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Nach der Niedersachsen-Wahl
Zwischen Kater- und Siegesstimmung

Das amtliche Endergebnis liegt vor: Die SPD hat die Wahl klar gewonnen und ist mit Abstand stärkste Kraft geworden. Aber für die Fortsetzung von Rot-Grün wird es nach Auszählung sämtlicher Wahlkreise nicht reichen. Mit wem soll Stephan Weil - der alte und wohl auch neue Ministerpräsident - zukünftig regieren?

Von Alexander Budde |
    Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kommt am 15.10.2017 mit seiner Frau Rosemarie Kerkow-Weil auf der Wahlparty der SPD in Hannover (Niedersachsen) an. Foto: Julian Stratenschulte/dpa | Verwendung weltweit
    Gute Laune: Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil am Wahlabend (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Es muss nicht immer schädlich sein, wenig Schlaf zu bekommen. "Also, wie immer ist mein Hormonspiegel ausgeglichen. Und wie immer auf positivem, hohem Niveau", sagt Detlef Tanke, SPD-Generalsekretär in Niedersachsen, am Tag nach dem Wahlrausch. Gut gelaunt schaltet er in den nüchternen Analysemodus. Den Sieg verdanke man einer simplen Formel:
    "Die Wahlphilosophie vieler Werbeagenturen, oder aber auch - was Allgemeingut ist in Parteivorständen - ist ja, dass man Wahlen vor allen Dingen gewinnt, wenn die drei P’s stimmen. Und die stimmen in Niedersachsen."
    Die drei P’s
    P Nummer eins: Die Partei habe geschlossen ihren Mann gestanden. Nicht zuletzt verstärkt durch die Causa Twesten. P Nummer zwei: Das Programm habe sich klar von der Union abgegrenzt. Und: "Natürlich kann man keine Wahlen gewinnen, wenn man nicht in der Spitzenperson, dem dritten P, kein überzeugendes Angebot gemacht hat." Und das habe man.
    Auf die P’s der CDU angesprochen, kann deren Generalsekretär Ulf Thiele keine Versäumnisse erkennen. Keine großen zumindest: "Das muss ich mit Respekt anerkennen - es ist der SPD gelungen, indem sie immer wieder Programmpunkte, Vorschläge zur Verbesserung der Situation - die wir gemacht hatten - einfach übernommen hat. Das ist ja alles Copy-Paste gewesen."
    Rückblende: Punkt 18.00 Uhr im Fraktionssaal der SPD blicken die Genossen gebannt auf die Leinwand. Dann bricht Jubel aus. Darauf hätte selbst hier kaum jemand gewettet. Noch im August schien Amtsinhaber Stephan Weil durch den Mehrheitsverlust schwer angezählt. Doch gerade das hat seinen Kampfgeist geweckt. Weil, der eigentlich die Gemütslage des nüchternen Verwaltungsmenschen ausstrahlt, der sich nie in Talkshows setzt, drehte im kurzen Wahlkampf mächtig auf. Knapp 37 Prozent für die geschlossen kämpfenden Genossen, aus der Aufholjagd wird ein Überholmanöver.
    Schwierige Regierungsbildung
    Stephan Weil: "Erstmals seit 19 Jahren können wir wieder die stärkste Fraktion im niedersächsischen Landtag werden!" Doch Weil, der neue Hoffnungsträger der gebeutelten Sozialdemokratie, kostet seinen Triumph nicht aus. Er ahnt schon, dass die Regierungsbildung nicht einfach wird.
    Nur einige Gänge weiter, dasselbe Stockwerk im Leineschloss, dem Landtag: Auch hier Jubel. Und Loblieder auf CDU-Herausforderer Bernd Althusmann, der inmitten der feiernden Wahlverlierer noch eine ganze Weile braucht, das für ihn eigentlich enttäuschende Ergebnis zu realisieren.
    Bernd Althusmann: "Die Union hier in Niedersachsen ist mit 35 Prozent stärkste … zweitstärkste (Gelächter) Kraft … stärkste wären wir gerne geworden." Sogar weniger als 34 Prozent werden es im Laufe des Abends. Immerhin, ein Etappenziel sieht der frühere Kultusminister erreicht: Es reicht nicht für eine Fortsetzung von Rot-Grün. Er gedenke nicht, in Sack und Asche zu gehen, verkündet Althusmann markig. Er fordert noch am Wahlabend den Fraktionsvorsitz, bietet sich aber ebenso eifrig als Juniorpartner in der großen Koalition mit den Sozialdemokraten an.
    Hipp, aber nicht erfolgreich
    Juniorpartner - da klingelt was beim bisherigen Koalitions-Vize, dem grünen Umweltminister Stephan Wenzel. "Wir haben alles gegeben! Wir sind auch als Bündnis angetreten, um Rot-Grün fortzusetzen. Es gab einen gewissen Stimmentausch hier, weil natürlich die Wählerinnen und Wähler auf den letzten Metern wollten, dass der Ministerpräsident der amtierenden Regierungskoalition die Nase vorn hat. Das hat uns einige Federn gekostet", so Wenzeln.
    Zwar haben sich die Grünen eine hippe Tequila-Bar als Schauplatz für ihre Wahlparty ausgesucht, doch statt Sekt gibt es Selters - niemand hier ist wirklich in Feierlaune. Immerhin, einen Lichtblick gibt es in dieser Nacht für Wenzel: Die Populisten wurden zwar nicht aus dem Landtag heraus, aber bemerkenswert klein gehalten.
    Die Menschen zwischen Nordsee und Harz haben einen harten und zugleich erfrischend lebhaften Wahlkampf erlebt. Es ging um Köpfe, um Positionen, um das große Landesthema Schulpolitik. Nach einer Nacht mit vielen Volten, macht sich im politischen Hannover eine neue Nüchternheit breit.
    Der Souverän will Stephan Weil - den alten Regierungschef - auch als neuen sehen. Doch mit wem soll er das einflussreiche Bundesland regieren? Die FDP ist Zünglein an der Waage, aber Landeschef Stefan Birkner hat jegliche Diskussion über eine so genannte Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen kategorisch ausgeschlossen:
    "Weil wir eben einen Neustart in der Landespolitik brauchen: in der Bildungspolitik in der Digitalisierungspolitik aber auch in der Rechtsstaatspolitik. Und deshalb stehen wir da nicht zur Verfügung - das haben wir vorher unseren Wählerinnen und Wählern auch deutlich gemacht und gesagt", so Birkner. Gesagt, getan. Bislang halten sich die Liberalen daran. Die Frage ist, wie lange noch.