In Mainz strahlte die Sozialdemokratin Malu Dreyer am Sonntag (14.03.3021) in die Kameras. In Baden-Württemberg hingegen wurde die SPD mit leichten Verlusten nur knapp zweistellig. In beiden Ländern seien Menschen gewählt worden, die in den letzten fünf Jahren als Landeschefs um Vertrauen geworben hätten, sagte der Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans im Deutschlandfunk. "Die Leute vertrauen nicht auf drei Buchstaben, sondern auch auf Menschen, und das müssen wir für Berlin, für alle Regionen beherzigen."
Kanzlerkandidat Olaf Scholz müsse sich von Malu Dreyer nichts abschauen. Ähnlich wie Dreyer könne Scholz als einziger Kandidat in der Bundestagswahl aus der Erfahrung der Bundesregierung heraus zeigen, "dass das, was er für die Zukunft verspricht, auch das ist, was er tut".
Bundestagswahlen ohne Merkel
"Wir stehen im Bund - erkennbar in den letzten Tagen - aber erkennbar auch schon länger vor ziemlichen Umwälzungen", sagte Walter-Borjans. Was die CDU bei den Landtagswahlen nun als Kratzer erlebt habe, sei durch die hohe Briefwahlbeteiligung gedämpft gewesen. "Ich glaube, dass das was in den letzen Wochen in der CDU und CSU vor sich geht, ist ein Grundsatzproblem. Das ist nicht eines, das nur an zwei oder drei Abgeordneten festzumachen ist." Hinzu komme, dass die Kanzlerin bei den Bundestagswahlen nicht wieder antreten werde. Es zeichne sich deshalb ab "es gibt Mehrheiten diesseits von CDU und CSU und es gibt gute Chancen für Olaf Scholz, der Kandidat der stärksten dieser Parteien zu sein."
Das Interview in ganzer Länge
Sandra Schulz: Hat Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz gewonnen, oder die SPD?
Norbert Walter-Borjans: Es haben in beiden Ländern gestern die Parteien der Kandidaten gewonnen, die als Ministerpräsidentin/Ministerpräsident fünf Jahre um Vertrauen geworben haben, Vertrauen bekommen haben, und das kann man nicht voneinander trennen. Wir sind in den letzten Jahren viel stärker als Parteien auch immer in Verbindung gebracht worden mit Menschen, mit Köpfen. Die Leute vertrauen nicht auf drei Buchstaben, sondern auf Menschen, und das müssen wir auch für Berlin, das müssen wir für alle Regionen beherzigen.
Schulz: Wenn wir jetzt wissen, dass der Wahlsieg von Malu Dreyer sich auch speist im Wesentlichen aus diesen sehr guten persönlichen Werten, was muss sich Olaf Scholz in Berlin dann von ihr abschauen?
Walter-Borjans: Er muss sich nichts abschauen, weil er in einer, in diesem Punkt sehr ähnlichen Weise agiert. Er macht eine solide Politik. Er ist ein stabiler Faktor in der Bundesregierung. Er wird bei der Bundestagswahl der einzige sein, der aus der Erfahrung der Bundesregierung heraus zeigen kann, dass das, was er für die Zukunft verspricht, auch das ist, was er schon die ganze Zeit tut. Ich glaube, das ist sehr vergleichbar zu dem, was Malu Dreyer gesagt hat und getan hat. Und man muss es sagen: Die Gratulation geht auch an Winfried Kretschmann für die Grünen in Baden-Württemberg.
Briefwahl hat Niederlage der CDU gedämpft
Schulz: Das Ergebnis, das Malu Dreyer gestern in Rheinland-Pfalz eingefahren hat, das ist von den Prozentpunkten her ungefähr das doppelte von dem, wo die SPD im Moment im Bund steht mit Olaf Scholz. Und wenn er gestern noch mal betont, er will Kanzler werden, können Sie uns das erklären? Wie soll das gehen?
Walter-Borjans: Wir stehen im Bund erkennbar in den letzten Tagen, aber auch erkennbar schon länger vor, ich glaube, schon ziemlichen Umwälzungen. Das was die CDU gestern ja nur, ich sage mal, mit einem Kratzer erlebt hat – und das waren schon historisch schlechte Ergebnisse -, war ja gedämpft durch eine hohe Briefwahl-Beteiligung. Ich glaube, dass das, was in den letzten Tagen in der CDU vor sich geht, CDU und CSU, ein Grundsatzproblem ist. Das ist nicht eins, das jetzt nur an zwei oder drei Abgeordneten festzumachen ist. Die Kanzlerin wird nicht wieder antreten und es geht darum – das ist relativ klar -, dass man natürlich nicht allein regieren kann, sondern eine Koalition braucht, aber sich auch abzeichnet. Es gibt Mehrheiten diesseits von CDU und CSU und es gibt auch gute Chancen für Olaf Scholz, der Kandidat der stärksten dieser Parteien zu sein. Daran müssen wir arbeiten in diesem Jahr, aber das sind alles Dinge, die absolut im Bereich des Möglichen liegen, für die wir kämpfen.
Schulz: Was genau, Herr Walter-Borjans, sind im Bund denn diese Optionen jenseits der Union?
Walter-Borjans: Ich rede ja gerne immer von diesseits der Union, weil wir gucken ja nicht darüber weg auf die andere Seite, sondern wir wollen eine Regierung, die klar die Veränderungen, die anstehen, annimmt und gestaltet, und zwar mit sozialverträglichem Maß, dass nicht einfach Klimaschutz gemacht wird ohne Rücksicht auf die Menschen, sondern wir müssen Klimaschutz machen, der steht ganz dringend an. Aber es bedeutet auch, er muss verträglich werden für die, die es in der Industrie, in den einzelnen Arbeitsplätzen trifft. Das darf nicht auf dem Rücken der Kleinen gehen.
"Es wird einen rot-grünen Kern haben, das kann man sich auch ausrechnen"
Schulz: Wer will das machen, Klimaschutz zu Lasten der Menschen?
Walter-Borjans: Bitte?
Schulz: Wer will das machen, Klimaschutz zu Lasten der Menschen?
Walter-Borjans: Ich sage nicht Klimaschutz zu Lasten der Menschen, aber mit zu wenig Rücksicht auf das, was das für Menschen bedeutet. Das ist dann der Fall, wenn ich sage, gutsituierte Menschen können sich schnell ändern, die können sich schnell ein anderes Auto kaufen, sondern wir müssen uns auch auf die beziehen, die das mittragen müssen. Wir sind in einer Demokratie. Wir brauchen dafür Mehrheiten. Diese Mehrheiten - das kann man sich dann ausrechnen, wenn sie ohne CDU/CSU gehen sollen – müssen zuerst mal eine starke SPD haben. Das ist unser erklärtes Ziel. Es wird einen rot-grünen Kern haben, das kann man sich auch ausrechnen. Und dann ist die Frage, mit wem kann man die größte Schnittmenge bekommen und wer hat Forderungen, die definitiv nicht erfüllbar sind, und daran wird sich entscheiden, ob man ein Bündnis hinbekommt, das stabil und regierungsfähig ist. Ich glaube, die Chancen dafür sind gestern sicher gestiegen.
Hinter der Fassade eines solide und kompetent regierten Landes verbirgt sich eher Rückstand, Behäbigkeit und Durcheinander", sagt FDP-Generalsekretär Volker Wissing mit Blick auf Deutschlands Wirtschafts-, Digital- und Coronapolitik. Seine Partei sei regierungswillig, unter der Bedingung eines "liberal mitgebrägten Regierungsprogramms".
Schulz: Kann ich nachvollziehen, dass Sie das so schildern. Aber wenn Sie jetzt auf diese sozialen Kompetenzen abheben, dann sehen wir in Baden-Württemberg, aber auch in Rheinland-Pfalz trotz des Wahlsieges von Malu Dreyer, dass genau bei diesen Kernkompetenzen das Vertrauen in die SPD schwindet. Drei von vier Befragten haben in Baden-Württemberg gesagt, sie wüssten nicht mehr, wofür die SPD steht. Ungefähr zwei Drittel sagen, die SPD steht gar nicht mehr so klar auf der Seite der Arbeitnehmer. Wann wollen Sie anfangen, das zu vermitteln?
Walter-Borjans: Saskia Esken und ich vermitteln das und auch die Spitze der SPD insgesamt, ganz besonders der Kanzlerkandidat, der Fraktionsvorsitzende, der Generalsekretär. Das machen wir immer wieder. Das was Sie eben in dem Vorbericht gesagt haben, dass in Rheinland-Pfalz die SPD immer auch einen sehr starken Draht zu den Gewerkschaften aufrecht erhalten hat, gilt für uns in einer sehr engen und guten Zusammenarbeit auch hier in Berlin auf der Bundesebene. Was vielleicht deutlicher werden muss ist, dass das so ist. Ich erlebe ja immer wieder, auch an der eigenen Person, dass man manchmal in einer Weise eingeordnet wird, die mit dem, was den politischen Alltag in Berlin betrifft, relativ wenig zu tun hat. Mein Gesprächsdraht zu allen Teilgewerkschaften und zum Deutschen Gewerkschaftsbund, aber auch zu den Naturschutzverbänden, aber auch zu denen, die aus einer kirchlichen Orientierung heraus sich Sorgen um die Zukunft machen, ist eng und gut, aber ich glaube, ein Stück mehr Kommunikation darüber tut Not, und daran arbeiten wir.
SPD bekommt in Pandemiebekämpfung "nicht das schlechteste Zeugnis"
Schulz: Aber wird Olaf Scholz das vermitteln können? Das ist ja die Frage, die Sie seit dieser sehr frühen Festlegung auf den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz begleitet. Olaf Scholz verkauft jetzt ein Wahlprogramm, verkauft eine Agenda, die eigentlich viel linker ist als die Politik, für die er bisher steht. Könnte das auch Teil des Vermittlungsproblems sein?
Walter-Borjans: Olaf Scholz hat zusammen mit uns gemeinsam ein Programm erarbeitet und mich freut immer besonders, wenn man meint, bestimmte Zuordnungen zu finden, das ist bestimmt von Walter-Borjans, das ist von Esken, das ist von Scholz, dass die meisten falsch liegen, wenn man sich anguckt, wer diesen Beitrag innerhalb des Programms geleistet hat. Wir haben zusammen ein Programm erarbeitet, das ganz bewusst darauf setzt, die SPD kümmert sich um die Zukunft, es geht nicht nur darum, das zu machen, was jetzt zu tun ist und wo die SPD-Ministerinnen und Minister nun wirklich nicht das schlechteste Zeugnis bekommen, nämlich diese Pandemie zu bekämpfen in den Bereichen, in denen sie zuständig sind. Aber es geht auch darum, dass wir den Klimaschutz, auch die industriellen Grundlagen dafür, neue Technologien, Wasserstoff, Elektromobilität antreiben, und das ist ein erklärtes Ziel der gesamten SPD-Führung und da steht auch die Partei dahinter.
Ja, Sie haben recht: Das noch stärker zu vermitteln, dass wir die gegenwärtige Problemlösung mit Zukunftsorientierung verbinden, ist ein Auftrag, dem wir uns sehr stark widmen müssen, und das tun wir auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.