Bettina Klein: Wir schauen noch einmal auf den Anschlag auf den internationalen Flughafen von Istanbul mit mehr als 40 Todesopfern. Eine Frau, die von Berlin-Tegel nach Istanbul geflogen ist, und zwar gestern, ist eine bei uns immer wieder gefragte Gesprächspartnerin: die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Seyran Ates, die selber in Berlin praktiziert, aber zwischen Berlin und Istanbul pendelt, und dort erreichen wir Sie jetzt. Schönen guten Morgen, Frau Ates!
Seyran Ates: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Sie sind gestern geflogen und auch tatsächlich am Istanbuler Flughafen gelandet, wie Sie mir gerade gesagt haben. Was haben Sie dort vorgefunden?
Ates: Ja, es war wirklich erschreckend, zumal ich wirklich eigentlich den Tag davor, also am Ereignistag, für diese Zeit den Flug reserviert hatte und später mich umentschieden für den Tag hatte. Es ist wirklich schicksalhaft.
Klein: Sie wären beinahe gelandet an dem Tag, als der Anschlag passiert ist?
Ates: An dem Tag wäre ich gelandet. Normalerweise hatte ich das so gebucht. Ich bin gestern dort gelandet und es ist erschreckend. Man kommt mit den Koffern da raus Richtung Ausgang und sieht, das ist so weit drin gewesen. Man hat vorher immer gedacht, das ist mehr draußen gewesen. Nein, diese Leute waren so weit drin im Flughafen. Es ist so schrecklich zerstört, die Stimmung ist natürlich erschreckend und ja, ganz schlimm.
Ates kritisiert Sicherheitspersonal am Flughafen als sehr lax
Klein: Jetzt sagt die türkische Regierung ja, es hat da irgendwie keine großen Sicherheitsprobleme gegeben. Gleichzeitig fragt man sich, wie kann dann so ein Anschlag passieren.
Ates: Nein, nein. Das geht gar nicht, dass Leute so tief in einen Flughafen rein können und so viel Unheil anrichten können. Wenn es keine Sicherheitslücken gibt, dann würde es auch keinen Grund geben, warum sie jetzt die Sicherheitsmaßnahmen verstärken und aufstocken. Es wird jetzt Sicherheitspersonal aufgestockt, was man hätte längst machen müssen, spätestens nach Brüssel.
Klein: Ist das das Hauptproblem gewesen Ihrer Meinung nach, der Personalmangel?
Ates: Zum einen der Personalmangel, und ich habe vor drei Wochen, als ich meinen Bruder hier am Flughafen verabschiedet habe, einen Koffer gemeldet, der unbewacht war, und der Sicherheitsbeamte, der an mir vorbeilief, dem ich das gezeigt habe, ist einfach weitergelaufen und hat gesagt, ja, ja, ich kümmere mich, und hat das zwei Stewardessen gemeldet.
Die habe ich angesprochen und die sagten, nein, das ist ja gar nicht unsere Aufgabe, der hätte sich kümmern müssen. Dann habe ich zwei andere Leute finden müssen, dass die sich kümmern. Eine halbe Stunde haben wir uns um einen unbewachten Koffer gekümmert! Ich habe das erlebt erst vor drei Wochen, dass Leute auch teilweise ignorant mit ihrem Job umgehen.
Klein: Ignorant, eine gewisse Laxheit auch beim Sicherheitspersonal?
Ates: Sehr, sehr lax gewesen.
"Die Leute sind ängstlich, aber auch sehr wütend"
Klein: Worauf führen Sie das zurück?
Ates: Das berichten auch andere Leute, dass sie es vielleicht nicht ernst nehmen oder auch sagen, okay, da ist ein unbewachter Koffer, zu gefährlich, ich entferne mich.
Klein: Gleichzeitig fragt man sich, es war ja der so und sovielte Anschlag allein in diesem Jahr mit vielen, vielen Todesopfern in der Türkei. Wie kann es sein, dass da nicht alle alles dafür tun, dass sich das nicht wiederholt?
Ates: Das ist ja gerade das Erschreckende. Das einfache Volk sagt, er selbst wird sehr gut bewacht, der Staatspräsident, und überhaupt alle wichtigen Persönlichkeiten, und man empfindet sich so als nicht wichtig, nicht lebenswert. Es gibt so viele Anschläge hier in diesem Land. Jeden Tag sterben Leute.
Ein Flughafen ist nun mal exponiert für Terroristen, das weiß man, und deshalb sind die Leute sehr irritiert. Der Taxifahrer, der mich gefahren hat, der drei Kollegen verloren hat, ist sehr wütend gewesen. 12 Fahrzeuge, meinte er, die sind so was von zerstört und durchlöchert gewesen, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ja, man hat das Gefühl, als einfacher Mensch ist man nicht so viel wert.
Klein: Wie nehmen Sie die Stimmung insgesamt in Istanbul im Augenblick wahr?
Ates: Sehr wütend. Die Leute sind ängstlich, aber auch sehr wütend, weil sie die Frage stellen, wenn dieser Flughafen nicht so geschützt werden konnte, wie sehr werden wir überhaupt geschützt. Die Sicherheitsfrage ist wirklich sehr hoch angesetzt und insgesamt ist die Bevölkerung eh sehr gespalten. Es gibt die pro AKP und gegen AKP und in dieser Spaltung wird es immer tiefer und aggressiver.
"Feindlichkeit der kurdischen Bevölkerung gegenüber nimmt zu"
Klein: Wie beurteilen Sie denn, Frau Ates, jetzt die Reaktion der türkischen Regierung? Man hat ja in diesem Fall relativ schnell gesagt, es sieht so aus, als sei es nicht ein Anschlag der PKK, sondern ein Anschlag des Islamischen Staates. Gleichzeitig hören wir auch Richtung Europäische Union, man möge bitte mit dem Unterschied aufhören zwischen der Kurden-Organisation und dem Islamischen Staat. Wie beurteilen Sie das?
Ates: Ja, das ist wirklich eine alte Last der Türkei, mit der Kurden-Problematik so umzugehen. In den letzten Wochen und Monaten waren alle Anschläge oder die meisten Anschläge immer der PKK zugesprochen. Die Feindlichkeit der kurdischen Bevölkerung gegenüber nimmt tagtäglich zu, erschreckend zu in einem Maße, wie ich das eigentlich auch selber noch nicht so heftig kannte. Es war schon immer schlimm, aber es wird wirklich schlimmer. Es heißt, Kurde gleich Terrorist, und der Kampf gegen die Kurden ist in einer Vehemenz da, die man leider Gottes gegenüber den Islamisten vermisst.
Klein: Aber jetzt spielt das ja keine Rolle. Jetzt hat man relativ schnell gesagt, das war der IS.
Ates: Ja, jetzt spielt das keine Rolle. Das hat man sehr schnell gesagt. Es ist vielleicht eine Wende, aber da kommt man nicht mehr drum herum sozusagen, das auch in der Vehemenz gleich deutlich zu klären, weil da gab es offensichtlich keine Möglichkeit, erst mal das für eine Weile auf die PKK zuzuschreiben.
Klein: Unter dem Strich, Frau Ates, was wäre Ihr Wunsch? Was wäre Ihre dringendste Forderung jetzt an die türkische Regierung, angesichts dessen, was wir da wieder erlebt haben?
Ates: Für mehr Frieden und für mehr Sicherheit in dem Land zu sorgen, ganz einfach. Die Politik, die bisher sehr auf Aggressivität und Konfrontation gesetzt war, auch gegenüber den Minderheiten im Land. Im Osten der Türkei herrscht Krieg, da muss sich was verändern. Und die Positionierung dem Islamischen Staat gegenüber war bisher offensichtlich - und das wird viel kritisiert - nicht so ganz klar.
Klein: Die Anwältin Seyran Ates war das. Wir haben sie direkt in Istanbul erreicht, wo sie gestern gelandet ist. Frau Ates, haben Sie vielen Dank für Ihre Schilderung und für Ihre Eindrücke heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
Ates: Vielen Dank! - Schönen Tag noch.
Klein: Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.