Im Mai 2010 startet eine Raumsonde mit einem Segel in Richtung Venus. IKAROS markiert nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen den ersten Einsatz eines Segels im All, auch wenn es dabei unvorhergesehene Probleme gibt.
"IKAROS demonstrierte zum ersten Mal, dass ein Sonnensegel funktioniert. Es zeigte aber auch, dass der Strahlungsdruck der Sonne einen großen Einfluss auf die Lageregelung der Raumsonde hat. Die Kraft der Sonne hat die von uns gewollte Rotation der Sonde nicht nur verändert, sondern sie ungewollt auch in eine Spiralbewegung versetzt. Das waren wirklich wichtige Lehren für die kommenden Missionen mit Sonnensegeln."
Revolutionäre Raumfahrt-Technologie
Osamu Mori war Projektmanager von IKAROS und ist diese Woche zum Internationalen Symposium für Sonnensegel nach Aachen gekommen. Die hier versammelte Forschergemeinde besteht gerade aus 60 Wissenschaftlern, denn Raumsonden werden heute allesamt noch von chemisch oder elektrisch beschleunigten Treibstoffen angetrieben. Die Forscher sind allerdings überzeugt: Sonnensegel könnten die Raumfahrt revolutionieren und auch neue Möglichkeiten im Erdorbit eröffnen. Jeanette Heiligers:
"Wir können mit einem Sonnensegel beständig der Schwerkraft der Erde oder der Sonne entgegenwirken und dadurch völlig neue Umlaufbahnen erreichen, die beispielsweise oberhalb der Sonne oder der Erde liegen und die ohne einen Segelantrieb gar nicht möglich wären."
Jeanette Heiligers von der Technischen Universität im niederländischen Delft ist weltweit führende Expertin für Bahnmechanik der segelgetriebenen Raumfahrzeuge.
Geostationäre Satelliten über den Polen
Immer am gleichen Punkt am Himmel stehende Satelliten sind derzeit nur auf geostationären Bahnen über dem Äquator möglich. Polare Breiten lassen sich dagegen nur wiederholt überfliegen, was eine ständige Internetverbindungen oder die dortige Erforschung des Klimawandels erschwert, sagt Heiligers:
"Wir könnten direkt oberhalb der Polregion schweben und hätten einen Satelliten, der ständig einen Blick auf dies Region hat."
Eine weitere Idee für eine Anwendung ist ein besseres Frühwarnsystem für Teilchenausbrüche auf der Sonne: Diese können die Gesundheit von Astronauten gefährden, Satelliten und sogar Stromversorgung am Boden lahmlegen. Zwar gibt es bereits Satelliten, die solche Ausbrüche in Erdnähe am sogenannten Lagrangepunkt L1 erkennen, aber die Vorwarnzeit ist kurz.
Sonnenobservatorium am Lagrangepunkt L5
Ein anderer solcher Lagrangepunkt wäre viel besser geeignet, aber Missionen zu ihm sind sehr treibstoffintensiv.
"Der Lagrangepunkt L5 befindet sich auf der Umlaufbahn rund 60 Grad hinter der Erde. Von dort sind Teile der Sonne sichtbar, die vom L1-Punkt oder der Erde unsichtbar sind, die aber Ausgangspunkt großer Teilchenausbrüche sind, die die Erde treffen können. Am L5 können Sie diese Sonnenstürme viel früher erkennen, und zwar Tage vorher anstelle von einer halben Stunde."
Die Kreativität der Forscher kennt keine Grenzen: Segelnde Taxi-Raumschiffe mit schwerer Ladung könnten einmal menschliche Außenposten auf dem Mars oder Asteroidenbergwege vergleichsweise kostengünstig mit der Erde verbinden.
Sonnensegel für Reisen mit Rekordtempo
Roman Kezerashvili, ein Physiker von der City University of New York, geht gedanklich noch einen großen Schritt weiter.
"Wenn Sie ein Sonnensegel sehr nah an der Sonne öffnen, könnten wir unseren Berechnungen zufolge eine Geschwindigkeit von 300 Kilometern pro Sekunde erreichen. Das ist immerhin ein Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit."
Sehr schwere Sonden ins äußere Sonnensystem werden dadurch denkbar, vielleicht sogar Flüge zu den nächsten Sternen innerhalb weniger Jahrzehnte. Doch bis solche Flüge unternommen werden, dürfte noch einige Zeit vergehen, vermutet auch Tom Spröwitz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das die Sonnensegel selbst schon viele Jahre lang hauptsächlich am Boden erforscht:
"Es ist eine Technologie, die natürlich die Möglichkeit bietet, schier unendlich viel Energie zur Verfügung zu haben. Wir nutzen einfach die Energie der Sonne, um von A nach B zu kommen. Allerdings ist es sehr komplex. Es sind lange Missionszeiten. Und so etwas zu entwickeln, muss sehr sorgfältig gemacht werden, um eine Mission zum Erfolg zu bringen."
Viele Ideen, wenig Geld für die Umsetzung
Woran selbst die technisch führenden Japaner immer wieder scheitern, zeigt das Beispiel von Osamu Mori: Er versucht seit vielen Jahren, für eine Raumsonde mit einem 1600 Quadratmeter großen Sonnensegel Gelder zu bekommen. Diese Sonde namens OKEANOS soll zu einem exotischen Asteroiden auf die Jupiterbahn geschickt werden, um von dort schließlich Proben zur Erde zurückzubringen. Eine solche Mission wäre mit konventionellen Antrieben unmöglich. Doch Japans Raumfahrtagentur entschied sich kürzlich, das Vorhaben vorerst nicht zu fördern. Die ambitionierte Mission muss nun warten, denn das nächste Startfenster zum Jupiter öffnet sich erst im Jahr 2030.
Die Bahnmechanik-Expertin Jeanette Heiligers ist dennoch überzeugt: Ihre theoretische Vorarbeit für Segelflüge quer durch das Planetensystem werden nicht vergebens sein:
"Mit jeder Mission kommen wir einen Schritt weiter. Und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht in zehn oder 20 Jahren in der Lage sein sollten, auch manche der fortgeschritteneren Missionskonzepte zu verwirklichen, die hier auf der Konferenz vorgestellt wurden."