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Nach Kritik an "Holocaust-Gesetz"
Kampagne gegen Kritiker

"Polnische Vernichtungslager" – dieser Begriff soll verschwinden, doch vorerst ist das Gegenteil der Fall. Seit Warschau ein entsprechendes Gesetz beschlossen hat, hagelt es weltweit Kritik. Der Vorwurf: Zensur. Dem treten in Polen die staatlichen Medien massiv entgegen.

Von Martin Sander |
    Jaroslaw Kaczynski im Visier einer TV-Kamera.
    Jaroslaw Kaczynski: Der Vorsitzende der Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) gilt als Polens heimlicher Regierungschef. (Imago / Zuma Press)
    Der Streit um Polens neues IPN-Gesetz wurde von einer Kampagne in den Medien begleitet. Am Anfang standen Zuschauer-Tweets, die in die Diskussionssendung "Studio Polska" des staatlichen Fernsehkanals TV-Info eingeblendet wurden. "Geben wir die nächsten 100 Millionen für jüdische Friedhöfe aus", "Endlich zeigen Israel und die ganz jüdische Lobby ihr wahres Gesicht", "Die Juden zeigen ihr wahres Gesicht – die Holocaustindustrie dient ihnen dazu, fortlaufend hohe Milliardenbeträge aus Polen herauszuschlagen". Solche und andere Tweets im Fernsehprogramm lösten Empörung aus. Daraufhin gelobten die Programmmacher Besserung und rechtfertigten die Einblendung antisemitischer Äußerungen mit einem falschen Computermechanismus. Doch daran wollen die Kritiker nicht glauben. Sie verweisen auf zahlreiche weitere Vorfälle – im Staatfernsehen.
    So versuchten sich zwei der bekanntesten nationalkonservativen Publizisten an einer satirischen und zugleich ganz ernst gemeinten Kritik an der angeblich weltweit üblichen Formel "Polnische Vernichtungslager". Dieser Begriff wird, wenn auch selten, fälschlicherweise außerhalb Polens für deutsche nationalsozialistische Vernichtungslager auf polnischem Boden benutzt. Wer ihn gebraucht, könne genauso gut von jüdischen Vernichtungslagern sprechen, erklärte der rechtsnationale Publizist Rafał Ziemkiewicz in der Sendung "W tyle wizja" - und entgegnete den Kritikern von Polens Anti-Verleumdungsgesetz: "Bitte wundern Sie sich dann auch nicht darüber, dass jemand den Kindern beibringt, dass das jüdische Volk Jesus ans Kreuz geschlagen hat. Oder – dass das jüdische Volk am Holocaust beteiligt war. Wenn wir darüber reden, dass Völker daran beteiligt waren, sollen wir so, in einer solchen Sprache darüber reden?"
    Erinnerungen an die späten 1960er-Jahre
    Auf diese Frage antwortete Ziemkiewiczs Partner, der Journalist, Buchautor und Kabarettist Marcin Wolski: "Dann kann man ja auch sagen, diese Lager waren weder deutsche noch polnische, sondern jüdische Lager. Denn wer hat denn am Ende die Krematorien bedient?" Marcin Wolski ist nicht nur einer der vielen Haus- und Hofpublizisten der Nationalkonservativen, sondern auch ein Mann mit Vergangenheit. Ende der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts beteiligte er sich bereits an einer antijüdischen Kampagne des kommunistischen Polens, die Zehntausende von Juden aus dem Land vertrieb. Damals zog Wolski über israelische Zionisten, amerikanische Imperialisten und westdeutsche Revanchisten her. Manch einer fühlt sich in diesen Tagen an die Kampagne vor 50 Jahren erinnert.
    Daniel Passent, seit vielen Jahrzehnten Autor des Wochenblatts "Polityka" mit jüdischen Wurzeln, gibt zu bedenken: "Ich wurde von Polen und Juden während der deutschen Besatzung gerettet. Meine Eltern wurden von Polen an die Deutschen verraten. Ich habe gedacht, das ganze tragische Kapitel sei abgeschlossen. Jetzt lebt es wieder auf. Die Regierung verdirbt alles. Man kann doch nicht per Gesetz wissenschaftliche Forschungen verhindern – oder Gedichte oder Erinnerungen. Dadurch lebt das Stereotyp vom antisemitischen Polen weiter und vorhandene antisemitische Stimmungen in Polen werden befeuert. Das ist ein großer Schaden."
    Das neue Gesetz, das die Medienkampagne ausgelöst hat, sieht für die Behauptung einer Beteiligung Polens am Holocaust eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren vor. Kritikern zufolge beabsichtigt die Regierung damit die Zensur von öffentlichen Debatten und Publikationen aller Art zum Thema Kollaboration im Zweiten Weltkrieg. Polens Regierung beharrt aber darauf, es ginge ihr nur darum, die Bezeichnung "polnische Lager" für deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager zu unterbinden. Diese in der Tat falsche und für Polen beleidigende Formulierung kommt in der internationalen Presse vor, wenn auch nur in Ausnahmefällen. Doch Polens Regierung weiß diese Ausnahmefälle innenpolitisch zu nutzen. Die Sympathien sind auf ihrer Seite und wachsen täglich an.