Theresa May war vor ihr dran, auch Wladimir Putin, natürlich Frauke Petry. Zwei Tage lang nahm sich Angela Merkel Merkel Zeit, Donald Trump zu seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl zu gratulieren. Einen Tag länger als bei Barack Obamas Sieg 2008 - und wohl kein Zufall. Trump hatte Merkel wiederholt im Wahlkampf attackiert. Hatte ein Deutschland an die Wand gemalt, das wegen der Flüchtlingspolitik seiner Regierungschefin vor dem Untergang stand.
Ob die Kritik Thema des Telefonats zwischen Berlin und Washington war, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, wie Merkels erste Stellungnahme bei dem Republikaner angekommen ist. Die CDU-Vorsitzende hatte am Mittwoch erklärt, sie wolle mit Trump zusammenarbeiten unter der Bedingung, dass Deutschland und Amerika auch weiterhin die Werte wie Demokratie, Freiheit, Recht und Respekt vor Minderheiten achteten.
Lob für Merkel-Worte an Trump
Mit ihren Worten ließ die deutsche Kanzlerin auf alle Fälle Beobachter auf beiden Seiten des Atlantiks aufmerken: Sie habe genau richtig reagiert, sagte die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman in im TV-Talk "Audriga" der Deutschen Welle. Merkel habe nicht nur "machtpolitisch gedacht, sondern wertepolitisch". Die Direktorin des "Einstein Forums Potsdam" fordert: Ab jetzt müsse Europa die Verantwortung für demokratische und soziale Werte übernehmen.
Ähnlich äußerte sich Timothy Garton Ash. Im "Guardian" schrieb der britische Historiker und Schriftsteller heute, die Reaktion Merkels sei die bislang "mit Abstand würdigste". Die Worthülse vom "leader of the free world", also dem "Führer der Freien Welt", begleite sonst den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, "manchmal auch ohne ironische Konnotation". Nun sei er verleitet, so Ash, Angela Merkel diese Rolle zuzuschreiben.
Und der amerikanische Journalismus-Professor Jeff Jarvis befand bei Twitter, "Europa – und für mich ist das Deutschland - ist die letzte und beste Hoffnung der Welt auf eine verantwortungsvolle Führungsrolle in diesen Tagen".
"Übertreibungen in beide Richtungen"
Der Politikwissenschaftler Josef Janning beobachtet diese neuesten Einordnungsversuche mit "Übertreibungen in beide Richtungen" skeptisch. Bis vor wenigen Wochen sei noch in der amerikanischen und britischen Presse der Eindruck vermittelt worden, "dass Deutschland am Ende ist", sagte der Berlin-Direktor des Europäischen Rats für Außenbeziehungen (ECFR) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Nun - nach der US-Wahl - erreiche "Verunsicherung den Kern der westlichen Welt" und Merkel werde zur "Retterin" ausgerufen - doch übersehe diese Betrachtung die unterschiedlichen Vorstellungen der "liberal order", also liberaler Gesellschaftsordnungen.
In den USA herrsche die Vorstellung eines "kompetitiven Gemeinwesens" vor, erklärt Janning, "jeder ist seines Glückes Schmid". Dazu gehöre auch "eine politische Kultur, die auf Wettbewerb ausgelegt ist". Beides unterscheide sich fundamental von der deutschen Auslegung der Idee: wie der Vorstellung eines Wohlfahrtsstaates hierzulande oder der Praxis einer politischen Kultur, die auf Konsens und Verständigung ausgelegt sei. "Das, was man jetzt versucht auf Merkel zu projizieren - dahinter steckt auch die Vorstellung, Merkel kann so etwas wie die Staffelträgerin einer liberalen Ordnung sein - kann nicht von ihr übernommen werden", glaubt deshalb der Politologe. Das gelte auch für die internationale Politik.
So hätten die Amerikaner Konstruktionen wie NATO und WTO selbst entwickelt - sich aber gleichzeitig stets die Freiheit genommen, sich nicht an deren Regeln zu halten. Nun deute sich an, dass die USA unter Trump diese "international liberal order" komplett verlassen könnten, beobachtet Janning. Doch auch diese Rolle wolle Merkel auf keinen Fall übernehmen: "Deutschland hat keine Interesse, eine Vormacht zu werden, die durch ihre militärischen Fähigkeiten die Schwächen anderer ausnutzt und dadurch den Modus bestimmt."