Glauben zum Aberglauben manchmal sehr, sehr brüchig oder sehr eng."

"Viele Priester lassen den Kopf draußen"

Deshalb fordert Miron, die Symbolik des Taufrituals in den orthodoxen Gemeinden besser zu vermitteln: "Erklärt den Leuten, was wir da tun und was eben dieses Bild des Sterbens und Wiederauferstehens bedeutet, damit es nicht zu Kirchenspaltungen kommt aufgrund von eigentlich sekundären Dingen."
Sekundär, weil die Taufe für den orthodoxen Pfarrer eben auch in anderer Form als der traditionellen gültig ist. Etwa in Formen, wie sie nicht nur Vladimir Dumitru beobachtet, sondern auch der Erfurter Religionswissenschaftler Vasilios Makrides: "Viele Priester machen nicht das vollkommene Untertauchen des Kindes beziehungsweise des Säuglings im Wasser, sondern sie lassen den Kopf draußen und dann gießen sie Wasser über den Kopf."

"Waterboarding"

Eine vorsichtigere Variante des Taufrituals. Es gibt aber auch das Gegenteil: Erzpriester Miron kritisiert, wie manche orthodoxen Priester die Taufe vollziehen: "Dass das natürlich nicht, wie auf manchen YouTube-Videos zu sehen ist, ein Kind mit Gewalt unter Wasser gedrückt wird, wie Waterboarding."
Einige solcher Videos finden sich im Internet. Auf diesem aus Georgien ist zu sehen, wie ein Priester Kinder abwechselnd mit dem Kopf und den Füßen ins Taufbecken tunkt. Jeweils dreimal, dann ist das nächste Kind an der Reihe. Mit offenbar geübten Handgriffen wirbelt der Priester sie herum.

"Mund und Nase zuhalten"

Der Kölner Pfarrer Miron geht davon aus, dass es sich bei diesen Praktiken um Ausnahmen handelt. Und er fordert seine Kollegen auf, beim Eintauchen der Kinder behutsam vorzugehen. So habe er es schon in seiner Ausbildung gelernt.
"Es gibt sogar einen Griff, der, wenn das Gesicht unter Wasser kommen sollte, wie man da dann Mund und Nase zuhält. Ich würde sagen, das ist kein gesundheitsgefährdender Vorgang, ganz objektiv gesprochen."

"Aus ärztlicher Sicht abzulehnen"

Und wie schätzen Ärzte das ein? "Wenn kleine Kinder untergetaucht werden, dann holen sie nicht unter Wasser sofort Luft, sondern es kommt in der Regel dazu, dass die Stimmritzen sich verschließen. Es kommt zu einem sogenannten Glottiskrampf, so nennen wir das, um eben die Lunge zu schützen. Aber irgendwann ist natürlich der Sauerstoffbedarf ganz klar da, und dann gehen die Stimmritzen auch wieder auf, und wenn das Kind dann unter Wasser ist, dann atmet es auch Wasser ein. Und damit hat man dann natürlich das Problem des Ertrinkens", erläutert Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin:
"Und das Video, was Sie als Link geschickt haben, hat gezeigt, dass hier tatsächlich ein Kind eng zusammengedrückt in einem Bottich untergetaucht wird, wo das Kind noch nicht mal die Möglichkeit hat, sich frei zu entfalten. Also das ist etwas, was wir aus ärztlicher Sicht sicher ablehnen würden. Früher hat man auch Babyschwimmen gemacht, auch noch mit Untertauchen. Auch das wird nicht mehr gemacht, weil wir wissen, dass das Untertauchen von Babys, von kleinen Kindern dieses Gefahrenpotential hat."

"Noch keine Nebenwirkungen festgestellt"

"Ich bin irgendwo bei 1500 Kindern, die ich in meinem Leben getauft habe, und habe noch keine Nebenwirkungen feststellen können", sagt der orthodoxe Pfarrer Miron. Zugleich kritisiert er manche seiner Kollegen auch dafür, dass sie zum Taufen kaltes Wasser verwendeten statt wie er warmes: "Habe ich schon russische Priester sagen hören: Was seid ihr für verweichlichte Griechen, die die Kinder im warmen Wasser taufen?"

"Kirchenspaltung aufgrund von Ritualreform"

Rituale und wie sie korrekt aus zuführen sind – das birgt in Religionsgemeinschaften oft Konfliktpotential, sagt auch Vasilios Makrides: "Das Thema Ritualreform ist so ein sehr empfindliches Thema für die Kirche, weil wir in der Geschichte eine ganze Menge von Debatten haben, Spannungen, Konflikte, auch Spaltung innerhalb der Kirche aufgrund von Ritualreformen."
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Und der Erfurter Religionswissenschaftler sieht noch einen weiteren Grund dafür, warum sich die orthodoxen Kirchen mit Reformen schwertun würden: "Aufgrund einer viel schwächeren Säkularisierung und auch Modernisierung. Viele Priester und auch die Kirchen, sie betonen, das ist unsere Quintessenz als christliche Kirchen. Das heißt, wir sind nicht so verweltlicht wie das westliche Christentum."

"Die Kirche muss allein entscheiden"

Demnach geht es beim Taufritual auch um die orthodoxe Identität: Es ist ein wesentlicher Aspekt, in dem sich die orthodoxen Kirchen von katholischer und evangelischer Kirche unterscheiden. Makrides: "Und auch ein weiteres Argument gegen die Modernisierung von Ritualen ist, dass die Kirche allein entscheiden muss, ob das richtig ist, ob das geändert werden muss oder nicht. Und das muss nicht sozusagen auf den Druck von äußeren anderen Instanzen, wie zum Beispiel dem Staat zurückgeführt werden."
Wohl auch deshalb dürfte Vladimir Dumitrus Petition zur Änderung des Taufrituals in Rumänien kaum Erfolgsaussichten haben. Dabei wolle er damit keinesfalls die orthodoxe Kirche als Ganzes angreifen, sagt er. Im Gegenteil, auch er gehe an den Feiertagen in die Kirche. Er wolle einfach nur verhindern, dass es zu weiteren Tragödien komme. Denn eine Taufe sei ja eigentlich etwas Schönes.