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Nach der Corona-Pandemie
Wie die Digitalisierung der Arbeitswelt jetzt weitergeht

Die Corona-Pandemie hat für viele Beschäftigte das Homeoffice und eine weitere Digitalisierung ihrer Arbeit gebracht, etwa über Videokonferenzen. Und vieles davon wird bleiben, sagen Experten. Die Entwicklung könnte sich sogar noch beschleunigen - mit unklaren Auswirkungen auf Privatsphäre und Datenschutz.

Von Peter Welchering |
Der Stadtrat von Bad Wörishofen trifft sich zu einer Sitzung im Kurhaus, Die Sitzung wird als "Hybrid-Veranstaltung" wegen der noch hohen Corona-Inzidenz abgehalten. Dazu sind ein paar ausgewählte Mitglieder und der Bürgermeister persönlich anwesend, der Rest wird per Online-Konferenz auf der Videoleinwand zugeschaltet
Eine "hybride Stadtratsitzung" in Bad Wörishofen (picture alliance)
"70 Prozent der Personalmanager der von uns befragten Unternehmen planen nach der Krise die Möglichkeiten für mobiles Arbeiten zu erweitern." So die Prognose von Dr. Stefan Rief, Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Während der vergangenen Tage und Wochen war Rief ein ziemlich gefragter Mann. Denn wie es mit der Digitalisierung und der Organisation von Arbeit in der Gesellschaft weitergeht, wenn die Pandemie abflaut oder gar überwunden ist, das ist im Augenblick eine der am intensivsten diskutierten Fragen. Gleiche mehrere Fachkonferenzen haben sich mit digitalen Arbeitsweisen und deren Anwendung nach Corona beschäftigt.
Homeoffice wird sich fest etablieren
Und da gibt es einige grundlegende Erkenntnisse. Homeoffice wird sich in administrativen und in kreativen Berufen weiterhin fest etablieren. Videokonferenzen werden Geschäftsreisen ersetzen. Fortbildungsveranstaltungen werden zunehmend hybrid und digital. Und es wird lauter, nicht nur, weil wir so viele Videokonferenzen machen, sondern, weil die Spracheingabe und die Sprachausgabe die Tastatur in vielen Anwendungen ersetzen wird.
Digitale Sicherheit wird schlechter
Die Sicherheitslage wird sich dabei dramatisch verschlechtern. Denn "bring your own device" heißt eben auch, dass viele Endgeräte sehr viel leichter angegriffen werden können, dass wir es mit so weitreichenden Öffnungen der Unternehmensnetze zu tun bekommen werden, wie wir sie bisher aus Sicherheitsgründen immer abgelehnt haben. Die digitalen Angriffe während der Pandemie haben da einen ersten Geschmack auf die künftige Situation gegeben. Eine Folge der verteilten Arbeit mit ihren Technologien sind auch mehr Tracking- und Überwachungstechnologien. Und da müssen wir als Gesellschaft ganz genau hinschauen, wie wir das organisieren wollen.

Thesen und Prognosen für die Digital-Trends nach Corona
"Das ist einmal working anywhere. Also letzten Endes geht es darum, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, dort zu arbeiten, wo es für sie am produktivsten ist. Der zweite Punkt ist working any time. Die Möglichkeit, den Mitarbeiter noch mehr Freiheit zu geben, dann zu arbeiten, wann er es will. Auch Samstagsarbeit wird gerade diskutiert und auch mit den Betriebsräten intensivst verhandelt." So schildert Rainer Huff vom Mobilfunk- und Internet-Provider Telefonica die Entwicklung der post-pandemischen Arbeitswelt.
Ein Bildredaktor der Nachrichtenagentur Keystone-SDA arbeitet an seinem Arbeitsplatz im Homeoffice
Ein Beschäftigter im Homeoffice (dpa / KEYSTONE)
Die Arbeit mit Tabellen im Homeoffice oder mit dem Laptop im Garten, die schnelle Videokonferenz per Tablet, der Entwurf für den Vortrag und die Arbeit an der Präsentation am Küchentisch – verteilte Technologien, Breitbandkommunikation und schneller Mobilfunk bieten unglaubliche Flexibilisierungsmöglichkeiten - nicht nur für die Büroarbeit. Junge Familien kann das entlasten, wenn Eltern ihre Arbeit besser um die Kinderbetreuung herum organisieren können.
Überbelastung durch entgrenzte Arbeit
Aber: Dieser Trend entgrenzt die Arbeit auch. Und dann wird es schnell gefährlich. Sechstagewoche inklusive Sonntagsarbeit und zusätzlicher Spätschicht von 21 Uhr bis Mitternacht, Liegengebliebenes noch schnell aufzuarbeiten, das kann zu übermäßigen Belastungen führen. Irgendwann tritt dann im Homeoffice das Private völlig hinter die beruflichen Aufgaben zurück. Neue Formen der Arbeitszeiterfassung etwa sind da nötig.
Doch einige Konzepte sehen vor, die Arbeitnehmer regelrecht zu tracken, zum Beispiel bei der Arbeit mit virtuellen Werkzeugen, die das Homeoffice mitten in die Firmenzentrale hineinversetzen. Die Trendexpertin Birgit Gebhardt beschreibt das so: "Wir gehen in virtuelle Welten, haben digitale Zwillinge, simulieren gewisse Technologien. Das ist ja auch der Vorteil an der Digitalisierung, dass sie eigentlich die Werkzeuge, um mit dieser neuen Komplexität umgehen zu können, auch gleich mitbringt."
Birgit Gebhardt plädiert dafür, vor allen Dingen die Chancen beim Einsatz solcher virtueller Technologien zu sehen. "Das bedeutet, dass das Ziel natürlich einer Inklusion und einer Chancengleichheit in der Gesellschaft nahe ist, wenn wir diese digitalen Möglichkeiten, aber auch das Monitoring, das individuelle Tracking zulassen. Und wenn wir aus der künstlichen Intelligenz mit globalem Wissen praktisch unsere eigene Kompetenzen anreichern können."
Kabelsalat hängt an einem Schreibtisch in einem Büro
Kabelsalat hängt an einem Schreibtisch in einem Büro (dpa / Kirchner-Media / Wedel)
Komplettüberwachung von Arbeitnehmern?
Die Gefahren dabei dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Das kann bin hin zur Komplettüberwachung von Arbeitnehmern, selbst in ihren ganz privaten Bereichen, führen. Da ist Vorsicht angebracht: Die Risiken müssen umfassend bewertet werden. Dafür wirbt Stefan Rief vom Fraunhofer IAO. "In unserem Datensatz mit über 2000 Teilnehmern, die hatten vor der Pandemie 2,5 Tage pro Monat von zuhause gearbeitet. Also das ist jetzt nicht ein flexibilisiertes Dax-Unternehmen, sondern das ist vielleicht so, ja ein guter deutscher Durchschnitt. Und die werden hinterher, geben Sie an, 7,2 Tage pro Monat, also ein Drittel der Arbeitszeit von zu Hause arbeiten."
Homeoffice ist nicht per se "grün"
Die Expertinnen und Experten erwarten 18 Prozent weniger Verkehrsaufkommen, wenn an zwei oder drei Tagen in der Woche im Homeoffice gearbeitet wird. Das klingt gut, heißt aber noch lange nicht, dass die Arbeit im Homeoffice klimaverträglicher ist.
"Homeoffice ist nicht nur per se green, sondern auf der anderen Seite, wenn wir es so betreiben wie im vergangenen Jahr, dass wir Parallelstrukturen vorhalten, dann ist es, glaub ich, sogar eher eine ökologische Katastrophe. Und das heißt einfach: Wir brauchen auch dort die digitale Unterstützung und Synchronisierung zwischen Zuhause und Büro, intuitiv. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt."
Technikfolgen im Blick haben
Die digitalen Begleittechniken für das Homeoffice müssen jetzt ausprobiert werden. Und vor allen Dingen brauchen wir so etwas wie eine Technikfolgenabschätzung. Denn man könnte diese Begleittechniken unter die Oberbegriffe Smart Office/Smart Home stellen, letztlich steht dann ein Smart-City-Konzept dahinter. Aber wann immer eines dieser Konzepte bisher mal umgesetzt, angewandt wurde, wurden große Sicherheitslücken gefunden, an die vorher niemand gedacht hatte, über die dann alle sehr erstaunt waren. Und wir haben Möglichkeiten zum Datenmissbrauch gefunden, bis hin zur Komplettüberwachung, die bei der Entwicklung dieser Techniken völlig vernachlässigt wurden.
Klare Regeln zur Datennutzung
Die Synchronisierung von Homeoffice und Firmenzentrale brauche auch klare Regeln, welche Daten der Arbeitgeber überhaupt nutzen darf. Wie weit darf er das, was auf dem Rechner im Homeoffice geschieht, tracken und überwachen. Wann sind Zugriffe auf das Firmennetzwerk transparent für den Arbeitgeber, wann verraten sie zu viel über private Lebensumstände?
Und welche Regelungsbefugnisse werden dem Arbeitgeber eingeräumt. Wenn der Beschäftigte morgens die Wohnung verlässt, also nicht mehr im Homeoffice ist, soll dann getrackt werden, damit das Facility-Management des Arbeitsgebers rechtzeitig weiß: Aha, da rückt jetzt unser Mitarbeiter in die Firmenzentrale ein, also muss das System ihm heute einen Schreibtisch und weitere Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Hat er das letzte Mal in der Firmenzentrale konzentriert allein am Schreibtisch gearbeitet oder war er in Besprechungen. Neben welchen anderen Mitarbeitern hat er dann im Großraumbüro gesessen?
Und das ist die große Frage: Welche Daten davon sollen wie organisiert und verarbeitet werden. Und wie wird sichergestellt, dass niemand diese Daten missbraucht? Das geht hin bis zur Nutzung von Übersetzungsprogrammen, aus denen der Arbeitgeber exakt auf Fremdsprachenkenntnisse schließen kann.
Die Technikfolgenabschätzung für das verteilte Arbeiten
Die Technikfolgenabschätzung muss auf mehreren Ebenen erfolgen:
  1. Die bisherigen Smart-City-Konzepte mit ihren Begleittechnologien fürs Homeoffice auf Sicherheitslücken prüfen.
  2. Mögliche Ansatzpunkte für Datenmissbrauch aufdecken und Regularien entwickeln, die genau diesen Datenmissbrauch verhindern.
  3. Die Bürotechnologien im Bereich Virtuelle Realität und Software mit KI-Unterstützung von vornherein so designen, dass Datensouveränität garantiert werden kann.
Dem stehen natürlich die Interessen großer Internet-Konzerne entgegen. Die haben in der Pandemie erkannt, wie sie noch umfassendere Daten bekommen und vermarkten können und dass sie ihre bisherigen Überwachungstechnologien auf diese neue verteilte Arbeitswelt ausdehnen müssen. Und das haben sie in der Pandemie sehr erfolgreich gemacht.