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Nach der NRW-Wahl
"Berlin war nie unbeeindruckt von Düsseldorf"

Als Vorwahl für die Bundestagswahl spiele die Abstimmung in Nordrhein-Westfalen durchaus eine Rolle, sagte der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte im DLF. Der entscheidende Fehler von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sei gewesen, dass sie sich "verzwergt" habe, indem sie sich im Wahlkampf in der Bundespolitik zurückgenommen habe.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Christine Heuer |
    Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler, aufgenommen am 22.05.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Die Krise der Volksparteien - Wo führt das hin?" in den Studios Berlin-Adlershof. Foto: Karlheinz Schindler | Verwendung weltweit
    Der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte: "Schlüsselentscheidungen von großem Gewicht sind immer für Mehrheitsbildungen in NRW gefallen", so Korte im DLF. (dpa/Karlheinz Schindler )
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Karl-Rudolf Korte, Parteienforscher an der Uni Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.
    Karl-Rudolf Korte: Guten Tag.
    Heuer: Was war das jetzt, eine Landtagswahl oder doch eher eine kleine Bundestagswahl? Ging es mehr ums Land oder um den Bund?
    Korte: Schlüsselentscheidungen von großem Gewicht sind immer für Mehrheitsbildungen in NRW gefallen. Berlin war nie unbeeindruckt von Düsseldorf. Da kann man nie die Ebenen komplett voneinander trennen.
    Heuer: Also beides?
    Korte: Beides auf jeden Fall, weil einmal der Spitzenkandidat der SPD zur Bundestagswahl gebürtig ist aus NRW und auch als Spitzenkandidat antritt und es selbst formuliert hat, dass das eine wichtige Vorwahl ist für die Bundestagswahl, und gleichermaßen ist es auch eine Landtagswahl, weil natürlich die elementarsten zentralen Themen, die im Land zu entscheiden sind, auch vom Kabinett gestaltungszielsmäßig vorzugeben sind, dort entschieden worden sind.
    Heuer: Ist, Herr Korte, Hannelore Kraft jahrelang mächtig überschätzt worden?
    Korte: Nein, das würde ich so nicht sehen. Sie hat sich selbst verzwergt durch eine eigene Art, sich aus der Bundespolitik zurückzunehmen, obwohl sie die mächtigste gestaltende, koordinierende Frau war für die SPD in Berlin für den Bundesrat. Ohne sie lief gar nichts. Aber sie hat dies nicht öffentlich als Aktivposten bewertet, sondern sie meinte, für sich ist die Welt in NRW. Und so kommt am Ende auch ein Wohlfühlwahlkampf als Lebensgefühlkampagne heraus, die aber mit der Realität der Bürger, das was sie als Antwort haben wollten im Wahlkampf, nichts mehr zu tun hat.
    "Wer am besten mobilisiert, gewinnt auch"
    Heuer: Sie sagen, Hannelore Kraft hat sich selbst aus der Bundespolitik rausgehalten. Im Wahlkampf hat sie jetzt die Bundespolitik aus Nordrhein-Westfalen rausgehalten. War das ein entscheidender Fehler?
    Korte: Ja. Es ist ja interessant zu sehen: 150.000 Stimmen bei Zweitstimmen trennen SPD und CDU. Das ist eigentlich eine Pattrepublik. In den letzten 15 Jahren war der eine mal vorne, mal der andere. Durch Koalitionsbildungen hat sich das ein wenig überlagert, so dass man das nicht gesehen hat. Wer am besten mobilisiert, gewinnt auch. Deswegen kann man sagen, Wahlkampffehler elementarer Art sind bei der SPD erkennbar, die ein Lebensgefühlthema in den Mittelpunkt gerückt haben und nicht die drei zentralen Fragen, die immer wieder erkennbar waren, Mobilität, Schule und Sicherheit beantwortet haben. Es ist vieles selbstgemacht über fehlende Antworten im Blick auf Zukunftsthemen, die die Menschen umtreibt.
    Heuer: Die SPD hat der CDU ja auch vorgeworfen, mit diesen drei wichtigen Themen so etwas wie einen populistischen Wahlkampf geführt zu haben, immer nur auf die SPD einzudreschen, statt eigene Inhalte zu präsentieren. Ist das so?
    Korte: Nein, das sehe ich nicht so. Es ist ein klassischer Oppositionswahlkampf, aggressiv in der Themenwahl, aber verbindlich, was die Personen anbelangt. Es wurden keine einzelnen Personen diffamiert. Wir sind entwöhnt, durch Zeiten der Großen Koalition fehlen uns in der Regel Oppositionsparteien, oder Parteien sind in der Regierungsverantwortung und können dann gar nicht richtig angreifen. Das war klassische Vorgabe, Themenkompetenz sich zu erarbeiten und damit eine Regierung vor sich herzutreiben. So wünscht man sich das als Wähler auch und das ist durchaus nicht nur eine Leistungsschau im Sinne von Erntedankfesten, die nicht stattfinden, sondern durchaus Zukunftsperspektive. Klar, es werden Anmutungen gewählt, Vermutungen. Wir wissen nicht, wie die CDU wirklich konkret einen Stau am besten lösen kann oder Sicherheitsfragen angeht, aber es wird ja Hoffnung mitgewählt.
    Heuer: Herr Korte, dann sprechen wir noch über den Bund. Der Schulz-Effekt hat jetzt das dritte Mal in Folge versagt. Ist das eine Fata Morgana?
    Korte: Nein. Es ist weit genug weg von der Bundestagswahl, so dass der Neustart der SPD durchaus jetzt beginnen kann. Es gibt ja beides. Es gibt die Sehnsucht nach Kontinuität, nach "weiter so", nach dem Bekannten, was man dem Unbekannten vorzieht. Aber es gibt auch Sehnsucht nach Emotionen, nach Projektion, nach Leidenschaft. Diese zwei Monate mit Martin Schulz waren ein Teil dieser Projektion und da ist eine Sehnsucht da, nicht nur "weiter so", sondern auch ein Stück weit eine Wahl zu haben. Das würde ich, wenn ich jetzt SPD wäre, versuchen, als Trend zu verstärken, denn das ist nicht weg.
    Heuer: Die FDP – nächste Partei – ist zurück, stärker und besser als vorher, oder nur in einem neuen Gewand, im Unterhemd und mit Drei-Tage-Bart?
    Korte: Die FDP ist – und das sieht man sehr schön – im Parteiensystem hat sie offenbar ein Alleinstellungsmerkmal sich erarbeitet. Die Leute sind wieder neugierig auf ein Thema, nicht nur als Funktionspartner, als Funktionspartei, sondern dass sie inhaltlich eine Ergänzung bringt zu dem, was man vermisst. Sie versucht, Defizite herauszuarbeiten, und das ist ein Stück weit Gelbfieber und insofern auch vielleicht ein Stück weit im Moment medial überbewertet, aber man sieht sehr viel bei den Wählern, dass hier eine besondere liberale Farbe, die offenbar gefehlt hat, wieder in die Parlamente einziehen soll. Anders ist diese Größenordnung nicht zu erklären. Und die FDP hatte ja einen Glücksfall des Kalenders, denn Kiel und Düsseldorf waren natürlich Steilvorlagen für die Bundestagswahl. In beiden hat sie die zentralen sichtbarsten Matadore der FDP. Hätten wir jetzt andere Landtagswahlen gehabt, sähe das nicht so strahlend aus.
    "Sie wirken aus der Zeit gefallen, aber nicht mit dem Ökologiethema"
    Heuer: Die Grünen, Herr Korte, haben extrem verloren in Nordrhein-Westfalen und sie liegen auch nicht besonders gut in den Umfragen für den Bund. Sind die Grünen vielleicht einfach nicht mehr zeitgemäß? Haben die ein bisschen den Anschluss an die brisanten Themen verloren, die die Wähler umtreiben?
    Korte: Sie wirken aus der Zeit gefallen, aber nicht mit dem Ökologiethema, sondern das stellt man ohnehin so ihnen zu, dass sie dafür am meisten Kompetenz haben, sondern eher durch den Zeittrend, dass Sicherheit und Identität die Grundmelodie vorgeben. Die Menschen wollen auf innere, äußere, kulturelle, soziale Sicherheiten Antworten haben, auf Identität, wer gehört dazu, wer gehört nicht dazu, und vor diesem Hintergrund laufen die Grünen mit Themen hinterher und ihr original eigentliches Thema ist nicht im Zentrum. Das ist im Moment fatal aus Sicht der Grünen. Das könnte man nur überlagern mit einer Neugierde einer neuen Person, die auch ein neues Gesicht in die Bundespolitik einbringt.
    Heuer: Wir haben gesprochen, Herr Korte, über Martin Schulz, aber noch nicht über Angela Merkel. Die zieht ja offenbar. Kann es sein, meine Schlussfrage an Sie, dass es eher einen Merkel-Effekt gibt als einen Schulz-Effekt?
    Korte: Den gibt es in all den Jahren. Aber ich warne davor. Wir hatten auch Merkel-Müdigkeit schon erkannt. Es kann über Wahlmanipulation der Daten, es kann über besondere Krisen, die noch entstehen unter der Signatur einer Zeit, die unkalkulierbar bleibt, bis September noch viel passieren und dann kann auch sie plötzlich nicht mehr als Krisenlotsin dastehen, sondern als eine, die vielleicht diese Krise nicht meistern kann und man sich dann wünscht, einen anderen zu haben. Das ist zugegebenermaßen rein spekulativ, aber vier Monate sind unglaublich lang.
    Heuer: In der Politik jedenfalls.
    Korte: Ja.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.