Der Schutt liegt immer noch meterhoch in Amatrices Ortskern, der so genannten Roten Zone. Hier steht so gut wie kein Haus mehr, nur der Kirchturm ragt aus den Mauerresten heraus. Doch jetzt, ein Jahr nach dem Erdbeben, sind wenigstens die Hauptstraßen hier wieder freigeräumt, sagt einer der Feuerwehrmänner, die hier immer noch im Einsatz sind. Es stimmt, alles dauere lang - aber dafür werde ordentlich gearbeitet, meint er und zeigt auf eine Ruine, neben der Container in verschiedenen Farben stehen.
"Hier sieht man zum Beispiel die Kirche Sant‘ Agostino. Weil sie denkmalgeschützt ist, haben wir alle Steine und Trümmer ihrer Mauer geborgen und aufbewahrt, um sie dann irgendwann wiederaufzubauen."
Bungalows haben die Zeltstädte abgelöst
Den Ortskern kann man noch immer nur mit Sondererlaubnis betreten. Doch außerhalb geht das Leben weiter, sagt der Präsident der Region Latium, Nicola Zingaretti, der in diesen Tagen immer wieder Amatrice besucht. Rund um den Ortskern sind die Zeltstädte so gut wie verschwunden - dafür stehen jetzt kleine, leuchtend orange Bungalows für die Menschen, die ihre Häuser verloren haben.
"Hunderte von Bürgern kehren in die über 30 Bungalowsiedlungen zurück, in Wohnungen, die alles Lebensnotwendige bieten. Die Einkaufscenter und die Supermärkte öffnen wieder, das Büro für den Wiederaufbau ist offen. Über 100.000 Tonnen von Trümmern sind aus dem öffentlichen Raum weggeschafft worden und jetzt fangen wir mit den Privathäusern an."
Tägliche Erinnerung an das Beben
Aber es gibt noch viel zu tun, sagt auch Zingaretti. Und versichert: Die Region sei entschlossen, weiterhin zu helfen, auch ein Jahr nach dem ersten der verheerenden Erdbeben.
"Ich bin damals hier in Amatrice um sieben Uhr morgens angekommen. Sobald ich davon erfahren habe, bin ich ins Auto und hierhergekommen. Und in diesem Moment war es ein Mix aus Mut und Durchhaltevermögen, was du an die anderen vermitteln musst. Aus Schweigen, weil dir die Worte fehlen. Und aus dem Willen zu helfen, weil so viel zu tun war."
Diesen Mix der Gefühle kennt auch Sergio Pirozzi, der Bürgermeister. Er denkt seit einem Jahr täglich an das Erdbeben. Die Rote Zone will er so lange nicht mehr betreten, bis alles wieder aufgebaut ist, bis Amatrice wieder aussieht, wie vor dem Erdbeben. Pirozzi glaubt fest daran, dass das passieren wird.
"Ein paar Probleme gibt es - das Wegräumen der Trümmer läuft schleppend. Die Trümmer repräsentieren für uns den Schmerz. Aber ich glaube, heute ist es unnötig, darüber zu sprechen was man machen hätte können. Die Realität ist das hier. Ich lebe jeden Tag hier mit einem anderen Gefühl. Manchmal schöpfe ich aus der Solidarität Kraft, und manchmal werde ich stinkwütend wegen der Verzögerungen."
Schleppende Hilfe in den umliegenden Ortsteilen
Doch Amatrice, das ist nicht nur das Zentrum, nicht nur der Hauptort. Zu Amatrice gehören auch über 60 Ortsteile, weit verstreut im Bergland ringsum. Einer davon ist Sommati, ein Weiler mit ein paar Häusern - alle zerstört, alles voller Schutt. Die wenigen Familien, die hier noch sind, leben auf knapp 20 Quadratmetern in schlecht isolierten Containern - und das in über 1.000 Metern Höhe. Gerade ist die Hitze unerträglich, sagt Nando Bonanni. Zuvor war es die Kälte, zum Glück war der Winter einigermaßen mild.
Nando Bonanni ist 64 Jahre alt, hier geboren und aufgewachsen. Er hat ein Restaurant hier geführt, bekannt in der ganzen Gegend. Jetzt ist es zerstört. Und Nando Bonanni muss warten. Auf ein neues Haus, darauf, dass er sein Restaurant wieder aufbauen kann. Er hat das Gefühl: Die Hilfe konzentriert sich nur auf den Zentralort von Amatrice.
"Hier ist nichts passiert, sie haben die Trümmer nicht weggebracht, nichts. Sie haben uns keine Bungalows zugewiesen. Seit einem Jahr will ich das Restaurant wiedereröffnen, sie hatten mir zugesichert, dass das im Juni wieder möglich ist. Ich habe gehofft, wenigstens die Sommersaison dieses Jahr mitzunehmen, ich habe gehofft, dass wenigstens irgendwer kommt."
"Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen"
Noch immer besucht Nando Bonanni fast täglich sein zerstörtes Restaurant, und die Wohnung darüber, in der er gewohnt hat. Dass das Gebäude einsturzgefährdet ist, kümmert ihn nicht.
"Das hier war mein Restaurant und hier unten haben wir einen Kamin aus dem Jahr 1833, original und er ist wunderschön."
Doch sonst ist nicht allzu viel erhalten geblieben. Scherben und Ziegelsteine bedecken den Boden, in den Wänden sind Risse, die Küche ist völlig demoliert.
"Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, Nein, eine Bombe hätte nicht so viel Schaden angerichtet, wie das Erdbeben, alles ist kaputt."
Einige Tische und Stühle stehen noch immer unversehrt im Raum, Besteck liegt auf dem Boden, in intakten Suppentellern sammelt sich Schutt von einer eingestürzten Wand. Er würde gerne alles ausräumen, sagt Nando Bonanni, aber er weiß nicht wohin mit den Sachen: Alle Gebäude hier sind zerstört. Und noch immer bebt hier die Erde, wenn auch nicht mehr so stark.
Angst, Sorgen und Trauer
Eines seiner Enkelkinder schläft nicht mehr, erzählt Bonanni, aus Angst vor den Erdbeben. Auch er selbst erinnert sich gut an die Nacht des ersten Bebens: Ein Schrank hätte ihn und einen seiner kleinen Enkel fast erschlagen, man fühlt sich einfach nur ohnmächtig, sagt Bonanni.
"Du kannst nicht vor dem Erdbeben fliehen. Es gab kein Licht, du hast nichts mehr gesehen. Du findest nichts mehr. Ich wollte durch die Tür fliehen und bin versehentlich in den Kleiderschrank. Es ist nicht leicht, nach draußen zu kommen."
Auch ihn verfolgen die Erinnerungen noch immer, ablenken können ihn nur seine kleinen Enkelkinder, die im Container nebenan wohnen. Und: Die Tiere. Er ist Nebenerwerbslandwirt, hat Schafe und Pferde, etwas Land. Der behelfsmäßige Stall ist fünf Autominuten entfernt.
"Ah, hier, seht ihr, ein Lämmchen, das gerade geboren worden ist! Und das hier ist der Bock, schaut, wie groß er ist!"
Aber auch hier plagen Nando Bonanni Sorgen: Das Heu für die Tiere wird nicht für den Winter reichen. Der Sommer war ungewöhnlich trocken, dazu kommt, dass er einen Teil seines Landes an die Region abtreten musste: Dort werden Bungalows gebaut, auch er kann wohl im Herbst mit seiner Familie in einen einziehen. Bonanni hofft auf Hilfe vom Staat. Denn selbst bezahlen kann er für das Heu nicht, sein Restaurant ist geschlossen, alles, was seine Familie seit Generationen aufgebaut hat, ist weg. Er und seine Frau leben von den 300 Euro pro Monat, mit denen der Staat sie unterstützt.
"Es hat sich alles verändert. Ich hatte zwei schöne, große Wohnungen und jetzt finde ich mich in einem Container mit 20 Quadratmetern wieder. Der Tag will einfach nicht vorübergehen, früher habe ich mich mit den Kunden unterhalten. Jetzt habe ich nichts mehr zu tun. Ich lege mich untertags schlafen, oft fange ich auch an zu weinen."