"Das ist von meiner Mama das Elternhaus und das hat davor den Eltern ihrer Eltern gehört."
Es ist ein Nachmittag im Spätherbst vergangenen Jahres. Marita Dresen steht vor ihrem Haus im Dorf Kuckum, südlich von Mönchengladbach, am Rande des Niederrheins. Heller Backstein, die Grundmauern sind ein paar hundert Jahre alt.
"Meine Kinder sind hier mit meiner Oma spazieren gegangen, die sind runter zur Niers… einfach nur schön. Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass das irgendwann in so einem riesen Loch verschwinden soll."
Das ist die Zukunft von Kuckum und fünf weiteren Orten – hier, unweit des Tagesbaus Garzweiler II. Das jahrhundertealte Dorf muss dem Kohleabbau weichen. Das ist schon vor langer Zeit so beschlossen und jetzt mit den Eckpunkten zum Kohleausstieg noch einmal bekräftigt worden.
"Es ist erschreckend, wie oft ich daran denke, wenn ich die Niers lang laufe, durch das kleine Wäldchen, dann kommen mir schon öfters die Tränen."
Für Marita Dresen hat die Leitentscheidung in Berlin nichts geändert, sagt sie jetzt auf Nachfrage. Sie hat kaum noch mit politischer Unterstützung gerechnet – und sich deswegen schon vor ein paar Monaten mit Gleichgesinnten zusammengetan, um gerichtlich gegen ihre Umsiedlung vorzugehen.
Am Küchentisch der Dresens sitzt Birgit Cichy. Sie ist Teil dieser Gruppe, die sich "Menschenrecht vor Bergrecht" nennt.
"Ich möchte auch nicht, dass meine Spazierwege wegfallen. Dieses kleine Wäldchen, wo ich so gerne unterwegs bin, die Freunde, die ich in den Dörfern habe, das würde sich alles auflösen im Nichts."
Deswegen haben die beiden Frauen und knapp ein Dutzend anderer Mitstreiter im Nachbarort Keyenberg ein Grundstück gekauft. Es liegt am Ortsrand des Dorfes. Wenn die Braunkohlebagger wie geplant 2023 kommen, um die Kohle unter Keyenberg zu holen, wäre es eines der ersten Grundstücke, das verschwinden würde.
"Solange dieses Grundstück da ist, ist Keyenberg da. Anders geht’s nicht."
"Man hat das Gefühl, man zählt überhaupt nicht als Mensch"
Der Plan: Dieses Grundstück wird nicht an RWE verkauft. Dem Energiekonzern bleibt dann nur noch der Weg über ein sogenanntes Grundabtretungsverfahren, kurz: Enteignung. Dagegen könne geklagt werden, so dass letztlich ein Gericht entscheiden müsste, ob Enteignungen für die Braunkohleverstromung heutzutage – mit beschlossenem Kohleausstieg und dem Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen – noch rechtens sind.
"Man hat das Gefühl, man zählt überhaupt nicht als Mensch und das tut so weh."
Laut den Entschlüssen aus Berlin beginnt der Kohleausstieg zwar im Westen – mit dem sukzessiven Abschalten von Kraftwerksblöcken. Er endet aber auch hier. Die Kohle aus dem Tagebau Garzweiler II werde bis zum Schluss gebraucht, erklärt RWE. Also bis 2038. Birgit Cichy und Marita Dresen bleibt deshalb nur noch der Gang vors Gericht.
Etwa eine halbe Autostunde entfernt, am Tagebau Hambach, ist die Situation eine andere. Hier hat der bereits von der Kohlekommission vor einem Jahr vorgeschlagene frühere Ausstieg aus der Braunkohleverstromung für neue Hoffnung gesorgt.
"Das gibt Kraft. Also ich habe zwei Leute gehabt, die mich kennen, die meinte, ich wäre ganz anders drauf, ich würde mehr lachen."
Dagmar Gerden sitzt an einem Oktobertag an einem Holztisch ihres Biohofes im Süden der Stadt Düren. Den Hof betreibt sie mit ihrem Mann Jürgen schon lange, seit 2018 wohnen sie mit ihren Söhnen auch hier, notgedrungen. Denn ihre alte Heimat, das Dorf Morschenich, liegt ganz nah am Tagebau Hambach und ist mittlerweile fast komplett umgesiedelt.
"Wir haben wirklich gekämpft, wir sind bis zur Bezirksregierung… ja."
Aber irgendwann habe sie gemerkt… "wir müssen aufhören, das geht sonst an die Gesundheit" – und das Haus an RWE verkauft.
"Mein Vater hat das Haus gebaut. Meine Eltern sind beide schon verstorben. Vielleicht würde es mir auch nicht so schwer fallen, wenn sie noch leben würden, aber … ich hätte es gerne wieder."
Aufgeben gibt es nicht
Das ist die Hoffnung, die Dagmar Gerden jetzt hat und die ihr neue Lebensfreude gibt. Denn er Hambacher Wald steht zwischen ihrem alten Familienhaus und dem Tagebau. Und nun, da der Hambacher Wald stehen bleibt, könne doch auch ihr Haus erhalten bleiben.
"Ich denke, Morschenich, das könnte doch eine Wende sein und wieder aufleben. Auch als Denkmal stehen."
"Und dann kann man vielleicht darüber sprechen, ob man das nicht zurückbekommen kann",
erklärt Jürgen Gerden.
Die Familie hat RWE deshalb mehrere Briefe geschrieben – die stets ablehnend beantwortet wurden.
"Der Plan steht und der Plan bleibt, das heißt, Morschenich kommt weg."
Die letzte Antwort erreichte die Gerdens erst diesen Mittwoch, einen Tag vor der großen Kohle-Entscheidung in Berlin, erzählt Jürgen Gerden am Telefon. Aufgeben wollen er und seine Frau aber dennoch nicht. Solange das Haus noch stehe, gebe es Hoffnung, sagen sie.
Der Kohleausstieg, er ist politisch beschlossen – der Fahrplan steht. In den Orten rund um die Rheinischen Tagebaue ist aber deshalb noch lange keine Ruhe eingekehrt. Die für die Menschen wirklich wichtigen Entscheidungen, sie stehen erst noch an.