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Nach Krawallen in Stuttgart
"Wir müssen alle zeigen, dass wir zur Polizei stehen"

Die SPD-Innenpolitikerin Ute Vogt sieht die Randalierer in Stuttgart als Menschen, die jeglichen Respekt verloren hätten - auch den vor der Polizei. Die Triebfeder für die Krawalle sei männliches Imponiergehabe, sagte Vogt im Dlf. Mit der aktuellen Debatte über Polizeigewalt habe das nichts zu tun.

Ute Vogt im Gespräch mit Sandra Schulz |
Zwei Polizisten stehen nach den Randalen in der Stuttgarter Innenstadt neben einem Einsatzwagen auf der Königstraße.
Mehrere hundert Menschen haben am Wochenende in der Stuttgarter Innenstadt randaliert (Foto: Christoph Schmidt/dpa)
Eine Routinekontrolle der Polizei in Stuttgart war am Wochenende Auslöser für eine für Stuttgart bislang einmalige Gewalteskalation. Hunderte Menschen randalierten, es wurden Steine und Flaschen geworfen, Geschäfte geplündert. 19 Polizisten wurden verletzt, mehrere Personen festgenommen. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zeigte sich schockiert. Er machte unter anderem Geltungsbewusstsein in den sozialen Medien als Hintergrund für die Ausschreitungen aus. Laut Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) entstammen die Akteure der "Party-Szene" in Stuttgart, sicher seien auch Drogen und Alkohol im Spiel gewesen. Diese Szene habe sich seit längerem im Schlossgarten festgesetzt. Der innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Blenke, sagte, die Gewalt sei auch eine Folge von politischer Stimmungsmache gegen die Polizei. Wenn etwa die SPD-Vorsitzende Saskia Esken der deutschen Polizei ein Rassismus-Problem unterstelle, fühlten sich Krawalltäter in ihrem Tun bestärkt. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft erhebt schwere Vorwürfe: Die pauschale Verunglimpfung und Verunsicherung der Polizei habe zu der Enthemmung in Stuttgart beigetragen, heißt es von Gewerkschaftsseite. Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Abgeordnete für den Wahlkreis Stuttgart eins, sieht dagegen keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Krawallen und den Aussagen ihrer Parteichefin.
Sandra Schulz: Die Bilder erinnern ja an Szenen, wie wir sie zuletzt aus den USA gesehen haben. Da haben wir ziemlich schnell von sozialen Unruhen gesprochen. Haben wir die jetzt auch hier?
Ute Vogt: Soziale Unruhen sind das mit Sicherheit nicht, sondern das sind Leute, in deren Köpfen irgendwas nicht mehr stimmt. Es sind Menschen, die offenbar jeglichen Respekt verloren haben, Respekt vor anderen Menschen und insbesondere auch den Respekt vor der Polizei. Leider ist das eine Entwicklung, die wir schon länger beobachten müssen.
Protesters hold up signs as they demonstrate in outrage over the death of George Floyd by a Minneapolis police officer at a rally in lower Manhattan in New York, United States.
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"Senkung der Hemmschwelle, gegen andere vorzugehen"
Schulz: Warum haben diese Menschen den Respekt verloren?
Vogt: Ich kann es nicht wirklich erklären, was genau die Ursache ist. Aber wir haben ja schon vor drei Jahren, ziemlich genau vor drei Jahren, ich glaube es war Ende April, das Gesetz verschärft, um Übergriffe gegen Rettungskräfte und Polizeibeamte stärker zu ahnden, um schärfer bestrafen zu können. Aber man sieht, allein eine Gesetzesverschärfung nutzt nichts; wir müssen anfangen, auch stärker uns um die Köpfe zu bemühen. Denn in der Gedankenwelt ist irgendwas schief, wenn Menschen es an Respekt einfach so vermissen lassen. Und wir sehen ja das auch an anderen Stellen. Das Thema Hasskriminalität war ja gerade auch Gegenstand im Bundestag und einer Gesetzesinitiative. Das hängt auch ein Stück alles damit zusammen, diese Senkung der Hemmschwelle, gegen andere vorzugehen. Das ist eine katastrophale gesellschaftliche Entwicklung, der wir alle auch entgegenstehen müssen.
Schulz: Die Polizei spricht von einer Event- oder Partyszene. Ist das eine Szene, die die Innenpolitik bisher auf dem Schirm hatte?
Vogt: Wir haben sie in der Tat nicht so auf dem Schirm gehabt, denn wir haben zwar auch bei der polizeilichen Kriminalstatistik gesehen, dass sich die Straftaten gegenüber Polizeibeamten beziehungsweise die Übergriffe wiederum erhöht hatten, auch vom vergangenen Jahr zum letzten Jahr. Aber wir hatten das, ehrlich gesagt, aus dieser Szene so nicht intensiv im Blick. Aber es war wohl schon so, dass in Stuttgart es häufiger zu Rangeleien schon kam. Deshalb war die Polizei ja stärker besetzt sogar als in den vergangenen Zeiten, weil es immer wieder Gemurre und Gemotze gab auch bei Corona-Überprüfungen. Da hat sich etwas Bahn gebrochen. Wir haben mit so einem Ausbruch alle nicht gerechnet.
Die SPD-Abgeordnete Ute Vogt spricht im Bundestag
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt (picture alliance/ dpa/ Gregor Fischer)
"Hätte mir Eskens Aussage differenzierter gewünscht"
Schulz: Der Stuttgarter Polizeipräsident Lutz sagt ja, dass insgesamt die Polizeiarbeit schwieriger geworden ist, weil es häufiger aus der Menschenmenge heraus Aggressionen gebe, Beleidigungen und auch Angriffe auf die Polizisten. Wie hilfreich war es denn da, dass Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken davon gesprochen hat, es gebe latenten Rassismus bei der Polizei?
Vogt: Ich finde, diese Debatte jetzt quasi als Ursache zu nehmen für solche Ausschreitungen, wie es der Kollege Frei gemacht hat, das ist doch ein bisschen schlicht. Denn es gibt wie gesagt einen länger anhaltenden Trend, und insofern, finde ich, muss man insgesamt über die Rolle der Polizei und den Respekt gegenüber der Polizei reden. Das hat jetzt aus meiner Sicht nicht unmittelbar was mit der aktuellen Diskussion zu tun. Das sind ja auch gar keine politischen Täter gewesen. Es war auch kein Migrant, der kontrolliert worden ist, sondern da gab es überhaupt gar keine Ursache, das jetzt in Verbindung zu setzen. Der Herr Frei ist offenbar schon wieder auf einem Wahlkampftrip.
Schulz: Aber es ist ja nicht nur Herr Frei. Ich will die Argumentationskette noch mal deutlicher machen: Der Innenpolitiker in Stuttgart, Thomas Blenke, der sagt, über solche Äußerungen werde die Polizei zum Freiwild, sie werde unter Generalverdacht gestellt. Was antworten Sie darauf?
Vogt: Ich habe keinen Generalverdacht gegen die Polizei. Im Gegenteil! Ich habe riesen Vertrauen in die Polizei und ich hätte sicherlich diese Aussage auch etwas differenzierter mir gewünscht. Aber trotzdem kann man da jetzt keine Ursache dafür setzen, denn das ist das Problem ehrlich unterschätzt, das wir haben. Das Problem wie gesagt geht schon länger und es geht eher um die Frage, wie schaffen wir es, alle gemeinsam auch wieder das Menschenbild in solchen Köpfen zu verändern. Interessant fand ich, dass der Kollege Berger, der stellvertretende Polizeipräsident, ja festgestellt hat, die Gewalt ist männlich und betrunken. Das fand ich auch eine interessante Feststellung. Es sind auch Männer, die ein Imponiergehabe da an den Tag legen, denen man sagen muss, das ist erbärmlich und klein, wenn man sich so benimmt gegenüber anderen Menschen. Ich glaube, so eine Debatte braucht man.
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"Man darf die Polizei nicht allein lassen"
Schulz: Auf die Strategie würde ich mit Ihnen auch gerne gleich noch schauen. Aber die Rückfrage hätte ich noch. Wenn Sie sagen, Sie haben ein riesen Vertrauen in die Polizei. Hat eine SPD-Vorsitzende, die von latentem Rassismus spricht, hat die auch riesen Vertrauen in die Polizei?
Vogt: Sie hat das Vertrauen. Sie war in Niedersachsen auch sofort nach ihrer Äußerung bei der Ausbildung von Polizisten dabei, hat mit denen sich ausgetauscht. Es ist klar, natürlich gibt es wie in der gesamten Gesellschaft auch in der Polizei Rassismus. Aber es gibt keinen Generalverdacht und Frau Esken hat sich da auch vor Ort noch mal mit den Polizeibeamtinnen und Beamten wirklich ausgetauscht. Das war vielleicht eine unglückliche Äußerung, aber daran jetzt das alles festzumachen, das ist wirklich ein billiges Spiel.
Schulz: Jetzt heißt es von allen Seiten, da wird jetzt ganz klar gezeigt, wo es langgeht. Die Ankündigung der Polizei in Stuttgart ist ja auch, ihre Kräfteeinsätze deutlich erhöhen zu wollen. Jetzt gibt es aus anderen Großstädten, aus Berlin-Kreuzberg oder auch aus der Hamburger Hafenstraße durchaus die Erfahrung, dass mehr Polizeipräsenz nicht immer automatisch zu einer Beruhigung der Lage beigetragen hat. Ich sage das ohne Schuldzuweisung, sondern ich zitiere das einfach so als Erfahrung. Was, wenn die höhere Polizeipräsenz jetzt in Stuttgart nicht hilft?
Vogt: Ich denke, das ist genau der Punkt, dass wir darauf allein nicht setzen dürfen. Man darf die Polizei da auch nicht allein lassen.
"Mechanismen durchbrechen"
Schulz: Sondern worauf dann?
Vogt: Es braucht eine gesellschaftliche Initiative. Wir müssen da alle zeigen, dass wir zur Polizei stehen. Das fängt bei der Politik an, aber geht auch in die normale Bürgerschaft. Wir haben in Stuttgart jetzt gleich auch - die Stadt setzt sich gerade schon mit der Polizei zusammen. So wie ich die Stuttgarter Polizei kenne und ihre Einsatzstrategien, wird da auch viel gearbeitet mit Gesprächen, mit runden Tischen. Da setzt man sich zusammen, versucht, Verständnis füreinander zu schaffen, vielleicht auch mit der Szene anders in Kontakt zu treten, nicht nur abends, wenn die am Feiern sind, sondern auch mal versuchen, die Personen tagsüber zu bekommen, mit denen sich auszutauschen. Ich meine jetzt nicht mit den Straftätern, aber da sind ja noch mehr Leute unterwegs, die da feiern, und mit denen muss man einfach den Kontakt suchen und klarmachen: Ihr müsst jetzt alle helfen, dass diese Typen, die da als Straftäter gewalttätig auftreten, dass die im Grunde isoliert sind und sehen, dass das keine Unterstützung in der Gesellschaft hat. Denn das ist immer die Triebfeder bei solchen, dass man dann bewundert wird und dass man dann sehr cool ist. Diese Mechanismen muss man durchbrechen und das macht man sicherlich nicht allein mit Polizeipräsenz, sondern durchaus auch mit Unterstützung aus der Gesellschaft und von denen, die da nicht beteiligt waren, die aber trotzdem gerne in Stuttgart feiern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.