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Nach der WM
Was bleibt vom Handball-Hype?

Es hängt bei der Nachwuchsförderung und Mitgliederentwicklung: Ein halbes Jahr nach der Handball-WM hat die Sportart in Deutschland noch viel zu tun. Der Verband hat sich viel vorgenommen, doch es wird dauern, bis die entwickelten Konzepte wirken.

Von Sascha Staat |
Deutsche Spieler feiern mit ihren Fans den Sieg
Die Verantwortlichen des Deutschen Handballbundes wollen nach der erfolgreichen WM im Januar mehr Kinder und Jugendliche für das Spiel begeistern. (dpa / Revierfoto)
Ausverkaufte Arenen in Berlin, Köln und Hamburg, viele schwarz-rot-goldene Fahnen und Gänsehautatmosphäre vor allem in Köln. Im Januar zeigte sich wieder, wie eindrucksvoll, mitreißend und spektakulär der Handball sein kann. Wenn der Handball in Deutschland eine Zukunft haben will geht es darum, Kinder und Jugendliche dauerhaft für das Spiel zu begeistern. Das ist das Ziel, dem sich die Verantwortlichen des Deutschen Handballbundes verschrieben haben. Sie wollen die Fehler vermeiden, die nach dem WM-Triumph im eigenen Land 2007 gemacht wurden.
Mehr Präsenz in Schulen
Damals versäumte es der Verband, Maßnahmen zu ergreifen und verließ sich alleine auf die Strahlkraft des sportlichen Erfolgs. Nun sollen Gelder aus dem WM-Rekordgewinn von 3 Millionen Euro investiert werden. So gehen 600.000 Euro in die kurzfristige Mitgliederentwicklung. Kernpunkte sind dabei höhere Präsenz in Schulen und eine verbesserte Ausbildung der ehren- und hauptamtlichen Trainer.
Für Mark Schober, den Vorstandsvorsitzenden des Verbandes, liegt der Fokus aber ganz klar auf dem Leistungsbereich: "Wir wollen die stärkste Handballnation der Welt werden. Wir wollen im Leistungssport erfolgreich sein, Medaillen holen und wir wollen zum Zweiten ein mitgliederstarker Verband sein. Da muss man einiges tun, weil es viel Konkurrenz gibt und die klassischen Sportarten haben in den letzten Jahren durchaus Mitgliederschwünde hinnehmen müssen."
Sorge um Nachwuchs
Dass der Leistungsgedanke im Vordergrund steht, sieht Christian Schwarzer kritisch. Der ehemalige Welt- und Europameister ist mittlerweile Jugendkoordinator beim saarländischen Handballverband und sorgt sich darum, dass ihm die Kinder davonlaufen. Die Verkleinerung der Jugendbundesliga hat zum Beispiel zur Folge, dass die Teams immer weiter reisen müssen. Der Aufwand für Spieler und Eltern steigt, Talente wenden sich vom Sport ab.
"Ich verliere einfach ganz, ganz viele Jungs - ich spreche erstmal nur von den Jungs - vierte Liga abwärts, die dann auch die Zuschauer in den Hallen sind. Man beschneidet sich da immer, oder ist auf dem Weg sich zu beschneiden, viel über die Spitze zu sprechen, aber vergisst dabei die breite Basis."
Christian Schwarzer fordert mehr Weitsicht und Initiative
Aus Sicht von Christian Schwarzer hat der Verband im Bereich Nachwuchsförderung nicht viel unternommen: "Wenn man sagt, man möchte Nachwuchs akquirieren, dann muss man schon im Kindergarten anfangen und da einfach schon mal hingehen und sagen, Mensch, Kids, wir machen irgendwas mit Bällen. Ob sie nachher beim Handball landen, ist wieder eine ganz andere Sache."
Das sei nicht so einfach, wie viele sich das vorstellten, erklärt der Vorstandsvorsitzende Mark Schober: "Die Erwartung ist da meistens größer als das, was wir wirklich leisten können. Aber was ich sagen kann ist, dass wir uns mit diesen Themen beschäftigen. Wir haben seit letztem Jahr auch dafür einen Vorstand Mitgliederentwicklung und wir haben da inzwischen fünf Mitarbeiter, die sich auf Dachverbandsebene damit beschäftigen."
Diese Mitarbeiter sind unter anderem für die Stärkung der Öffentlichkeitsarbeit zuständig. So war es möglich den "Tag des Handballs", der am 26. Oktober stattfindet, zu einer bundesweiten Aktion für Mitgliederwerbung- und bindung auszuweiten. Der DHB ruft alle Vereine dazu auf, Familienfeste auszurichten und unterstützt sie dabei mit Ideen und Werbematerial, wie etwa Plakaten oder Aufklebern. Das soll für mehr Aufmerksamkeit an der Basis sorgen, während die deutschen Frauen und Männer in Hannover Länderspiele absolvieren.
Bei aller Kritik ist auch Christian Schwarzer klar, dass Erfolg an der Spitze immer weiterhilft, genauso wie die Übertragung der großen Turniere im Free-TV. "Ich habe entweder die Trainingszeiten verkürzt oder verlegt oder Training ganz frei gegeben, weil ich natürlich auch möchte, dass die Kinder sich ihre Vorbilder im Fernsehen auch angucken, weil denen wollen sie nacheifern, denen wollen sie nachstreben und dementsprechend motiviert kommen sie dann auch ins Training."
Neue Wege bei der medialen Darstellung
Stefan Kretzschmar, viele Jahre der große Popstar und das bekannteste Gesicht des deutschen Handballs, hat in seinem Umfeld ein gesteigertes Interesse im Nachgang der WM wahrgenommen. Er verweist aber darauf, dass Konkurrenzsportarten wie Fußball oder Basketball einen großen Vorteil haben gegenüber dem Handball: Sie können auf der Straße gespielt werden. Für Kretzschmar ist der Handball und seine aktuelle Präsentation zu unmodern. Seine Vorstellungen beziehen sich auf die mediale und grafische Darstellung: "Wir müssen die Attraktivität der Trikots steigern. Das heißt die ganze Werbung muss da runter. Die Fußbodenaufkleber müssen weg aus den Hallen, damit die Leute am Fernseher es besser sehen. Wir müssen da Marketing-technisch weiterdenken, das Spiel attraktiver machen, und müssen es für das Fernsehen besser aufarbeiten. Ich glaube, dass das die Kids animiert."
Ihm sei allerdings auch bewusst, dass dies für einen großen Aufschrei bei den Clubs sorgen würde, denn Trikot und Spielfläche sind die wertvollsten Werbeflächen. Und wie die Vereine die fehlenden Einnahmen ersetzen sollen, sagt Kretzschmar nicht.
Ein halbes Jahr nach dem Turnier hat der Handball in Deutschland also noch viel zu tun. Es wird dauern, bis die entwickelten Konzepte wirken. Fünf Jahre bleiben, bis der DHB das nächste große Turnier ausrichten wird: Die Europameisterschaft 2024. Spätestens dann wird klar, ob sich die Fehler von 2007 wiederholt haben oder ob der DHB dieses Mal die richtigen Schlüsse gezogen hat.