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Nach den Ausschreitungen in Chemnitz
"Gewalt, die ich in der Form bisher nicht erlebt habe"

Gewalt und Ablehnung der liberalen Grundordnung: Die Situation in Chemnitz empfinde er als "fürchterlich", sagt Frédérick Bußmann, Generaldirektor der dortigen Kunstsammlungen. Er plant eine Ausstellung über Justiz und Selbstjustiz außerhalb des Museums.

Frédérick Bußmann im Gespräch mit Karin Fischer |
    News Bilder des Tages 27.8.18 - Ausschreitungen bei Pro Chemnitz Veranstaltung - Nach dem Tod eines jungen Mannes bei einer Messerstecherei am frühen Sonntagmorgen, versammelten sich mehrere tausend Personen aus dem gesamten rechtsextremen Spektrum und Hooligan Milieu in Chemnitz. Die Polizei unterschätzte die Lage und es kam zu Ausschreitungen. Immer wieder wurde Hetzjagd auf Journalisten und Gegenprotest gemacht. Hierbei wurden auch mehrere Personen verletzt. *** 27 8 18 Riots at Pro Chemnitz Event After the death of a young man in a stabbing on early Sunday morning, several thousand people from the entire right-wing extremist spectrum and hooligan milieu gathered in Chemnitz. The police underestimated the situation and riots Journalists and counter-protest made In this case, several people were injured Copyright: xMichaelxTrammerx
    Aggressiver Teilnehmer bei der "Pro-Chemnitz" Demo am 27.08.2018 (imago stock&people)
    Karin Fischer: Die Theater wollen sich stellen und in jede Richtung offen bleiben als Diskurs-Ort in der Stadt, wer aber spricht noch mit wem, und wie überhaupt lassen sich Menschen mit Kunst erreichen? Darüber habe ich mit Frédérick Bußmann, dem Generaldirektor der Kunstsammlungen gesprochen, und ihn zuerst nach seiner Reaktion auf die aktuelle Situation gefragt:
    Frédérick Bußmann: Ich persönlich empfinde die Situation als fürchterlich, ganz schwierig, weil auf einmal sich eine Gewalt und eine Ablehnung der liberalen Grundordnung Bahn bricht. Mit einer Gewalt, die ich in der Form auch bisher nicht erlebt habe. Insofern ist es an uns, damit adäquat umzugehen.
    "Menschen erreichen, die nicht ins Museum gehen"
    Fischer: Jetzt wird immer gesagt, dass das Rassismus-Problem in Sachsen viele Jahre lang geleugnet wurde. Sehen Sie das auch so?
    Bußmann: Geleugnet kann ich nicht sagen. Das ist eigentlich allen bekannt. Es gibt ganz offensichtlich Gegenden hier, die sehr stark rechtsradikal sind, ausländerfeindlich gestimmt sind, in denen es aber nicht genug Zivilgesellschaftliches gibt. Das ist eigentlich der entscheidende Punkt. Wir müssen die Zivilgesellschaft hier stärken.
    Fischer: Dann ist ja immer die Frage: Welche Menschen erreicht man mit Kultur und wie wollen Sie das genau tun?
    Bußmann: Das Problem von Museen ist ja zum Beispiel, dass wir in der Regel die Menschen erreichen, die sowieso auf unserer Seite stehen. Das heißt, wir müssen uns jetzt Formate überlegen, wie wir Menschen erreichen können, die vielleicht nicht ins Museum gehen und die vielleicht nicht sowieso schon Überzeugungen teilen, die wir auch haben. Insofern ist jetzt hier die Frage, können wir in den Stadtraum reingehen, können wir völlig ungewöhnliche Formate entwickeln, die außerhalb des Museums stattfinden, und mit den Menschen vor Ort einen direkten Dialog anfangen.
    Reenactment eines Übergriffs
    Fischer: Haben Sie da schon Ideen?
    Bußmann: Ich habe tatsächlich für nächstes Jahr schon eine Ausstellung geplant, die nicht hier im Museum stattfinden sollte, sondern in Sonnenberg, einem Stadtteil von Chemnitz. Wir überlegen jetzt, ob wir das vielleicht vorziehen können, ob wir das dort direkt vor Ort machen können. Das ist eine Ausstellung mit Mario Pfeifer, der im Augenblick seine Arbeit "Again" auf der Berlin-Biennale zeigt und in der das Thema Selbstjustiz eine große Rolle spielt.
    Es geht um diesen Fall von vier Männern, die einen Geflüchteten in Arnsdorf an einen Baum gefesselt haben. Mario Pfeifer hat dieses nachspielen lassen, ein Reenactment sozusagen dieser Szenen, und hat dann einen Gerichtsprozess veranstaltet mit zwölf Geschworenen, Menschen mit Fluchterfahrung, weil der Prozess ist damals eingestellt worden. Das heißt, das Thema Justiz, vielleicht auch die Blindheit der Justiz hier in Sachsen für Rechtsradikale – das sage ich mit aller Vorsicht – wird von Mario Pfeifer aufgegriffen und von einer anderen Perspektive, nämlich von Menschen mit Fluchterfahrung, neu angegangen.
    Gleichzeitig möchte ich gerne die Arbeit "Angst und Bildung" zeigen, auch von Mario Pfeifer, in der er sich mit Menschen auseinandergesetzt hat, die im Umfeld von Pegida und AfD von ihren persönlichen Erfahrungen berichten, von ihren persönlichen Überzeugungen berichten und ihren eigenen Lebensweg auch darstellen. Damit hätten wir zwei Pole, zwei Sichtweisen, die hier in Sachsen ganz stark aufeinanderknallen, ganz stark aufeinanderstoßen, und könnten so zumindest einen Dialograum anbieten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.