Immer wieder brandet Beifall durch die Menge. Die überwiegend schwarz gekleideten Toulouser schieben sich langsam über die großen Boulevards. Der Applaus gilt den Opfern der Anschläge in Paris. Und vielleicht ein bißchen auch den Toulousern selbst. Denn dass sich mehr als 120.000 zu diesem Republikanischen Marsch versammeln, das hatte wirklich niemand in der Ville rose erwartet.
Francois Hollande und andere führende französische Politiker beschwören seit Tagen die nationale Einheit als beste Waffe gegen den Extremismus. Doch viele Demonstranten in Toulouse wollen von den Parolen ihrer Politiker nichts wissen. Die 45-jährige Beatrix Lembiarez genießt den auch körperlichen Schulterschluss der Franzosen auf der Allee Jean Jaures, wo die Menschen dicht an dicht stehen. Lembiarez betont: "Diese Versammlung zeigt ja gerade, dass wir uns jenseits der Politik befinden. Ihre Stärke besteht darin, dass das Volk sich zusammenschließt. Das Volk entscheidet, das Volk will die Dinge vorantreiben. Es wird sich einiges ändern."
Parteien werden ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht
In gewisser Weise seien die traurigen Ereignisse deshalb auch ein positiver Schock. Fast ist es, als beflügele die Demonstration für Pressefreiheit, Laizismus und Demokratie die Leute. Sie sprechen über die Französische Revolution, die Vordenker der Freiheit, Voltaire, aber auch Victor Hugo. Sie scheinen sich gegenseitig darin zu bestärken, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Philippe Lefèvre zum Beispiel. Der 60-Jährige findet beklagenswert, wie Politiker über die Teilnahme des rechtspopulistischen Front National an den Kundgebungen streiten. Lefèvre: "Es ist an der Zeit, dass die Leute sich zu Wort melden, nicht die Parteien. Man fragt sich sogar, ob die Parteien überhaupt noch etwas repräsentieren. Sie werden ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht."
Ein wenig verloren wirken zwei junge Frauen mit islamischem Kopfschleier in der Menge. Sprechen mögen sie nicht. Es sind abgesehen von offiziellen Würdenträgern nur wenige Muslime in der Menge zu erkennen. Hussein Gettuy trägt seinen fünfjährigen Sohn auf den Schultern. Der Junge grinst stolz und wedelt mit einer kleinen, selbst-gemalten französischen Flagge. "Wir sind hier um Nein zu sagen. Nein zu dem Verbrechen, zur Barbarei, zur Folter, zum Terrorismus und auch Nein zum Amalgam", sagt Gettuy.
Mit Amalgam bezeichnen die Franzosen die Übertragung der Angst vor Dschihadisten auf friedliche Muslime. Der 36-jährige Vater ist bemüht, das Richtige zu sagen, wie viele seiner Glaubensgenossen in diesen Tagen. Er zeigt sich trotz der Sorge vor wachsender Islamophobie hoffnungsvoll. Gettuy: "Heute fühle ich sehr stark, dass Frankreich geeint ist. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass es lange so bleibt."
Muslime an den Rand gedrängt
Doch schon zeigt die Einheit Risse. Annette, eine ehemalige Geschichtslehrerin mit einer bunt gestreiften Mütze auf dem Kopf, erkennt in der Nationalen Einheit einen Wermutstropfen: "Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Muslime an der Demo teilnähmen. Zwar verstehe ich, dass es für sie nicht einfach ist, aber es gibt Momente, da erwartet man eben Courage." Beide Seiten sind verunsichert. Das liegt nicht nur an den Morden in Paris. Es ist der Algerienkrieg 1954 bis 1962, der tiefe Wunden und großes Misstrauen hinterlassen hat.
Michele Sécaro hätte ebenfalls gerne mehr muslimische Anteilnahme gesehen. Die Schwiegermutter einer Magrebinin räumt aber ein, dass die Franzosen und ihre Politiker zusammen Fehler gemacht hätten - und das seit Jahrzehnten. Sie hat Tränen in den Augen. Sécaro: "Es ist ein ganz altes Problem und jetzt kommt es raus. Das macht mir Sorgen. Wir haben die Muslime immer an den Rand gedrängt, jetzt sind sie von vielem ausgeschlossen. Aber wenn man jemanden ausschließt, dann verursacht das langfristig Hass und den Wunsch nach Rache." Die nationale Einheit, befürchten viele in Toulouse, könnte nur von sehr kurzer Dauer sein.