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Nach der Wahl in Venezuela
"Die Opposition sollte stark nach Vermittlern suchen"

Nach der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung in Venezuela auf Geheiß von Präsident Nicolás Maduro treten heute erstmals die Delegierten zusammen. Wie sich das Land weiter entwickele, sei nicht abzusehen, sagte Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Bildung im Dlf. Noch gebe es Überbleibsel einer Demokratie.

Claudia Zilla im Gespräch mit Silvia Engels |
    Menschen in Venezuela demonstrieren gegen den Präsidenten Nicolas Maduro.
    Von einem Bürgerkrieg wollte die Südamerika-Expertin Claudia Zilla im Dlf nicht sprechen, denn in Venezuela stünden sich nicht zwei bewaffnete Parteien auf Augenhöhe g egenüber. (AFP / RONALDO SCHEMIDT)
    Silvia Engels: In Venezuela steuert die Machtprobe zwischen Präsident Maduro und der oppositionellen Parlamentsmehrheit heute wohl auf einen neuen Höhepunkt zu. Nach der umstrittenen Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung auf Geheiß des Präsidenten sollen heute die Delegierten zusammentreffen. Die Opposition hat zu neuen Protesten aufgerufen, die Generalstaatsanwaltschaft verlangt dagegen die Annullierung der Wahl, denn sie sieht den Beweis für Wahlfälschung erbracht. Wie ist die Stimmung auf der Straße in Caracas.
    Und am Telefon ist nun Claudia Zilla, Lateinamerikaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, das ist ein Thinktank für internationale Politik in Berlin. Guten Morgen, Frau Zilla!
    Claudia Zilla: Guten Morgen!
    Engels: Wir haben es gerade gehört: Die Generalstaatsanwaltschaft in Venezuela hält Fälschungen bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung für erwiesen. Sie verlangt die Annullierung der Wahl. Wird es Ihrer Einschätzung nach dazu kommen?
    Zilla: Das ist unwahrscheinlich, denn die Wahlbehörden, die Judikative, die hierfür verantwortlich wären als verlängerter Arm der Exekutive, also der Regierung Maduro fungieren.
    "Es gibt hin und wieder Überbleibsel eines demokratischen Regimes"
    Engels: Aber immerhin hat sich da jetzt eine klare Stimme geäußert. Sprechen denn überhaupt diese Ermittlungen dafür, dass wesentliche Rechtsstaatsprinzipien in Venezuela doch noch funktionieren?
    Zilla: Es gibt hin und wieder Überbleibsel eines demokratischen Regimes. Man kann nicht sagen, dass Venezuela ein totalitäres Regime ist, wo es gar keine Rechte gibt. Es gibt noch Zeitungen, die Artikel gegen die Regierung veröffentlichen können. Gleichzeitig aber gibt es politische Verfolgung, Verletzung der Menschenrechte und der bürgerlichen und politischen Rechte, sodass auch nicht möglich ist, dass Venezuela heute noch eine Demokratie ist.
    Engels: Die Opposition hat zu Protesten aufgerufen dagegen, dass der Präsident die verfassungsgebende Versammlung für heute einberufen hat. Denken Sie, die Versammlung wird tagen?
    Zilla: Es ist schwierig vorherzusagen. Das Gefährliche dabei ist, dass der Tagungsort das Parlamentsgebäude ist, und dort sitzt die Nationalversammlung mit der Mehrheit der Opposition, und das ist schon rein geografisch eine sehr explosive Lage.
    Engels: Wird die verfassungsgebende Versammlung, so sie heute zusammentritt, als Erstes das tun, was die Opposition befürchtet, nämlich das Parlament auflösen?
    Zilla: Aller Voraussicht nach wird diese Versammlung weitreichende Kompetenzen haben oder übernehmen, die heutzutage in den Gewalten der Legislative und der Judikative sind. Also es wird wahrscheinlich nicht der Fall sein, dass sie sich drauf beschränkt, einen neuen Verfassungstext zu machen, sondern möglicherweise gegen andere Institutionen angeht.
    Engels: Mit was rechnen Sie da konkret?
    Zilla: In Reden von Maduro konnte man schon vernehmen, er wünscht sich, dass jene Menschen, die zum Beispiel gegen die verfassungsgebende Versammlung Tweets geschrieben haben, strafrechtlich verfolgt werden oder, dass die Staatsanwaltschaft als Institution aufgelöst wird, und diese Ziele hat er mit der neuen verfassungsgebenden Versammlung in Verbindung gesetzt.
    "Die Opposition sollte stark nach Vermittlern suchen"
    Engels: Welche Möglichkeiten hat die Opposition, die ja nach wie vor mobilisiert zu Protesten, neben diesen Demonstrationen, um Maduro da etwas entgegenzusetzen?
    Zilla: Die Opposition wird sich stark damit befassen, Vermittlungsakteure zu suchen, die für beide Seiten akzeptabel sind. Es muss einen Konsens und eine deutliche Position in der Regierung geben, weil ich glaube nicht, dass in der aktuellen Situation mit der hohen Polarisierung und mit dem Gewaltausbruch, dass diese beiden Parteien es alleine schaffen. Also die Opposition sollte stark nach Vermittlern suchen, die zu einem Konsens zu finden helfen.
    Engels: Wer könnte ein solcher Vermittler sein? Können da möglicherweise auch die benachbarten lateinamerikanischen Staaten oder internationale Organisationen eine Rolle spielen?
    Zilla: Ja, das ist die große und gute Frage. Es sollte zunächst mal in der Regierung eine Positionierung geben, eine konzertierte Aktion geben, und natürlich in diesem Kontext darf man Kuba, die starken Einfluss auf den Sicherheitsapparat hat, und die USA, die am längeren Hebel, wirtschaftlich betrachtet, sitzen, die dürfen nicht außen vorgelassen werden.
    "Isolierung von Venuzuela wäre keine Lösung"
    Engels: Nun gibt es auch Stimmen aus dem Mercosur, das ist eine südamerikanische Handelsgemeinschaft, ob man härtere Maßnahmen gegen Venezuela trifft. Kann das etwas bewirken?
    Zilla: Ich verstehe, dass der Mercosur sich überlegt, Venezuela auszuschließen, weil der Mercosur eine Demokratieklausel enthält, und wenn man diese Institution retten will, muss man sie umsetzen. Gleichzeitig aber wäre eine Isolierung Venezuelas keine Lösung. Das heißt, man kann institutionelle Härte zeigen, aber gleichzeitig sollte man Gespräche führen, eine Annäherung finden.
    Engels: Haben Sie denn das Gefühl, dass im Hintergrund irgendetwas in dieser Richtung auf dem Weg ist, denn man hört ja immer nur wieder von Zuspitzung, ohne dass man irgendeinen Vermittlungsangebot von irgendeiner Seite hört, das belastbar erscheint?
    Zilla: Von Treffen ist mir nichts bekannt, von Koordinierungen in dieser Hinsicht ist mir nichts bekannt. In der Tat, was man eher sieht, sind symbolische Erklärungen und auch Sanktionen der USA, aber die sich nicht auf den ganzen Staat beziehen, sondern auf konkrete individuelle Personen.
    "Wichtig ist, die Gewalt unter Kontrolle zu halten"
    Engels: Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten Tagen in Venezuela?
    Zilla: Die Lage ist so heikel, so sensibel, dass es sehr schwer ist, Prognosen abzugeben. Wichtig wäre, dass man versucht, Gewalt unter Kontrolle zu halten von beiden Seiten und gleichzeitig nach Gesprächen gesucht wird.
    Engels: Welche Rolle spielt denn das Militär bei all diesen Entwicklungen?
    Zilla: Heutzutage ist das Militär Träger des venezolanischen Regimes. Sie sind ein sehr wichtiger Machtfaktor, nicht nur im Sinne der Sicherheit, sondern auch der Wirtschaft, und sie sind stark beteiligt an der Politik insofern, als viele Mandate und Ämter durch das Militär besetzt sind.
    Engels: Die politische Entwicklung ist das eine, die Versorgungslage in Venezuela für die einfachen Menschen ist das andere, und sie ist katastrophal. Hat das, wenn man das alles zusammennimmt, das Zeug zu einem Bürgerkrieg?
    Zilla: Bürgerkrieg ist ein Begriff, den ich nicht benutze, weil wir haben nicht zwei Parteien, die ähnlich bewaffnet sind oder mit einer Konfrontationsstrategie, sondern wir haben eine Regierung, die versucht, sich an der Macht zu halten, auch durch Einsatz der Repression, und wir haben eine Opposition, die sich zunehmend radikalisiert und sich verteidigt und zum Teil hier und da angreift, aber es ist so asymmetrisch der Fall, dass man vom Bürgerkrieg in der Form nicht sprechen kann.
    Engels: Claudia Zilla, Lateinamerikaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Wir sprachen mit ihr über die Perspektive in Venezuela. Dort soll heute die verfassungsgebende Versammlung zusammentreten. Ich danke für Ihre Zeit heute Morgen!
    Zilla: Ich habe zu danken!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.