Träge rauschen die Autos vorbei am Kornmarkt, im Zentrum von Bautzen. Passanten überqueren den Platz in Richtung des Einkaufszentrums auf der anderen Straßenseite. Nichts erinnert an diesem Mittag an die Ereignisse vor wenigen Wochen.
Am Abend des 14. September jagten etwa 80 Menschen, viele von ihnen aus dem rechtsextremen Spektrum, überwiegend minderjährige Flüchtlinge durch die Stadt. Vorangegangen waren gegenseitige Provokationen am Kornmarkt.
Wenige hundert Meter vom Kornmarkt entfernt steht das historische Rathaus mit seinem charakteristischen gelben Turm. Hier arbeitet Alexander Ahrens, seit gut einem Jahr ist er Oberbürgermeister in Bautzen. Parteilos, er wurde von den Linken und der SPD unterstützt. Als es in seiner Stadt zu den Übergriffen kam, war er gerade auf einer Dienstreise in Düsseldorf. Knapp zwei Monate später versucht er eine erste Bilanz:
"Das Bemerkenswerte ist ja, dass sich die Lage gar nicht so großartig verändert hat. Das muss man natürlich so verstehen, dass wir natürlich eine Problematik haben, dass wir auch ein paar agile Rechtsextreme in der Stadt haben. Da sind auch einige dabei, die man definitiv nicht als harmlos bezeichnen kann. Aber die Stimmung in der Stadt nicht groß verändert ist."
Schon wieder gab es Auseinandersetzungen
Anfang November kam es erneut zu Vorfällen in der Innenstadt. Flüchtlinge wurden bedroht, auch mit einer Schreckschusspistole. Ahrens nennt das eine neue Qualität. Und auch zu Beginn dieser Woche gab es wieder eine Auseinandersetzung, wieder auf dem Kornmarkt. Er sei mit allen Seiten im Gespräch, wie man die Situation dauerhaft beruhigen könne, sagt Ahrens. Er geht davon aus, dass rechte Gruppen gezielt Flüchtlinge provozieren wollen und sich dafür im Internet organisieren. Ende Oktober traf er sich auch mit Vertretern von rechtsextremem Gruppierungen. Darunter auch die sogenannten Gruppe "Stream BZ", die auf Ihrer Facebook-Seite Wehrmachtsymbole einsetzt und zu Demonstrationen aufruft, um den so wörtlich "Nazikiez Bautzen" zu verteidigen. Mehrfach hat Facebook die Seite der Gruppe gelöscht, die sich dann wieder unter leicht verändertem Namen angemeldet hat.
"Mitgenommen habe ich definitiv den Eindruck, dass gerade die Vertreter von Stream BZ, die ja im Internet sehr aktiv sind, das sind definitiv keine Idioten. Sie mögen politische Ansichten haben, die zum Teil, äh, atemberaubend sind, wenn ich es mal so formulieren darf. Aber es sind durchaus Menschen, die durchaus zu einem kultivierten Dialog fähig sind."
Einen Dialog, den Ahrens fortsetzen möchte. Und ein Dialog, den in Bautzen viele kritisieren. Claus Gruhl, der für die Grünen im Stadtrat sitzt, fühlt sich im Nachhinein bestätigt: "Ein paar Tage später lese ich in der Pressemitteilung der Stadt und auf der Internetseite der rechtsextremen in praktisch gleichlautendem Wortlaut. Nämlich: Er spricht von 'rechtsorientierten Bürgern', die wären eigentlich gar nicht ausländerfeindlich und hätten auch was gegen Gewalt. Auf der rechtsextremen Seite las ich das dann so wie 'das war ein äußerst fruchtbares Gespräch mit dem Oberbürgermeister'."
Ein Problem war das Fehlen von mobiler Sozialarbeit
Ein Podium habe er den Rechten gegeben, ihre Positionen salonfähig gemacht, sagt Gruhl. Oberbürgermeister Ahrens weist diese Kritik zurück. Er sieht keine Alternative zu Gesprächen: "Ich weiß, dass das in gewisser Hinsicht ein Tabubruch ist, überhaupt mit rechts zu reden. Aber die letzten Jahrzehnte haben ja auch gezeigt, dass wir kein Erfolgsmodell haben, diese Thematik in den Griff zu kriegen."
Fehler, die in Vergangenheit begangen wurden zu korrigieren, brauche Zeit. Ahrens wirkt da relativ entspannt. Ein Problem, das inzwischen alle Seiten eingestehen, war das Fehlen von mobiler Sozialarbeit in der Stadt. Die hätte auf dem Kornmarkt möglicherweise präventiv eingreifen können, als sich dort im Sommer aus Streitereien und kleineren Delikten schließlich die Hetzjagd auf Flüchtlinge entwickelt hatte. Nun hat der zuständige Landkreis 150.000 Euro dafür eingeplant.
Ein Nachmittag im Steinhaus, einer soziokulturellen Einrichtung in Bautzen, die unter anderem aus öffentlichen Mitteln finanziert wird und auch Jugendarbeit anbietet. Junge Menschen – Deutsche und Flüchtlinge – spielen Tischtennis, es gibt Aktionen und Workshops. Gerade an mobiler Jugendarbeit werde oft gespart, sagt der Leiter des Steinhauses Torsten Wiegel, und so war es eben auch in Bautzen.
"Weil es eben nicht der Pflichtleistungsbereich in der Jugendhilfe ist. Und dann wird sehr schnell und sehr oft die Frage gestellt, wie könnt ihr denn beweisen, dass Prävention was bringt. Ich sage an der Stelle immer, wir können beweisen, was Prävention, wenn sie nicht stattfindet, bringt und dafür ist Bautzen gerade ein deutliches Beispiel. Das heißt also der Rückzug der öffentlichen Hand aus dem öffentlichen Raum führt oftmals eben dazu, dass der dann auch anders besetzt wird. Genau das hat hier stattgefunden."
Viele Geflüchtete meiden mittlerweile abends den Kornmarkt
Mit der Folge, dass viele Geflüchtete abends den Kornmarkt mittlerweile meiden – oder gleich die ganze Innenstadt, erzählt Steinhaus-Mitarbeiter und Sozialpädagoge Uwe Reschwamm, der nachmittags die offene Jugendarbeit im Steinhaus anbietet.
"Ich hab gestern mit einem jungen Mann gesprochen, der geht an die Abendschule, lernt hier Deutsch. Und der ist da mit zwei anderen aus seiner Flüchtlingsunterkunft und der stand hier und sagte Uwe, gibt es irgend eine Möglichkeit, ich bin jetzt schon seit einer Woche nicht mehr in die Schule gegangen, ich will gerne hingehen, aber ich hab einfach total Schiss, abends dort 21 Uhr über die Friedensbrücke, über den Kornmarkt in meine Flüchtlingsunterkunft zu gehen."
Das höre er von vielen Flüchtlingen, sagt Reschwamm. Über private Unterstützer hat er in diesem Fall die Fahrt zum Deutschkurs organisiert. Das Glück dürften nicht alle haben. Auf dem Bautzener Kornmarkt fährt auch an diesem Abend bei Einbruch der Dunkelheit ein Mannschaftswagen der Polizei vor.