Ursprünglich hatte der bis vergangenen Dienstag (04.02.2020) amtierende Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) geplant, eine Minderheitsregierung aus Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen anzuführen. Die drei Parteien kamen nach der Landtagswahl nur noch auf 42 von 90 Sitzen.
Die Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag am 05.02.2020 ging bis in den dritten Wahlgang, weil Ramelow in den ersten beiden vorangegangenen Wahlgängen nicht die absolute Mehrheit erreicht hatte. Für den dritten Wahlgang, in dem Ramelow eine einfache Mehrheit gereicht hätte, stellte die FDP mit Thomas Kemmerich einen eigenen Kandidaten auf. Diesem gab dann die AfD-Fraktion geschlossen ihre Stimme, nachdem sie in den ersten beiden Abstimmungen noch ihren eigenen Kandidaten Christoph Kindvater unterstützt hatte.
AfD überrumpelt FDP und CDU
Kemmerich erhielt 45 von 90 Stimmen - eine mehr als Ramelow - und war damit zum Ministerpräsidenten gewählt. Dabei hatte seine FDP bei der Landtagswahl mit gerade einmal 5,0 Prozent nur knapp den Einzug ins Parlament geschafft. Als noch problematischer und politischen Tabubruch empfanden viele Beobachter jedoch die Tatsache, das erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein bürgerlicher Kandidat mit den Stimmen einer rechtsnationalen Partei zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.
Verwirrung und Aufregung waren groß: Nachdem Kemmerich zunächst die Wahl angenommen hatte und Spitzenpolitiker der FDP dies auch unterstützten, kündigte er am darauffolgenden Tag (Donnerstag, 06.02.20) nach erheblichem politischen Druck seinen Rückzug an. Zuvor war FDP-Chef Christian Lindner nach Thüringen gereist. Einen Tag später stellte Lindner im FDP-Parteivorstand die Vertrauensfrage - und erhielt dessen Rückendeckung. Der 41-Jährige war unter Druck geraten, weil er Kemmerich bei seinem Plänen im Vorfeld der Wahl unterstützt haben soll.
Auch die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer suchte das Gespräch mit den Thüringer Landespolitikern ihrer Partei. Kramp-Karrenbauer drängte dabei auf Neuwahlen, konnte sich aber in Erfurt nicht durchsetzen. Ein augenscheinlicher Autoritätsverlust, aus dem die CDU-Chefin am 10.02.2020 die Konsequenzen zog: Gegenüber dem Parteipräsidium küdigte sie ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und den Rückzug vom Parteivorsitz an.
CDU: Neuwahl oder nicht?
In der CDU gehen die Meinungen über den Umgang mit der Situation in Thüringen weit auseinander. Neben der Forderung von Neuwahlen, die auch Parteichefin Kramp-Karrenbauer unterstützt, gibt es auch Stimmen, die sich eine Minderheitsregierung unter Kemmerich vorstellen können - geduldet von der AfD.
Auch die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten durch den bestehenden Landtag wird als Option gesehen. Daneben gelten die Einberufung einer Expertenregierung oder die Duldung einer rot-rot-grüne Minderheitsregierung als möglich. Die Forderung Kramp-Karrenbauers nach einem Alternativkandidaten zu Ramelow haben die Linkspartei, SPD und Grüne bereits abgelehnt.
FDP: Diskussion um das weitere Vorgehen
Die FDP-Parteiführung begrüßte zunächst die Wahl ihres Politikers Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten, ruderte dann aber in Anbetracht bundesweiter Empörung zurück - und fordert mittlerweile Neuwahlen.
Die Linke: Erneuter Ministerpräsident Bodo Ramelow?
Die Linke zeigte sich schockiert über den Ausgang der Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten. Sowohl bei einer erneuten Abstimmung im Landtag als auch nach einer Neuwahl könnte Ramelow wieder kandidieren. Forderungen der CDU nach einem Verzicht Ramelows zu Gunsten eines alternativen Kandidaten lehnt die Linke kategorisch ab.
AfD: Coup oder gescheiterte Strategie?
Die AfD überumpelte mit ihren Stimmen für den FDP-Politiker die anderen Parteien. Ihr sei damit ein Coup gelungen, sagte der Politologe Uwe Jun.
Dagegen schätzte der
Extremismusforscher Hajo Funke
die Taktik des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Björn Höcke, als vorerst gescheitert ein. Höcke habe auf Machtbeteiligung gezielt, er habe die AfD zuerst in einzelnen Bundesländern und danach in der Bundespolitik an der Macht beteiligen wollen. Durch die Vorgänge in Thüringen sei ihm diese Möglichkeit aus den Händen geglitten. Das sei eine Niederlage.
Hintergrund: Wie die Entwicklung beurteilt wird
Die Meinungen über die Vorgänge sind in den Bewertungen verschiedener Politologen einhellig: Sie seien schädlich für die Demokratie. Es wird unter anderem von einem Damm- oder Tabubruch gesprochen.