Die Gründe für die instabilen Verhältnisse in der libanesischen Politik seien vor allem in den Machtstrukturen der Hisbollah zu suchen, erklärte Elmar Brok. Der CDU-Politiker war viele Jahre lang Vorsitzender im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Es gebe wenig politische Spielräume durch die Hisbollah-Miliz. Sie zu entwaffnen, sei eine hoffnungslose Forderung, meinte der CDU-Politiker.
Jasper Barenberg: Haben die Protestierenden im Land allen Grund für die Wut und für die Forderung, dass sich die Machtverhältnisse im Land grundlegend ändern müssen?
Elmar Brok: Sie haben allen Grund für diese Demonstrationen, aber es muss beachtet werden, dass der Libanon nicht nur eine Machtverteilungsstruktur hat, die früher als sehr vorbildlich angesehen wurde. Die Christen haben nur eine Chance, dort zu überleben, wenn die Machtstruktur dieses mit berücksichtigt. Deswegen ist er Staatspräsident immer ein Christ. Die Sunniten stellen den Regierungschef, die Schiiten stellen den Parlamentspräsidenten. Und wir müssen sehen, dass es dazu zusätzlich die Hisbollah gibt, die die eigentlichen Machtinhaber dieses Landes sind. Denn von allen Bürgerkriegsparteien hat die Hisbollah ihre Waffen nicht abgegeben, sodass die Armee völlig einflusslos im Land ist. Zudem ist es noch so, dass alle führenden Gruppen aus dem Ausland gesteuert werden, aus Saudi-Arabien oder aus dem Iran. Der christliche Präsident Aoun wird aus dem Iran gesteuert und arbeitet mit der Hisbollah zusammen, die andere christliche Partei mit Herren Geagea. Und die Partei der Sunniten, die alte Hariri-Partei, wird von Saudi-Arabien gesteuert, das sind die wahren Machthaber im Land.
Keine Spielräume durch die Macht der Hisbollah
Barenberg: Sie haben gesprochen von einer Machtbalance, von einem Machtsystem, das ursprünglich vorbildlich war. Jetzt haben wir gehört, welche negative Folgen das in den letzten Jahrzehnten hatte. Wie lange hat sich dieses Machtkartell in Beirut denn schon überlebt?
Brok: Es hat sich insofern überlebt, weil es keine Spielräume gibt durch die Macht der Hisbollah. Wenn Sie einen Faktor im Land haben, der durch militärische Macht alles zudecken kann, dann entwickeln sich solche Strukturen. Eigentlich müsste man sagen, aber das ist wahrscheinlich eine sehr hoffnungslose Forderung, dass die Hisbollah sich entwaffnen muss. Sie müssen sehen, dass der Hafen, in dem die Explosion stattgefunden hat, im Wesentlichen in den Händen der Hisbollah ist. Und ich glaube, dass die auch diese Chemikalien dort gelagert haben, weil Hisbollah, aber auch Iran aus diesen Produkten Sprengmaterial für Anschläge in der Vergangenheit vorbereitet hat, sodass es eine Struktur ist, die von außen Einfluss hat und gesteuert wird und dieses Machtspiel mitmacht. Die Hisbollah ist so stark, dass sie beispielsweise Kriegspartei in Syrien war. Ich glaube, dass das mit berücksichtigt werden muss, wenn man das entsprechend hinbekommen will, sonst wird das nichts. Und ich frage mich auch, wohin die 63 Millionen Euro europäisches Geld gehen sollten. Und Herr Maas hat ja auch zu Recht gesagt, man muss prüfen, an welche Stelle das deutsche Geld dort fließen kann. Ich sehe dort keine einzige Struktur, die dieses in vernünftiger Weise ausgeben würde, es sei denn, man macht das durch Nichtregierungsorganisationen.
Barenberg: Und wenn das so ist, wenn die Beharrungskräfte so sind, wie Sie beschreiben, wenn die Stärke der Hisbollah so ist, dass das ein Machtfaktor ist, den man gar nicht umgehen kann, was heißt es dann, wenn der Außenminister Heiko Maas sagt, es kann nicht so weitergehen, was bedeutet es, wenn der französische Präsident Macron eine Art Ultimatum stellt und sagt, es muss Reformen geben, sonst komme ich im September wieder.
Brok: Das heißt, dass bei diesen Dingen auch Teheran und Riad mit einbezogen werden müssen, so schlimm das klingt. Denn solange die diese stoppen, und auch Assad, die Syrer haben das Land immer wieder beherrscht. Sie sind ungeheuer stark dort, das ist die Querverbindung nach Teheran. Und wenn man diese Faktoren nicht mit einbezieht, geht es nicht. Im Libanon gibt es keine Machtstrukturen mehr, die aus sich selbst heraus vernünftig handeln könnten. Das ist die schlimme Entwicklung der letzten 20, 30 Jahre.
"Iran ist ein kleines Beispiel für den Stellvertreterkrieg"
Barenberg: Haben Sie den Eindruck, dass das der Bundesregierung und der Europäischen Union bewusst ist, dass der Schlüssel zu einer Lösung oder einer Entspannung dieser Konflikte nicht nur in Beirut, sondern auch in anderen Hauptstädten der Region liegt?
Brok: Ich hoffe, dass sie das aus diplomatischen Gründen nicht so benennen, ich hoffe doch stark, dass sie das wissen. Und ich hoffe, dass hier klar die Kanäle laufen, auch in diese anderen Hauptstädte hinein, um sie zu zwingen, hier etwas zu machen. Hier muss deutlich sein, dass der Iran ein kleines Beispiel für den Stellvertreterkrieg ist, der in den ganzen Auseinandersetzungen um Syrien und Irak in den letzten Jahren zum Ausdruck gemacht hat. Das ist dasselbe Spiel um große regionale Macht. Und wenn das nicht einbezogen wird, ist das alles Strohfeuer, was man im Libanon macht.
Barenberg: Das heißt, dass die Regierung zurückgetreten ist und es jetzt Neuwahlen geben soll, das ist und kann nur ein erster kleiner Schritt sein.
Brok: Das kann nur ein Schritt sein und ich sehe auch nicht, dass es dort zu großen Veränderungen kommen wird aufgrund dieser Machtbalance. Und wir müssen auch sehen, wenn diese Struktur völlig aufgelöst werden würde, die im Inneren ja früher funktioniert hat, als diese Auswirkungen aus den anderen Ländern der Region nicht da waren, bedeutet, dass die Christen keinen Schutz haben. Der Libanon ist das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, in dem die Christen eine Rolle spielen, maronitische Christen sind das im Wesentlichen. Und wenn die dort völlig ausgespielt werden, werden wir eine Fluchtbewegung dort bekommen.
Dramatische Rolle der Hisbollah
Barenberg: Jetzt hat unser Korrespondent auch berichtet, dass der Libanon schon seit Jahren auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen ist. Kann Europa da nicht wirkungsvoll einen Hebel ansetzen?
Brok: Ja, das muss man machen, das muss auf die Agenda. Aber das ist die Agenda der großen Politik und nicht der unmittelbaren. Hilfe allein, damit wird man nichts in der Struktur verändern. Und ich möchte hier noch einmal auf die dramatische Rolle der Hisbollah hinweisen. Alle Bürgerkriegsparteien haben ihre Waffen abgegeben außer der Hisbollah. Und das ist ein ganz entscheidender Punkt in dieser Frage.
Barenberg: Das heißt, Herr Brok, unter dem Stricht ist Ihre Einschätzung, was wir an Protesten erleben, so stark und so wirkungsvoll die sein mögen, die Regierung ist zurückgetreten, wir haben darüber gesprochen, am Ende könnte und wird es aller Wahrscheinlichkeit wieder an der Widerstandsfähigkeit, an der Beharrungskraft der Mächtigen im Land scheitern.
Brok: Ich fürchte ja, es sei denn eine der Kräfte benutzt diese Aufstände, um für sich Nutzen zu machen. Welche Leute sind das, die das steuern? Dass das eine einheitliche Volksbewegung ist, halte ich für fast unmöglich. Wer steht hinter diesen Demonstrationen, in welche Richtung soll das gehen, was ist das politische Ziel dieser Demonstrationen? Und das durchschaue ich nicht, ich glaube, das müssen wir sehr genau analysieren, damit wir nicht am Ende in einer Situation sind, die bedeutet, dass die Hisbollah das ganze Land übernimmt.
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