Jasper Barenberg: Bezeichnend waren schon die Umstände des Treffens auf dem Landsitz in Chequers gestern, wo alle Kabinettsmitglieder von Theresa May vor Beginn der Beratungen ihre Mobiltelefone abgeben mussten – so groß ist das Misstrauen offenbar in einer Runde, in der sich Anhänger eines weichen Brexits und Befürworter für einen harten Schnitt mit der EU bisher unversöhnlich gegenüberstanden. Über Monate konnte die Premierministerin die Rivalen nicht auf eine gemeinsame Position festlegen, nach dem Treffen nun hat Theresa May eine Einigung verkündet. Demnach zielt London in den Verhandlungen mit Brüssel in Zukunft auf eine Freihandelszone mit der EU.
Und am Telefon ist Wera Hobhouse, sie sitzt für die LibDems, die Liberalen, im britischen Parlament. Schönen guten Morgen!
Wera Hobhouse: Morgen!
Barenberg: Frau Hobhouse, Großbritannien soll auch nach dem Austritt aus der EU eng an die EU gebunden werden. Sind das auch gute Nachrichten für jemanden, der den Brexit eigentlich für die falsche Entscheidung hält?
Hobhouse: Ja, also ich habe mir dieses Abkommen oder diese Vereinbarung gestern Abend, das kam ja dann irgendwie kurz vor zehn auf den Tisch, das war ja fast wie wenn ein Papst neu gewählt wird, weißer Rauch kommt aus Chequers. Und dann guckt man sich das an und sagt: Das ist ja immer noch genau das Gleiche wie vor zwei Jahren, dass alles möglich ist, aber es gibt gar keine Nachteile! Also wir treten aus der EU aus, aber wir bleiben ja nach wie vor, haben den freien Zugang zum Binnenmarkt, wir müssen aber nicht mehr dem ECJ folgen, aber wir haben ja nach wie vor unsere Arbeitsplätze gesichert, aber wir können unsere eigenen Handelsverträge schließen. Alle Vorteile bleiben, keine Nachteile, alles wunderbar, Schlaraffenland, ich nenne das hier "Lala-Land". Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie so was überhaupt der Europäischen Union vorschlagbar ist. Denn das geht jetzt seit zwei Jahren so, dass die britische Regierung sagt, ja, Rosinen aus dem Kuchen, klar, das können wir nach wie vor machen. Und kein Wunder, dass sich jeder in ihrem Kabinett darauf eingelassen hat, denn alle die Grenzen, die jeweils die andere Seite hat, hat sie ja irgendwie da in ihre neuen Verhandlungen eingebracht und das ist so als hätten wir das Rechteck vom Kreis gefunden.
Keine Klarheit in den Beschlüssen
Barenberg: Warum ist es denn für Sie so klar, dass es so etwas wie ein Schlaraffenland und eine Lösung, die Vorteile für beide Seiten bietet, gar nicht geben kann?
Hobhouse: Wenn man sich anhört, was über Jahre die Europäische Union gesagt hat, also um die "Integrity" der Europäischen Union zu erhalten, gibt es bestimmte Regeln. Und die einfach aufzulösen wäre schwierig für die Europäische Union, sich darauf einzulassen. Wir hatten Guy Verhofstadt im Brexit Select Committee vor zwei Wochen und der ist immer ganz klar, was er sagt. Die Europäische Union ist ein Rules Pay System und da kann nicht ein einzelner Mitgliedsstaat ankommen und sagen, ja, wir wollen aber diese Regel ein bisschen anders für uns haben und jene Regel ein bisschen anders für uns haben. Natürlich gibt es innerhalb der Europäischen Union eine ganze Menge Möglichkeiten, da so flexibel zu sein, aber außerhalb der Europäischen Union zu sagen, ja, wir möchten hier so ein bisschen hiervon und ein bisschen davon und dann noch ein bisschen davon, aber das wollen wir nicht, jenes wollen wir nicht. So wie ich das verstehe, wird sich die Europäische Union nicht darauf einlassen. Aber wie gesagt, Michel Barnier hat gesagt, er sieht sich das an und mal gucken, was kommt. Ich würde mich allerdings wundern, wenn sich die Europäische Union darauf einlässt.
Barenberg: Und Sie sehen jedenfalls keine Klarheit in den Beschlüssen, sondern, wie würden Sie das formulieren, einen Kompromiss zwischen denen in Ihrem Kabinett, die für einen harten Schnitt sind, und denen, denen die Anbindung an die Europäische Union wichtig ist?
Hobhouse: Genau. Es gibt ja wirklich klare Unterschiede zwischen den beiden Positionen, das hat die Tory-Partei seit Jahrzehnten gespalten. Und deswegen haben wir ja auch das Referendum gehabt, um die Tory-Partei zusammenzuhalten. Aber ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie plötzlich seit gestern Abend diese beiden Positionen nun so glücklich zusammengekommen sind, weil ja keine Seite irgendwie eine ihrer Positionen hat aufgeben müssen. Denn wir steigen aus der gemeinsamen Agrarpolitik aus, wir steigen aus der Fisheries-Politik aus, aber es gibt keine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das in der Praxis aussehen soll! Und darüber haben wir ja die ganze Zeit geredet in den letzten paar Monaten, wie soll die Grenze zwischen Irland und Nordirland aussehen? Und darüber hat sie sich gestern Abend gar nicht geäußert. Denn wie das praktisch aussehen soll, wissen wir im Moment gar nicht!
Barenberg: Soweit ich verstanden habe, ist der Vorschlag ja etwa, dass man quasi zwei Zollsysteme hat, eines, bei dem man sich an der Europäischen Union orientiert, was dann zur Folge hat, dass es eben keine Grenzkontrollen geben soll, und ein anderes Zollsystem dann für Verabredungen mit anderen Staaten, Handelsabkommen, die man da mit anderen Staaten treffen soll. Ist das keine nachvollziehbare, plausible Lösung aus Ihrer Sicht?
Hobhouse: Ja, außerdem will aber England ja sich auch nicht an die gemeinsame Politik für Service Industries halten, also es geht ja …
Barenberg: Für Dienstleistung.
Hobhouse: Ja. Da gibt es also eine Zollgrenze für eine Art von Handel, aber nicht für die andere Art von Handel. Das muss sie mir noch mal erklären, wie das aussehen soll. Und wie gesagt, ich meine, wenn die Europäische Union sich jetzt plötzlich auf diesen neuen Vorschlag einlässt, wäre ich sehr erstaunt, denn bisher haben wir ja immer gehört, das geht nicht. Wir können nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken. Aber wenn jetzt die Europäische Union sich heute umdreht und sagt, na schön, die Engländer dürfen sich ruhig die Rosinen aus dem Kuchen picken, ich wäre erstaunt. Aber vielleicht ist es ja der Europäischen Union so wichtig, die Vereinigten Staaten in der Europäischen Union … Wir sind ja noch nicht mal in der Europäischen Union! Aber sich darauf einzulassen, dass die Vereinigten Staaten außerhalb der Europäischen Union sich auch noch alle Rosinen aus dem Kuchen picken können, ist … Ich wäre erstaunt. Aber wir haben bisher ja noch keine Antwort gehört und ich warte. Aber für mich ist das überhaupt kein Fortschritt. Es ist immer wieder das Gleiche, dass die Tories versuchen, sich selbst untereinander Frieden zu erhalten, und dann haben wir wie gesagt, was hier die Engländer "squaring of the circle" nennen, also aus dem Kreis ein Rechteck zu machen oder …
"Wir sagen nach wie vor, das ist Fantasie"
Barenberg: Die Quadratur des Kreises, wie wir sagen.
Hobhouse: Die Quadratur des Kreises, ja, genau.
Barenberg: Aber Frau Hobhouse, wenn Sie sagen, das Vereinigte Königreich wird jetzt in Brüssel weiter gegen die Wand laufen bei diesen Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen, da kann man ja auch andersherum argumentieren, der Handel mit Großbritannien wird weiter so wichtig sein für die gesamte Europäische Union, aber auch vor allem für Deutschland, dass Brüssel am Ende – da gibt es ja auch einige, die das sagen – schon das durchwinken könnte. Damit rechnen Sie nicht?
Hobhouse: Ich wäre erstaunt, sagen wir mal so. Denn dann hätte ja eigentlich David Cameron, der ja vor zweieinhalb Jahren noch mal versucht hat, was auszuhandeln, und da war die Europäische Union, sagen wir mal, ganz stur oder hat sich darauf nicht eingelassen, vielleicht weil sie glaubte, dass die Briten den Brexit nicht machen würden, und jetzt sagen sie nach zweieinhalb Jahren, na ja, es sieht ja wirklich aus, als wenn sie das ernst nehmen, und nun müssen wir ein paar Zugeständnisse machen. Das wäre interessant, es würde mich aber wundern, weil ich bisher verstehe, dass die Europäische Union fürchtet, dass das dann eigentlich der Zusammenbruch der ganzen Union ist, weil dann jeder ankommt und sagt, na ja, ich möchte ein bisschen weniger von diesem und von jenem und vor allen Dingen "free movement", also dass die Briten ja nach wie vor kontrollieren wollen … also die Bevölkerungsbewegung. Also wenn die Europäische Union sich plötzlich darauf einlässt, auf ihre ganzen Prinzipien zu verzichten, das wäre interessant. Ich warte mal drauf. Natürlich will die Europäische Union nicht in der Position sein, dass sie sozusagen die bösen Männer sind und Nein sagen, wenn die Engländer doch einen wunderbaren Vorschlag gemacht haben, aber was hier so in den Social Media gesagt wird von den anderen Parteien wie meiner eigenen Partei, wir sagen nach wie vor, das ist Fantasie. Wir können uns nicht vorstellen, wie das laufen soll. Es gibt ja auch genügend Gegner von dem, was die britische Regierung vorschlägt, hier in England, es ist ja nicht so, dass alle Engländer das toll finden, dass wir jetzt Europa verlassen. Fast die Hälfte der Menschen wollten ja in der Europäischen Union bleiben. Und wir kämpfen nach wie vor ganz stark und passioniert dafür, dass wir doch in der Europäischen Union bleiben, weil das Austreten aus der Europäischen Union für uns wirtschaftlich eine Katastrophe wird. Und dafür setzen wir uns nach wie vor ein und sagen, was die Regierung jetzt vorschlägt – weil denen das jetzt auch plötzlich klar wird, dass das wirtschaftlich eine Katastrophe wird –, dass wir das einfach der Bevölkerung auch vor Augen führen und sagen: Guckt, Leute, da gibt es einfach einen Nachteil, wenn wir die Europäische Union verlassen, lasst uns in der Europäischen Union bleiben oder wenigstens, so wie meine Partei das vorschlägt, die Leute noch mal zu fragen mit einem Referendumsangebot: Das ist jetzt der Deal, wollt ihr das wirklich? Wollt ihr das wirklich, oder ist es doch besser, wenn wir Mitglied der Europäischen Union bleiben? Und das ist nach wie vor meine politische Position und deswegen ist es für uns natürlich auch wichtig zu sagen, es sind nicht nur die bösen Europäer, sondern die Europäische Union ist auf Regeln basierend. Und die Regeln einfach umzustoßen für ein einziges Land, darauf wird sich die Europäische Union nicht einlassen. Und das würden wir, wenn wir nach wie vor Mitglieder der Europäischen Union wären und ein anderes Land ankäme und sagte, wir wollen alles mögliche andere haben, würden wir uns auch nicht darauf einlassen.
Barenberg: Die britische Abgeordnete Wera Hobhouse heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch!
Hobhouse: Ja, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.