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Nach der Parlamentswahl
"'Italy first' wird wahrscheinlich Italien charakterisieren"

Laura Garavini von der sozialdemokratischen PD befürchtet, dass es nach der Parlamentswahl einen Rechtsruck in Italien geben wird und die souverän-nationalistischen Kräfte stärker werden. Sie wolle mit ihrer Partei dafür kämpfen, dass sich Italien nicht weiter von Europa entferne, sagte Garavini im Dlf.

Laura Garavini im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Porträtfoto der italienischen Abgeordneten der Demokratischen Partei, Laura Garavini, aufgenommen am 28.08.2013
    Laura Garavini ist Abgeordnete der Demokratischen Partei in Italien (dpa picture alliance / Fredrik von Erichsen)
    Christiane Kaess: Italienische Verhältnisse bezeichnen Italiens politisch chronisch instabile Konstellationen und die Parlamentswahl am Sonntag hat das wieder bestätigt – mit einigen Neuerungen allerdings. Zum ersten Mal ist die rechtsextreme Lega, die ursprünglich als separatistische Lega Nord gegründet worden war, landesweit bei Wahlen angetreten und hat gleich 17 Prozent der Stimmen bekommen. Im Mitte-Rechts-Bündnis hat die Lega damit sogar die Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi noch überholt. Die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung kam auf 32 Prozent und wurde stärkste Kraft. "Jetzt müssen alle mit uns reden", so freute sich Alessandro Di Battista, einer der bekanntesten Vertreter der Bewegung. Die bisher regierenden Sozialdemokraten des Partito Democratico, kurz die PD, die sind der große Verlierer der Wahl. Sie kamen nur noch auf knapp 19 Prozent.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit Laura Garavini. Sie ist Abgeordnete der sozialdemokratischen Partito Democratico, hat gerade ihr Mandat wiedergewonnen, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Garavini.
    Laura Garavini: Schönen guten Morgen.
    "Wir sind natürlich sprachlos"
    Kaess: Frau Garavini, der Chef der Lega-Partei, Matteo Salvini, der hat gesagt, Millionen hätten die Lega damit beauftragt, das Land von der Unsicherheit und Instabilität zu befreien, die Ex-Regierungschef Matteo Renzi und die EU zu verantworten hätten. Hat er recht?
    Garavini: Wir sind natürlich sprachlos, dass die Bevölkerung solche Parteien mit großer Mehrheit gewählt hat. Aber man muss auch sagen, wir haben auch eigene Fehler gemacht. Ich teile die Meinung Ihres Korrespondenten. Die internen Streitereien, die unsere Partei in den letzten Monaten charakterisiert hat, haben dafür gesorgt, dass die Wähler gedacht haben, die sind eher mit sich selbst beschäftigt als mit der Zukunft des Landes, und deswegen haben sie uns bestraft.
    Auf der anderen Seite haben wir auch anscheinend im Wahlkampf zu viel über die Ergebnisse gesprochen, sehr wichtige Ergebnisse, die wir in den letzten vier Jahren mit unserer Regierung erreicht haben.
    Kaess: Welche Ergebnisse denn? Die kamen ja beim Wähler offenbar nicht an. Welche Ergebnisse meinen Sie?
    Garavini: Wir haben beispielsweise innerhalb von drei Jahren über eine Million Arbeitsplätze geschafft, die meisten davon unbefristete Arbeitsstellen. Das Wachstum hat wieder angefangen, positiv und stark zuzunehmen. Also eine ganze Reihe von positiven Erfolgen. Aber die sind bei der Bevölkerung nicht angekommen, und vor allem haben wir auch vergessen, eine Vision für die Zukunft des Landes anzubieten, und das gemeinsam mit der Tatsache, dass wir auch nicht deutlich geäußert haben, was wird unsere zukünftige Vision sein. Wir sind als Mannschaft angetreten und das ist bei einer Politik, die eher personalisiert wird, anscheinend nicht erfolgreich gewesen.
    "Salvini nutzt strategische populistische Worte"
    Kaess: Frau Garavini, lassen Sie uns noch mal kurz auf die Vorwürfe zurückkommen, die Lega-Parteichef Matteo Salvini formuliert hat. Denn er sagt ja auch, Ihre Partei hat sich zu sehr an das Brüsseler Spardiktat, an die Brüsseler Sparvorgaben gehalten und auch zu wenig für die hohe Jugendarbeitslosigkeit getan. War das tatsächlich ein Fehler und was haben Sie da einfach nicht erkannt?
    Garavini: Das sind einfach von Salvini ganz instrumentelle strategische populistische Worte, die gar nicht der Wahrheit entsprechen. Wir sind diejenigen, die sogar gesagt haben, wir sind stark pro Europa, aber wir wollen auch Europa ändern. So geht es nicht, dass Europa einfach mit Diktat kommt und zum Beispiel bei so einem Thema wie Migration wegschaut. Wir sind genau die Regierung, die dafür gesorgt hat, dass nachdem Europa jahrelang weggeschaut hat und uns völlig alleine gelassen hat mit dem Problem der Migranten, wir haben dafür gesorgt, dass Europa sich endlich mal damit beschäftigt hat und da auch Verantwortung mitträgt.
    Wir haben zusammen mit Europa dafür gesorgt, dass in einem einzigen Jahr die Ankünfte der Migranten halbiert wurde. Aber wie gesagt, es ist natürlich einfach für antieuropäische populistische Parteien wie die Lega Nord, die Ängste der Menschen einfach auszunutzen, um Wahlkampf zu machen in einigen Zeiten, wo Migration leider zum Problem geworden ist. Und wie gesagt, die Wähler haben sich einfach täuschen lassen von solchen populistischen Parolen. Das ist keine gute Nachricht, weder für uns, noch für Europa.
    Kaess: Frau Garavini, Ihre Partei hat es ja auch zugelassen, dass die Lega dieses Thema Migration einfach so dominant auf die Agenda gesetzt hat. Das war Anfang Februar, als in Macerata auf afrikanische Migranten geschossen worden ist, und dann hat Salvini von der Lega Nord schon gesagt, es sei die unkontrollierte Einwanderung, die zu sozialen Zusammenstößen führt. Warum konnte die PD da nichts entgegensetzen?
    Garavini: Derjenige, also Salvini, der behauptet, wir tragen Verantwortung, dass so viele Migranten in Italien sind, ist derselbe, er gehört derselben Partei an, die damals mit Innenminister Maroni, also eben seinem Mann dafür gesorgt hat, dass beispielsweise der Dublin-Vertrag unterzeichnet wurde. Das ist genau das, was erlaubt hat, dass Europa sich mit dem Thema jahrelang überhaupt nicht konfrontiert hat und einfach dafür gesorgt hat, dass die Migranten, die in einem Land ankommen wie beispielsweise Italien, auch dort bleiben müssen. Das heißt, es sind dieselben politischen Kräfte, die eigentlich für die Probleme verantwortlich sind, die aber uns, diejenigen, die solche Probleme endlich mal gelöst haben, vorwerfen, wir hätten da nichts unternommen.
    "Europa muss das Thema Migration positiv annehmen"
    Kaess: Frau Garavini, auch das, was Sie jetzt gerade sagen, das ist ja offenbar bei den italienischen Wählern überhaupt nicht angekommen. Die rechtsextreme Lega aus dem Stand stärkste Kraft im rechten Lager. Wie erklären Sie sich das denn?
    Garavini: Ja! Ich denke, es ist genau dasselbe Phänomen, wofür Menschen beispielsweise in Ungarn Orbán wählen, der natürlich lieber eine Mauer baut und sagt, wir kümmern uns nicht um das Problem der Migranten. Wir haben von Anfang an gesagt, wir lassen Leute nicht sterben im Meer, wir kümmern uns darum, Europa muss das Thema Migration positiv und konstruktiv annehmen in einer solidarischen Art und Weise. Natürlich ist es nicht so, dass wir alleine uns damit beschäftigen müssen. Es muss solidarisch europaweit angenommen werden. Aber wir stehen dafür. Wir sind die Partei, wir sind die Regierung, die sagt, wir wollen eine solidarische Politik machen, die strukturell auch die Wurzeln des Problems angreift. Wir haben auch mit unserem Konzept "Migration Compact" massiv dafür gesorgt, dass beispielsweise in den Herkunftsländern investiert wird, auch von Seiten Europas. Aber wir müssen sehen, dass wir das Problem konstruktiv annehmen und dass wir einfach nicht nur populistische rassistische Töne gegenüber Migranten schüren. Das ist einfach keine Lösung.
    Kaess: Frau Garavini, Sie sind ja genau für diesen Kurs jetzt gerade abgestraft worden vom Wähler. Ich möchte noch mal den Lega-Chef Salvini zitieren mit einem anderen Thema. Er hat gesagt, über Italiener entscheiden die Italiener, nicht Berlin, nicht Paris, nicht Brüssel und auch nicht die Finanzmärkte. Das klingt so, als schwebe Ihr Land im luftleeren Raum. Warum glauben das so viele Italiener?
    Garavini: Ja! Leider ist das eine Tendenz, die nicht nur in Italien zurzeit läuft. Es ist eher ein internationales Problem. "Italy first" wird in den nächsten Wochen, in den nächsten Monaten wahrscheinlich von der zukünftigen Regierung, die, wie ich vermute, von Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung konstruiert werden wird, wird wahrscheinlich Italien charakterisieren. Und das ist nicht das einzige Land, das das zurzeit treibt, angefangen von Trump, "America first". Diese souverän-nationalistischen Kräfte nehmen leider zu. Wir sind der Meinung, das ist nicht die Lösung, und wir sind der Meinung oder wir werden als Oppositionskraft versuchen, dass Italien sich weiterhin nicht von Europa entfernt. Es werden aber schwierige Zeiten leider. Das befürchte ich.
    Kaess: Können Sie nachvollziehen, dass die Wähler genug haben von den etablierten Parteien, so nenne ich es jetzt einfach mal, wenn wir uns zum Beispiel anschauen, dass Italien seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten ein massives Problem hat mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit und auch die Regierung, der Ihre Partei angehört hat, das überhaupt nicht in den Griff bekommen hat?
    Garavini: Wie gesagt, dem widerspreche ich. Dank der Arbeitsreform, die wir vor vier Jahren geschafft haben, sind innerhalb von drei Jahren über eine Million Arbeitsplätze geschafft worden von uns. Die meisten davon sind unbefristete Arbeitsstellen. Die höchste Quote liegt beispielsweise bei Jugendlichen, auch bei Frauen. Das sind auch wieder instrumentale Themen, die ausgenutzt werden, die leider von den Wählern wahrgenommen worden sind. Aber sie entsprechen nicht den Tatsachen, nicht den Fakten.
    Kaess: Frau Garavini, wir fragen uns jetzt oder viele Beobachter fragen sich das, ob Italien mittlerweile unregierbar geworden ist. Ihre Einschätzung? Wie lange wird die Hängepartie in Italien jetzt dauern?
    Garavini: Das wird man sehen. Es wird natürlich nicht einfach sein. Das befürchte ich auch. Ich persönlich bin der Meinung, dass Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord, obwohl sie sich in der Vergangenheit anders ausgedrückt hatten, ich gehe davon aus, dass sie bald eine Regierung gründen werden.
    "Die Frage ist, ob das lange halten wird"
    Kaess: In einer Koalition zusammen?
    Garavini: Genau. Ich gehe davon aus, ja. Die Frage ist, ob das aber lange halten wird. Sie haben programmatisch schon Ähnlichkeiten. Sie sind beide populistische Parteien, anti Europa, anti Migranten. Wie gesagt, ich kann mir gut vorstellen, dass sie irgendwann, früher oder später zusammenwachsen. Ob es aber dann dauert, das ist die andere Frage, weil beide extrem egozentrische Parteien sind, und ich kann mir gut vorstellen, dass es bald dann krachen wird unter denen. Aber wie gesagt, das werden wir sehen. Eins steht fest: Wir werden als Oppositionskraft uns bemühen, dass Italien sich nicht zu sehr von Europa entfernen wird.
    Kaess: … sagt Laura Garavini. Sie ist Abgeordnete der sozialdemokratischen Partito Democratico. Wir haben über das Ergebnis der Wahlen in Italien gesprochen. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Garavini: Ich bedanke mich bei Ihnen. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.