Jasper Barenberg: Die schlimmsten Befürchtungen klangen in etwa so: Getragen vom Brexit und von Trump-Sieg in den USA gewinnt der Nationalist und Populist Geert Wilders die Parlamentswahlen in den Niederlanden, bevor dann Marine Le Pen vom Front National Präsidentin von Frankreich wird und nach der Bundestagswahl im Herbst AfD, Pegida und Co. Weiter die Politik in Deutschland von rechts unter Druck setzen. Am Tag nach der Wahl in den Niederlanden sieht es aber ein wenig anders aus, denn in Den Haag verliert Ministerpräsident Rutte zwar Stimmen, kann sich aber mit seiner rechtsliberalen VVD klar als stärkste Kraft behaupten. Geert Wilders dagegen muss über eher mäßige Gewinne enttäuscht sein. Die Regierungsbildung dürfte trotzdem lang dauern und schwierig werden, weil mit den Sozialdemokraten der Koalitionspartner regelrecht abgestürzt ist, dafür aber etwa die Grünen die Zahl ihrer Sitze nahezu vervierfachen konnten.
Am Telefon begrüße ich den SPD-Europaparlamentarier Knut Fleckenstein. Schönen guten Morgen.
Vormarsch der Populisten "ist nicht Gott gewollt"
Knut Fleckenstein: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Wie verteilt sich das bei Ihnen, Erleichterung und doch weitere Sorgen mit Blick auf die Wahlen in Frankreich und auch die Bundestagswahlen in Deutschland?
Fleckenstein: Es ist zunächst mal wirklich eine große Erleichterung, weil das Ergebnis zeigt, es ist nicht Gott gewollt, dass diejenigen, die wir Populisten nennen und Rechtsradikale zum Teil, auf dem Vormarsch sind, sondern man kann dagegen etwas tun und es lohnt sich, in Frankreich und in Deutschland offensiv weiter zu arbeiten, damit diese Bewegung in Grenzen bleibt und auch zurückgedrängt wird.
Barenberg: Ist dieser Ausgang der Wahlen möglicherweise auch ein Signal, dass wir es mit der Aufmerksamkeit für Geert Wilders und mit den Befürchtungen vielleicht etwas übertrieben haben? Man hatte ja zwischendurch den Eindruck, dass in den Niederlanden viele Menschen viel gelassener dem Wahltag entgegensehen als auf der europäischen Bühne.
Fleckenstein: Ja, das kann so sein. Auf der europäischen Bühne ist natürlich nach dem Brexit, nach dem von uns immer noch nicht verdauten Sieg von Donald Trump schon ein bisschen, ich will nicht sagen, Panik ausgebrochen, aber doch die Sorge gewachsen, dass man scheinbar kaum was dagegen tun kann, dass diese Bewegungen immer mehr in den Vordergrund kommen. Und die Wahlen in den Niederlanden haben deutlich gezeigt, dass dort weit über 85 Prozent derjenigen, die zur Wahl gegangen sind – und es sind ja viele zur Wahl gegangen, die das plötzlich als wichtig angesehen haben, es nicht anderen zu überlassen, wie das Land regiert wird -, dass die sagen, nein, mit solch einer Bewegung wollen wir nichts zu tun haben. Wir wollen bei aller Kritik, die es gibt, auch an der Europäischen Union – und die gibt es ja berechtigterweise -, weiter arbeiten an diesem Projekt, weil wir glauben, dass das unsere gemeinsame Zukunft nur sein kann.
"Das Geheimnis ist wahrscheinlich auch Herr Erdogan gewesen"
Barenberg: Nun hat ja dieser Wahlausgang auch gezeigt, oder er wird jedenfalls so gedeutet, dass es in gewisser Weise auch die klaren Ansagen von Mark Rutte in Richtung Türkei waren und, muss man ergänzen, auch die klaren Worte gegenüber den Zuwanderern in seinem eigenen Land, in den Niederlanden, die diesen Wahlsieg dann herbeigeführt haben. Macht Ihnen das Sorgen?
Fleckenstein: Nein, das macht mir insofern keine Sorgen. Ich bin persönlich nicht der Meinung, dass man sich sozusagen an die Bewegung annähern soll, um sie zu schlagen, sondern …
Barenberg: Aber ist das nicht das Geheimnis gewesen dieses Wahlsieges?
Fleckenstein: Ja, das Geheimnis ist wahrscheinlich auch Herr Erdogan gewesen. Aber trotzdem: Es gibt sicher unterschiedliche Situationen in den Ländern. Ich glaube, dass wir in Deutschland ganz gut damit fahren, wenn wir eher die Politiker, die der AfD beispielsweise angehören, entlarven, indem wir uns mit ihren Argumenten auseinandersetzen und deutlich machen, dass sie in Wirklichkeit nur Scheinlösungen vorstellen und nicht eine wirkliche Alternative darstellen. Und wenn wir das offensiv weiter machen, glaube ich, wird es auch in Deutschland gelingen, die AfD zurückzudrängen, und daran arbeiten wir jetzt noch mal ein halbes Jahr.
Barenberg: Ihrem nächsten Parteivorsitzenden Martin Schulz werden Sie nicht empfehlen, was Mark Rutte getan hat, nämlich einen Brief, einen öffentlichen Brief zu schreiben, groß abgedruckt in allen Zeitungen, in dem steht der Rat an die Zuwanderer, benehmt euch in diesem Land, oder geht wieder?
Fleckenstein: Nein, so einen Rat braucht Martin Schulz bestimmt nicht. Auf der anderen Seite ist es natürlich schon wichtig, dass man den Leuten zuhört, die meinen, man müsste mal ein Zeichen setzen, weil etwas nicht in Ordnung ist im Lande, und deshalb darf man es sich auch nicht zu einfach machen. Man darf nicht sagen, das sind alles Spinner und wir gehen unseren Weg einfach weiter. Man muss sich mit den Argumenten auseinandersetzen. Man muss Argumente selbst liefern. Man muss auch zuhören können, und das ist ja etwas, was bezweifelt wird, dass das die etablierten Politiker können. Wir müssen beweisen, dass das nicht stimmt und dass wir auch in der Lage sind, dort wo es notwendig ist besser zu werden.
"Wir müssen uns bemühen, für die Wähler attraktiv zu sein"
Barenberg: In den Niederlanden zeichnet sich ja bei aller Erleichterung jetzt auch ab, dass der Rechtspopulist Wilders bisher die politische Agenda bestimmt hat und dass nichts dafür spricht, dass er jetzt auf einmal verschwindet und die starke Minderheit, die seine Thesen unterstützt. Ist das auch eine Entwicklung, mit der wir uns in Deutschland einstellen müssen, es bleibt bei der Auseinandersetzung mit solchen, oft fremdenfeindlichen, ausländerfeindlichen Thesen?
Fleckenstein: Ja. Ich glaube, dass wir uns darauf einrichten müssen, dass wir auch in Zukunft mit solchen Bewegungen, Parteien rechnen müssen, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen, dass wir uns bemühen müssen, für die Wähler attraktiv zu sein, die in erster Linie ja das Gefühl haben, dass sie sozial abgehängt werden durch eine imaginäre Bedrohung durch ausländische Menschen in unseren Ländern. Das können wir nicht wegreden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wenn wir es ordentlich machen, haben wir eine große Chance, dass die Zahl klein bleibt, aber es wird immer ein Rest bleiben, der auch unbelehrbar ist.
Barenberg: In den Niederlanden sind ja jetzt gerade die Sozialdemokraten heftig abgestürzt, geradezu verprügelt worden von den Wählern, vor allem, wie es heißt, als Kritik an den harten Einschnitten in den Sozialleistungen, die die Sozialdemokraten in den Niederlanden mitgetragen haben. Was bedeutet das für den Wahlkampf der SPD? Sehen Sie das ganz richtig, dass Martin Schulz beispielsweise auf den Ausbau von Arbeitslosengeld II setzt, also auf genau das Gegenteil, nämlich den Ausbau von sozialen Leistungen?
Fleckenstein: Es geht ja um beides. Auf der einen Seite müssen soziale Leistungen bezahlbar bleiben. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass man die Gerechtigkeitslücke, die es durchaus gibt, nicht größer werden lässt, sondern daran arbeitet, sie kleiner zu machen. Insofern glaube ich, dass die Prioritäten richtig gesetzt sind bei Martin Schulz. Die Gerechtigkeitsfrage ist eine Frage, die viele Menschen bewegt, auch diejenigen, die gar nicht sich im Nachteil fühlen, aber das Gefühl haben, sie könnten da schnell hinein geraten. Insofern muss man sich mit dieser Frage beschäftigen, dass jemand, der viele, viele Jahre hart gearbeitet hat, nicht innerhalb kürzester Zeit sozusagen durch alle Maschen fällt und seine Familie und sich selbst nicht mehr vernünftig ernähren kann.
Barenberg: Knut Fleckenstein, der SPD-Europaparlamentarier, hier live im Deutschlandfunk heute Morgen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Fleckenstein. Schönen Tag Ihnen!
Fleckenstein: Ich danke Ihnen. Tschüss, Herr Barenberg.
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