Diese Sendung wurde am 26. Februar 2024 aktualisiert
"Der Fahrstuhl ging auf, und ich habe dieses große Experiment gesehen. Das war zehn Meter hoch, und diese Geräuschkulisse und der Geruch – dass ich gedacht habe: Das will ich machen, das will ich machen in meinem Leben!"
Teilchenphysik, die Suche nach den Grundbausteinen der Welt. Für manche höchst begeisternd. Ingrid-Maria Gregor:
"Das finde ich so spannend. Teilchenphysik finde ich sehr spannend, den Ursprung der Materie zu verstehen. Da reinzukommen in diese Halle, das war einfach so ein Aha-Moment für mich. Und das habe ich dann gemacht."
Sabine Hossenfelder: "Ich denke, die wollen alle nicht mehr mit mir reden."
Für andere ist die Teilchenphysik ein Auslaufmodell. Sabine Hossenfelder:
"In der Teilchenphysik stellt mich jetzt bestimmt keiner mehr ein. Da haben Sie eine Gruppe, die macht Teilchenphysik. Und die sind alle fröhlich und publizieren ihre Papers. Und dann komme ich hin und sage: Das ist alles Quatsch. Da würden Sie mich ja nicht anstellen, oder? Das würde ich auch nicht machen."
Mit dem Charme-Quark kam die Revolution
"Die Grundzüge liegen 50, 60 Jahre zurück, als man angefangen hat, Beschleuniger zu bauen und dort sehr viele neue Teilchen entdeckt hat und sich nach und nach ein Modell herausbildete, wie man diese vielen Teilchen klassifizieren könnte."
Joachim Mnich, Direktor für Teilchenphysik am Teilchenforschungszentrum CERN in Genf. Die Anfangstage seines Forschungsfelds - es waren glorreiche Tage.
"Der Durchbruch war wahrscheinlich 1974 die sogenannte November-Revolution, als man im November 1974 das Charme-Quark entdeckt hat, was vorausgesagt worden ist in diesem Modell, und dann auch dazu führte, dass man dieses Quark-Modell erklären konnte."
Das Standardmodell der Teilchenphysik. Materie setzt sich aus Elementarteilchen zusammen – aus Quarks und Elektronen, unteilbaren Bausteinen der Atome. Zwischen ihnen wirken Kräfte: die elektromagnetische Kraft, die starke und die schwache Wechselwirkung.
Der Baukasten unserer Welt
Joachim Mnich: "Der krönende Abschluss war dann die Entdeckung des Higgs-Teilchens."
Juli 2012. Im Hörsaal des europäischen Teilchenforschungszentrums Cern in Genf vermeldet Generaldirektor Rolf Heuer einen Triumph. Joachim Mnich:
"Ein Teilchen, das schon in den Sechzigerjahren von Higgs und anderen vorhergesagt worden ist. Das man braucht, um zu erklären, warum diese fundamentalen Teilchen in diesem Modell überhaupt eine Masse haben dürfen."
Entdeckt wurde das Higgs am LHC, dem größten Beschleuniger der Welt in Genf.
Der Large Hadron Collider, kurz LHC. Ein Ring tief unter der Erde, 27 Kilometer groß, drei Milliarden Euro teuer. Protonen, fast so schnell wie Licht, prallen frontal aufeinander. Neue Teilchen entstehen, umgehend zerplatzen sie wieder. Detektoren groß wie Bürohäuser analysieren die Prozesse.
Mit der Entdeckung des Higgs war das Standardmodell komplett, der Schlussstein war gefunden. Joachim Mnich:
"Wir haben dieses Modell, das eigentlich wunderbar funktioniert. Das alles das, was wir messen können, bis heute wunderbar erklärt und in sich selbst konsistent ist."
In den Grundzügen entwickelt in den 60er und 70er Jahren. Immer wieder bestätigt durch zahllose Experimente. Joachim Mnich:
"Trotzdem wissen wir auch heute schon, dass dieses Standardmodell, das so schön funktioniert hat in den letzten Jahrzehnten, nicht das letzte Wort sein kann. Es gibt ja viele Dinge, die im Standardmodell nicht erklärt werden. Da ist zum Beispiel die Dunkle Materie oder die Dunkle Energie."
Wo das Standardmodell an seine Grenzen stößt
Dunkle Materie: rätselhafte Teilchen, die verhindern, dass Galaxien auseinanderfliegen. Dunkle Energie: eine seltsame Kraft, die das Universum immer weiter auseinandertreibt. Joachim Mnich:
"Da ist die Frage, warum wir aus Materie bestehen und sich am Anfang des Universums Materie und Antimaterie nicht vollständig ausgelöscht haben."
Antimaterie, die gespiegelte Form von Materie. Warum ist sie aus dem Kosmos verschwunden?
Fragen, auf die der Baukasten des Standardmodells keine Antworten bietet. Also geht die Suche weiter – die Suche nach Teilchen, die im Standardmodell nicht vorkommen und die für eine grundlegendere, eine bessere Theorie stehen würden. Seit 2010 sucht der LHC nach solchen neuen Teilchen. Einmal, 2016, geriet die Fachwelt in helle Aufregung: In den Messdaten deutete sich eine Abweichung zum Standardmodell an. Sofort blühten die Spekulationen: War das ein Hinweis auf zusätzliche Raumdimensionen? Oder auf winzige schwarze Löcher? Oder sogar auf SUSY, die Supersymmetrie – eine in der Fachwelt überaus beliebte Theorie? Doch rasch verflüchtigten sich die zarten Hinweise wieder. Festzustellen ist: Bis heute hat der LHC kein Teilchen jenseits des Standardmodells gefunden – die Teilchenphysik steckt in der Krise. Die Reaktion der Fachwelt: höchst unterschiedlich.
Die einen mahnen zu Geduld und setzen weiterhin auf den Riesenring in Genf. Ingrid-Maria Gregor:
"Ich denke, da wird der LHC noch sehr viel bringen."
Andere planen neue Beschleuniger, noch teurer, noch größer. Karsten Büßer:
"Ich bin ganz schön nervös. Das ist schon ein Datum, auf das man so ein bisschen hinfiebert, und hopp oder top."
Wieder andere erkunden Wege abseits der Superbeschleuniger. Axel Lindner:
"Früher habe ich immer gerne Asterix-Bilder gezeigt, um uns darzustellen, wie wir gegen die Römer kämpfen."
Die Aussteigerin
Und manche haben sich abgewendet, ernüchtert und desillusioniert. Sabine Hossenfelder:
"Sie können sich die Daten angucken, und die Daten sagen: Es hat wirklich nicht funktioniert."
Als sie das Interview gegeben hat, war Sabine Hossenfelder Research Fellow am Frankfurt Institut for Advanced Studies.
"Es war einer der ersten Vorträge, die ich überhaupt jemals gegeben habe."
Anfang der 2000er Jahre. Vor einem Fachpublikum hält die Doktorandin Hossenfelder einen Vortrag über ihre Arbeit. Das Thema: Könnte der LHC, damals noch im Bau, winzige schwarze Löcher erzeugen? Sabine Hossenfelder:
"Das können Sie normalerweise nicht machen, weil Sie so hohe Energiedichte brauchen, die Sie nicht an einem Teilchenbeschleuniger produzieren können. Sie können das aber machen, wenn sie zusätzliche Raumdimensionen haben."
Natürlichkeit in der Physik - was ist das?
Ein theoretischer Kniff, rein spekulativ. Sabine Hossenfelder:
"Diese Raumdimensionen müssen aufgerollt sein auf einen kleinen Radius. Das kann man ausrechnen, wie groß das sein muss. Das geht runter bis auf 10-10 Meter – klein, aber nicht winzig klein."
Im Hörsaal meldet sich ein Fachkollege. Sabine Hossenfelder:
"Und da hat mich einer gefragt: Ja, aber wieso sollten denn die Extradimensionen gerade die Größe haben, sodass man sie am LHC sieht – und nicht etwa ein bisschen kleiner, sodass man sie nicht sehen kann? Und vielleicht so klein, dass wir sie an keinem Teilchenbeschleuniger sehen können?"
Berechtigte Frage. Sabine Hossenfelder:
"Meine Antwort darauf war dieses Argument von der Natürlichkeit. Weil das genau das Argument ist, was in allen Papers drinstand. Ich habe das so wiederholt, weil ich das so gelesen habe – und mich selbst blöd gefühlt. Aber das haben die Leute so akzeptiert. Da haben sie alle genickt. Und ich saß im Nachhinein da und hab mich gefragt: Wieso glauben die Leute das?"
Ein ungutes Gefühl, dem Hossenfelder auf den Grund geht. Sie stöbert in der Literatur und spricht mit Fachkollegen: Natürlichkeit in der Physik – was ist das eigentlich? Sabine Hossenfelder:
"Den Begriff der Natürlichkeit finden viele Leute, die mit Physik nichts zu tun haben, schwierig nachzuvollziehen. Das ist schon ein sehr spezielles Ding in der Physik."
Natürlichkeit. Setzt man in einer physikalischen Theorie die zentralen Zahlenwerte ins Verhältnis, ist dieses Verhältnis in aller Regel weder besonders groß noch besonders klein. Riesige Quotienten, winzige Quotienten – dem Physiker gelten sie als verpönt, als unnatürlich. Sabine Hossenfelder:
"Stellen Sie sich vor, Sie gehen spazieren und sehen ein Feld mit Sonnenblumen. Dann sind die Sonnenblumen auf dem Feld alle ungefähr gleich groß. Wenn Sie da jetzt eine Sonnenblume haben, die ein paar Millionen Kilometer hoch ist, dann finden Sie das unnatürlich. Das braucht irgendeine Erklärung. Und es ist genau diese Intuition, wo die Physiker diesen Begriff von der Natürlichkeit herbekommen. Da muss irgendwas erklärt werden, das sollte so nicht sein."
Eine plausible Annahme – zumindest für die Sonnenblumen. Doch gilt sie auch für die Welt der kleinsten Teilchen, wo ganz andere Regeln gelten, die Gesetze der Quantenphysik? Hossenfelder forscht nach – und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Sabine Hossenfelder:
"Je mehr ich die Leute gefragt habe, desto mehr habe ich festgestellt: Eigentlich hat keiner eine gute Antwort darauf. Ich habe dann, nachdem ich meine Doktorarbeit gemacht habe, Schlussfolgerungen daraus gezogen: Ich glaube nicht, dass der Large Hadron Collider irgendwas von diesen schwarzen Löchern sieht oder von diesen Extra-Dimensionen, weil ich das Argument dafür für Quatsch gehalten habe, und habe aufgehört daran zu arbeiten."
Stattdessen schreibt Sabine Hossenfelder ein Buch, der Titel: "Das hässliche Universum". Eine Abrechnung mit jenen Theorien, die sich an einer Physik jenseits des Standardmodells versuchen. Viele dieser Theorien basieren auf den Prinzipien von Natürlichkeit und mathematischer Schönheit. Sicher: In der Vergangenheit hätten sich beide mehrfach als brauchbare Leitplanken bewährt, zuletzt auch bei der Entwicklung des Standardmodells. Nur: Dass das auch in Zukunft klappt, sei überhaupt nicht garantiert, meint Hossenfelder. Denn streng genommen seien Natürlichkeit und Schönheit aus der Luft gegriffen. Sabine Hossenfelder:
"Wenn Sie versuchen, das mathematisch streng zu formulieren, stellt sich raus: Sie können das nicht, es geht nicht! Es kommt letzten Endes immer auf ein Argument hinaus: Die Theorie soll halt schön sein auf diese bestimmte Art und Weise. Ich halte das für kein wissenschaftlich gutes Kriterium."
Theoretische Physik auf einem Irrweg
Ein Beispiel: SUSY, die Supersymmetrie, der Favorit unter den weiterführenden Theorien. Einer der Gründe: die Natürlichkeit. Laut Standardmodell ist die Masse des Higgs-Teilchens unnatürlich klein – es ist gleichsam die überlange Sonnenblume im Feld. Doch SUSY, die Supersymmetrie, verspricht Rettung: Ihre Gleichungen können die Higgs-Masse ganz natürlich erklären, die Riesen-Sonnenblume wäre gekappt. Würde SUSY stimmen, müsste der LHC die neuen supersymmetrischen Teilchen finden können. Doch solche Teilchen hat der Gigant aus Genf bislang nicht entdeckt. Sabine Hossenfelder:
"Sie können sich die Daten angucken, und die Daten sagen: Es hat wirklich nicht funktioniert. Jetzt müssen die Teilchenphysiker sich überlegen, was da schiefgegangen ist und das korrigieren. So sollte die Wissenschaft funktionieren. Und jetzt wird es interessant, ob das tatsächlich funktioniert. Ich bin mir da leider nicht so sicher."
Die theoretische Physik ist auf dem Holzweg, sie folgt den falschen Prämissen, glaubt Hossenfelder. Sie müsse ihre Prinzipien von Grund auf hinterfragen. Sabine Hossenfelder:
"Da muss sich was ändern. Da müssen Sie die Theoretiker dazu kriegen, dass sie da mal drüber nachdenken. Wir wären gut beraten, wenn wir erst mal ein bisschen mehr nachdenken, bevor wir weitere Milliarden in größere Beschleuniger reinstecken."
Die Optimistin
"Mein Name ist Dr. Ingrid-Maria Gregor. Ich bin beim DESY Teilchenphysikerin, und ich bin die Leiterin der Arbeitsgruppe Atlas."
Eine Halle am DESY in Hamburg. In die möchte Ingrid-Maria Gregor rein, doch die Tür geht nicht auf. Das Klopfen am Fenster hilft nichts, der Kollege drinnen kriegt es nicht mit. Zum Glück gibt es noch eine zweite Tür. Ingrid-Maria Gregor:
"Es ist eine Industriehalle. Wir haben hier einen Kran, wir müssen hier große Magnete bewegen."
Gregor steuert den hinteren Bereich der Halle an – einen Bunker mit meterdicken Betonwänden. Ein Teststand für Komponenten, die künftig am LHC in Genf zum Einsatz kommen sollen. Ingrid-Maria Gregor:
"Dann gehen wir hier mal rum. Die sind gerade dabei, einen neuen Detektor einzubauen. Das ist gerade alles offen, wir haben einen guten Moment erwischt."
Drinnen ist ein Forscherteam gerade dabei, den Prototyp eines Siliziumzählers in den Teststand einzusetzen. Ein Spezialchip, der jene Teilchen registrieren soll, die bei den Kollisionen am LHC entstehen. Im Teststand wird er mit Elektronen beschossen. So lässt sich prüfen, ob er wie geplant funktioniert. Ingrid-Maria Gregor:
"Die sind jetzt hier für zwei Wochen. Das läuft aber dann 24 Stunden. Die haben auch Nachtschichten, dass sie in der Zeit genügend Daten bekommen."
Teilchenbeschleuniger wird hochgerüstet
Die Forscher gehören, ebenso wie Ingrid-Maria Gregor, zu ATLAS, einem internationalen Team aus 3000 Leuten. ATLAS ist einer der vier riesigen Nachweisgeräte am LHC.
25 Meter hoch, 45 Meter lang, 7000 Tonnen. Der größte Teilchendetektor der Welt. In seinem Inneren prallen die vom LHC auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigten Protonen zusammen. Neue Teilchen entstehen und zerplatzen in Hunderte von Bruchstücken. ATLAS registriert, zählt und vermisst sie.
In einigen Jahren soll ATLAS hochgerüstet werden, unter anderem mit besseren Siliziumzählern. Auch der LHC wird umgebaut – mit der Absicht, noch mehr aus ihm herauszuholen.
Ingrid-Maria Grego:
"Es wird dann so viele Kollisionen geben, dass der Detektor in der Weise, wie er jetzt ist, nicht mehr funktionieren wird. Dafür brauchen wir einen neuen Detektor, der dann wesentlich feiner segmentiert ist, sodass wir so dann die Information bekommen, die wir brauchen."
Bald soll der LHC fünfmal mehr Kollisionen pro Jahr liefern als heute. Dadurch steigt die Chance, dass er doch noch etwas Neues entdeckt, eine Physik jenseits des Standardmodells. Ein Hoffnungsschimmer für Gregor und ihre Leute. Ingrid-Maria Gregor:
"Es gibt noch so viele offene Fragen – sei es dunkle Materie, dunkle Energie, Teilchen-Antiteilchen-Asymmetrie. Viele dieser Dinge, die wir vielleicht finden wollen, können wir erst sehen, wenn wir nochmal fünfmal oder zehnmal so viel Daten haben als jetzt. Deswegen ich bin noch nicht frustriert. Ich denke, da wird der LHC noch sehr viel bringen."
Und da sei es auch gar nicht so schlimm, wenn die Theoretiker mal schiefliegen mit ihren Prognosen, meint Ingrid-Maria Gregor, die Optimistin. Ingrid-Maria Gregor:
"Es wäre ein bisschen komisch, wenn man schon alles wüsste, was wir entdecken wollten. Es gibt viele Theorien. Wir müssen Geduld haben. Aber für mich ist Forschung ja auch ein bisschen, dass man nicht weiß, was hinten rauskommt."
"Axel Lindner, Gruppenleiter und Projektleiter von Alps bei DESY."
"Wir stecken in einer Krise, weil wir nicht genau weiterwissen, wie sich die Teilchenphysik entwickelt. Die Ideen, die viele Teilchenphysiker hatten mit dem LHC als großem weltweit genutzten Beschleuniger, was Neues zu finden – das hat sich erstmal zerschlagen."
Deshalb verfolgt Lindner einen anderen Weg.
"Mit dem Nichtfinden von neuer Physik bei LHC ist der Teilchenphysik bewusst geworden, dass sie vielleicht etwas vielfältiger werden muss. Wir müssen überall gucken, wo wir können."
Auch Lindner will ein neues, bislang hypothetisches Teilchen finden – das Axion. Aber ganz ohne Riesenbeschleuniger
Das Axion. Ende der siebziger Jahre von Theoretikern ersonnen, um bestimmte Schwierigkeiten bei der starken Wechselwirkung aus dem Weg zu räumen, einer der vier Grundkräfte der Natur. Außerdem ein Kandidat für die dunkle Materie. Benannt nach einem Konsumprodukt. Axel Lindner:
"Das Axion ist ein US-Waschmittel. Diese Unschönheit der starken Wechselwirkung wurde reingewaschen durch das Axion. Und plötzlich hat man wieder eine saubere Theorie. So ist das entstanden."
2005 geisterten scheue Hinweise durch die Fachwelt, dass es das Axion tatsächlich geben könnte. Gemeinsam mit einigen Kollegen konzipierte Axel Lindner ein Experiment namens ALPS. 2010 präsentierte das Team die Ergebnisse.
"Wir haben nichts gefunden. Aber das Beschäftigen mit diesem Themenfeld hat dazu geführt, dass plötzlich viele neue Ideen entstanden. Man hat in der Astrophysik Phänomene gefunden aus der Entwicklung von Sternen, die möglicherweise auf die Existenz von solchen Teilchen hindeuten."
20 Magneten suchen das Axion
Also starten Lindner und Co. nun ALPS II, ein Nachfolgeexperiment. Es ist deutlich größer und empfindlicher als sein Vorgänger.
"Wichtig für so ein Experiment sind starke Magnete. Die können wir uns nicht leisten, neu zu entwickeln. Das würde das Budget weit sprengen. Deswegen nutzen wir alte Magnete, die früher für Hera gebaut wurden."
Hera, einst der größte Beschleuniger Deutschlands, ist längst ausgemustert. Doch die Magneten von Hera gibt es noch. Sie stecken in tiefgekühlten Röhren, an den Seiten ist schon die Farbe abgeblättert. Das Problem: So, wie sie sind, können Lindner und seine Leute die Magneten nicht brauchen: Sie sind gekrümmt, und für das Experiment müssen sie gerade sein. Also werden sie geradegebogen, und zwar mit einiger Gewalt. Axel Lindner:
"Es ist ungefähr eine Kraft, die vier Tonnen entspricht, mit der man das geradedrücken muss. Die man durch Stützen halten muss, sonst biegt sich alles wieder zurück."
2020 soll der Versuch starten – 20 Magneten, eingebaut in eine alte, verwaiste Hera-Halle.
Der Plan: Laserlicht trifft auf die ersten zehn Magneten. Dort wandelt sich das Licht um in ein Axion. Dieses Axion fliegt durch eine Wand. Hinter der Wand stehen die restlichen Magneten. In ihrem Feld verwandelt sich das Axion in Licht zurück. Hochempfindliche Messtechnik weist dieses Licht nach. Die Kosten des Versuchs: vergleichsweise bescheidene drei Millionen Euro.
Gelingt das Experiment, wäre das eine Sensation: Mit dem Axion wäre das erste Teilchen jenseits des Standardmodells entdeckt und womöglich das Rätsel der dunklen Materie gelöst. In der Fachwelt galten Lindner und seine Leute lange als Außenseiter. Axel Lindner:
"Natürlich ist es in der Physik am Anfang schwierig, wenn man mit neuen experimentellen Vorschlägen kommt. Und so haben wir eine gewisse Leidens-Durststrecke durchlaufen müssen, um zu zeigen: Was wir machen, hat wirklich Hand und Fuß, und wir haben Aussicht, etwas zu finden. Das haben wir in den letzten Jahren geschafft. Von daher kommen wir langsam in den Bereich der etablierten Physik."
Ob es Axionen gibt und ob sie jemals gefunden werden, ist zwar ungewiss. Doch sollte die Suche scheitern, haben sich die Kosten wenigstens in Grenzen gehalten. Das gilt auch für andere Ansätze, bei denen es Teilchenforscher ohne Megabeschleuniger versuchen. Etwa bei der Suche nach der dunklen Materie.
Spezialdetektoren in kilometertiefen Untergrundlabors liegen auf der Lauer, um herumgeisternde Dunkle-Materie-Teilchen aufzuschnappen. Oder durch die Analyse sogenannter Neutrinos. Sensoren im ewigen Eis beobachten Neutrinos, winzige Geisterteilchen aus dem Weltall.
Oder durch die Untersuchung des Myons. Das Myon, der schwere Bruder des Elektrons. Gewisse Eigenheiten in seinem magnetischen Verhalten könnten auf neue Physik hindeuten.
Ansätze, die an Bedeutung noch gewinnen könnten - wenn andere Pläne scheitern.
Der Visionär
"Karsten Büßer. Ich bin Teilchenphysiker am DESY und stellvertretender Gruppenleiter für Detektorentwicklung an zukünftigen Projekten der Teilchenphysik. Der LHC ist der große Hammer, mit dem man draufschlägt. Der ILC ist dann das Laserskalpell, mit dem man dann mit hoher Präzision in die Ergebnisse reinsehen kann und nach Abweichungen von unserem heutigen Verständnis sucht."
Der International Linear Collider, kurz ILC. Kostenpunkt: fünf Milliarden Euro: Zwei schnurgerade Beschleuniger, jeweils zehn Kilometer lang, stehen sich direkt gegenüber. Der eine bringt Elektronen auf Trab, der andere Positronen, die Antiteilchen von Elektronen. Prallen sie aufeinander, vernichten sie sich zunächst. Aus der Kollisionsenergie entstehen andere, exotische Teilchen.
Beim LHC stoßen Protonen aufeinander – Teilchen, zusammengesetzt aus Quarks. Das Durcheinander nach der Kollision ist erheblich. Beim ILC dagegen prallen Elementarteilchen aufeinander. Diese Kollisionen sind sauberer, sie lassen sich genauer analysieren.
Mit dem ILC wollen die Forscher eine andere Strategie verfolgen als mit dem LHC: Er soll keine neuen Teilchen erzeugen, sondern ein bekanntes so genau wie möglich unter die Lupe nehmen – das Higgs. Karsten Büßer:
"Wie oft zerfallen sie in andere Teilchen? Wie reagieren sie in bestimmten Experimenten? Wenn man das mit hoher Präzision macht, kann man da unter Umständen Abweichungen sehen, die von Theorien vorhergesagt werden. Man muss wirklich ganz genau hingucken. Man braucht die bessere Lupe, um wirklich die Abweichungen zu erkennen."
Wer baut den Giganten ILC?
Abweichungen vom Standardmodell, die auf eine neue Physik hindeuten – das ist der Plan. Zum Beispiel auf SUSY, die Supersymmetrie. Karsten Büßer:
"Das wäre eine Möglichkeit, dass man beim ILC SUSY findet, obwohl der LHC sie einfach nicht sehen kann, weil er nicht genau genug hinguckt."
15 Jahre lang haben Physiker aus aller Welt auf den neuen Superbeschleuniger hingearbeitet, darunter Karsten Büßer.
"Der ILC ist vermutlich inzwischen das Beschleuniger-Projekt mit dem längsten Vorlauf."
Längst sind die Baupläne fertig. Nur: Wer bezahlt den Giganten? Karsten Büßer:
"Japan hat vor ein paar Jahren gesagt, sie wären unter Umständen interessiert, den ILC zu bauen als internationales Projekt. Die Gesamtkosten für die erste Ausbaustufe des ILC werden mit fünf Milliarden abgeschätzt. Sagen wir mal drei Milliarden müsste Japan tragen. Da müsste man zwei Milliarden weltweit einsammeln."
Ob Europa oder die USA sich an diesen Milliarden beteiligen werden, ist völlig offen. Karsten Büßer:
"Internationale Verhandlungen können scheitern. Und dann stürzen wir uns einfach auf etwas Neues. Dann wird man sagen: Schade, ist nichts geworden, dann konzentrieren wir uns auf andere Projekte."
Da wäre zum Beispiel CLIC, ein Konzept vom CERN ebenfalls für einen Linear Collider.
Wie es weitergeht? Ungewiss
Ebenso wie der ILC soll CLIC Elektronen auf Positronen feuern – aber mit einer anderen Beschleunigertechnologie. Damit könnte er, so die Idee, deutlich schwerere Teilchen erzeugen.
Oder der CEPC, ein Plan aus China für einen gewaltigen Beschleunigerring.
Umfang: 100 Kilometer. Ab 2030 soll er Elektronen auf Positronen schießen, später dann Protonen auf Protonen. Geschätzte Kosten: noch unbekannt.
Oder der FCC, das europäische Konkurrenzprojekt, entwickelt am CERN.
Umfang: 100 Kilometer. Ab 2040 Elektronen auf Positronen, ab 2055 Protonen auf Protonen. Geschätzte Kosten: 24 Milliarden Euro.
Giganten, die bis zu zehnmal höhere Kollisionsenergien schaffen würden als der LHC. Dadurch könnten sie neue, deutlich schwerere Teilchen entdecken – wenn sie denn existieren. Fundierte Vorhersagen gibt es nicht, nur Spekulationen. Der Bau eines 100-Kilometer-Rings – aus heutiger Sicht wäre er ein Schuss ins Blaue. Joachim Mnich:
"Da muss man sagen: Es gibt keine garantierte Entdeckung."
In seinem Büro in Genf denkt Joachim Mnich an die Zukunft seines Forschungsfelds, der Teilchenphysik. Für die nächsten Jahre scheint sie gesichert: Der LHC wird hochgerüstet, um die Fachwelt mit einer Flut an Daten zu beliefern. Doch wie es danach weitergeht, scheint derzeit völlig ungewiss.
"Ich glaube, das ist heute und auch in den nächsten Jahren wohl noch zu früh zu entscheiden. Da wird man sehen müssen: Was kommt eigentlich beim LHC heraus?"
Sollte der LHC tatsächlich noch auf handfeste Indizien für eine neue Physik stoßen – die Sinnkrise der Teilchenforschung wäre vorbei, ein Grund für den Bau neuer Riesenbeschleuniger wäre gegeben. Doch findet der LHC nichts, droht hier der Stillstand: Womöglich bildet das Standardmodell, jenes so unvollständige Theoriegebäude der Teilchenphysik, dann eine Grenze der Erkenntnis – bis auf Weiteres unüberwindbar.