Tobias Armbrüster: Ebenfalls am Telefon begrüße ich jetzt den CDU-Europapolitiker Elmar Brok, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Schönen guten Abend, Herr Brok!
Elmar Brok: Guten Abend, Herr Armbrüster.
"Kein handlungsfähiger Partner" beim Brexit
Armbrüster: Herr Brok, ist auf Meinungsvorhersagen, Vorhersagen politischer Art, jeder Art eigentlich überhaupt kein Verlass mehr?
Brok: Nun, es gab ja einige Institute, die in den letzten Tagen über eine solche Möglichkeit nachgedacht haben. Aber dennoch war doch, was man heute gehört hatte, eher eine Mehrheit, zwischen 30 und 80 Sitzen wurden uns verkündet für die Tories, und das ist von daher schon eine Überraschung, obwohl ich noch etwas abwarten möchte. Denn dadurch, dass UKIP so zusammengefallen ist, könnte natürlich in manchen marginalen Sitzen trotz der insgesamten Verluste der Tories dann doch mehr für die Tories herauskommen an Sitzen aufgrund des britischen Wahlsystems. Da bin ich mir noch etwas unsicher. Aber das macht das alles schwieriger für uns in Brüssel mit den Verhandlungen. Wie soll man am 19. Juni mit den Verhandlungen anfangen, wenn man wahrscheinlich keinen handlungsfähigen Partner auf der anderen Seite hat. Gibt es einen Versuch einer Koalition zwischen Labour, den Liberaldemokraten und den Schotten? Reicht das? Das steht ja alles in den Sternen.
"Selten eine so schlechte Wahlkampfführung erlebt"
Armbrüster: Herr Brok, aber wenn Frau Mey da jetzt wirklich so eine krachende Niederlage einfahren sollte, wie sich das jetzt mit diesen Zahlen hier zumindest andeutet, heißt das, da ist niemand in Brüssel, der sich jetzt wirklich freudig die Hände reibt, angesichts dieser Wahlschlappe?
Brok: Nein, denn es gibt keinen, der Autorität hat. Theresa May hat komplett in dem Wahlkampf ihre Autorität verloren, und zwar auch in ihrer eigenen Partei, wo sie extrem geschwächt ist. Man weiß gar nicht, ob ihre eigene Partei sie jetzt halten wird. Ich bin in den letzten 14 Tagen in Schottland, Nordirland und in England gewesen und ich habe selten eine so schlechte Wahlkampfführung erlebt, eine solche Unsicherheit, wenn man Parteichefin und dann gleichzeitig Regierungschefin ist, so dass das auch alles in den Wolken hängt. Vielleicht wollen jetzt die besonders harten Kameraden für einen Brexit von dies als ihre Chance innerhalb der eigenen Partei nutzen. Da werden heute Nacht schon die Machtkämpfe stattfinden und das macht es alles noch unklarer. Für uns wäre es am besten gewesen, Theresa May hätte mit großer Mehrheit gewonnen, hätte faire Verhandlungen geführt und wäre dann in der Lage gewesen, auch parlamentarische Mehrheiten zu sichern, auch wenn ein Teil der Tory-Partei nicht mitgemacht hätte. Diesen Spielraum wird jetzt kein Regierungschef haben und das macht die Angelegenheit so schwer.
Armbrüster: Das heißt, man kann in so einem Ergebnis, wenn es denn tatsächlich ein Ergebnis sein sollte, auch nichts reinlesen nach dem Motto, die Briten sind sich eigentlich immer noch nicht ganz sicher, ob sie den Brexit tatsächlich wollen?
Brok: Ich glaube nicht, dass sie wegen Brexit Theresa May eine Abfuhr erteilt haben, sondern weil sie sich als führungsschwach gezeigt hat und dass auch andere Themen vorrangig waren. Brexit stand auf der Agenda für diese Wahlen, für die Wichtigkeit bei der Bevölkerung an vierter oder fünfter Stelle. Sozialpolitische Fragen, bildungspolitische Fragen, Terrorfragen, manches andere war weit höher auf der Agenda, und deswegen darf man da, glaube ich, nicht den Fehler machen, jetzt wird das mit Brexit alles anders.
Es hat im Wahlkampf niemand gegeben, der dort gesagt hat, wenn ich gewinne, werde ich ein neues Referendum durchführen. Deswegen mache ich mir da an der Stelle nicht so große Hoffnungen. Aber wenn das Chaos entsteht und wenn man die Nachteile vom Brexit sieht, dann weiß man nicht, ob man dann doch die Hoffnung noch haben sollte, aber darauf würde ich jetzt nicht spekulieren.
"Die Zwei-Jahres-Frist läuft, die Uhr tickt"
Armbrüster: Die Brexit-Verhandlungen, Herr Brok, die sollen in wenigen Tagen beginnen. Müsste man jetzt überlegen, das Ganze etwas zu verschieben?
Brok: Das wird an der britischen Regierung liegen, wann sie eine handlungsfähige Regierung haben. Und wenn es einen Regierungswechsel geben sollte oder eine Koalition geben sollte, wird ja das gegenwärtige Team nicht mit den Verhandlungen beginnen können. Jedenfalls kann ich mir das nur sehr schwer vorstellen. Aus dem Grunde meine ich, aus diesem Ergebnis lesen zu müssen, dass wir noch einige Wochen verlieren werden, bis wir mit den Verhandlungen beginnen können, und das macht das natürlich auch noch schwerer. Der 29. März 2019 steht fest. Die Zwei-Jahres-Frist läuft, die Uhr tickt und das kann nicht aufgehoben werden, und das macht es auch nicht leichter.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Vielen Dank, Herr Brok, für Ihre Zeit an diesem späten Donnerstagabend.
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