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Nach Maaßen-Anhörung im Innenausschuss
"Wenn das Vertrauen nicht da ist, haben wir ein ernstes Problem"

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen habe das Vertrauen schwer erschüttert und im Innenausschuss des Bundestages nicht wiederherstellen können, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl im Dlf. Und wenn das Vertrauen in den Verfassungsschutz fehle, müsse das personelle Konsequenzen haben.

Eva Högl im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Die SPD-Politikerin Eva Högl im Deutschen Bundestag
    Die SPD-Politikerin Eva Högl im Deutschen Bundestag (imago stock&people)
    Stefan Heinlein: Zweieinhalb Wochen sind vergangen seit dem Tod eines jungen Menschen in Chemnitz, seit den Aufmärschen Rechtsradikaler in der Stadt und den folgenden Ausschreitungen. Doch noch immer bestimmt Chemnitz die politische Debatte in Berlin. Im Zentrum mittlerweile die umstrittenen Interview-Äußerungen von Hans-Georg Maaßen. Der Geheimdienstchef musste gestern zweimal zum Rapport: erst vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dann zusammen mit seinem Dienstherrn Horst Seehofer vor den Innenausschuss des Bundestages. Ein langer Tag für Hans-Georg Maaßen.
    Am Telefon nun die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl, zuständig unter anderem für Innen, Recht und Heimat. Guten Morgen, Frau Högl.
    Eva Högl: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Frau Högl, nach den Befragungen fordert Ihr Parteifreund, Juso-Chef Kevin Kühnert, heute Morgen im "Spiegel" das Ende der Koalition, wenn Maaßen im Amt bleibt. Artikuliert Kevin Kühnert die Stimmung vieler Genossen, Frau Högl?
    Högl: Ja. Die SPD ist in der Tat nicht überzeugt von dem, was Herr Maaßen uns gestern berichtet hat, und auch, was er schriftlich in seinem Bericht niedergelegt hat. Es geht mir vor allen Dingen um das Thema Vertrauen. Gerade in den Tagen, in denen wir uns jetzt befinden, mit der Stimmung in unserer Bevölkerung, mit der Sorge um Rechtsstaat und Demokratie, ist es ganz wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger und auch wir, die wir den Verfassungsschutz kontrollieren, Vertrauen haben in den Verfassungsschutz und auch in seine Spitze. Herr Maaßen hat dieses Vertrauen, was er selbst schwer erschüttert hat, gestern in der Befragung nicht wiederherstellen können. Das heißt, die SPD ist sehr kritisch.
    Heinlein: Jetzt haben Sie sehr elegant, Frau Högl, meine erste Frage weggebügelt. Noch einmal: Ende der Koalition, wenn Maaßen im Amt bleibt? Was denken Sie persönlich?
    Högl: Die SPD verlässt natürlich wegen Herrn Maaßen nicht die Koalition. Wir haben noch viele andere Themen und eine Menge im Koalitionsvertrag vereinbart. Aber es ist natürlich eine ernste Frage und ich bin auch der Auffassung, dass Herr Seehofer gestern vorschnell sich an die Seite oder hinter Herrn Maaßen gestellt hat. Die SPD ist der Auffassung, dass er nicht der Richtige an der Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz ist, und wir finden auch, dass möglicherweise Herr Seehofer noch mal darüber nachdenken muss, oder auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel für Klarheit sorgen muss.
    "Darstellung war alles andere als klar und schlüssig"
    Heinlein: Ist aus Ihrer Sicht, aus Sicht der SPD aus der Affäre Maaßen längst eine Affäre Horst Seehofer geworden? Der Innenminister steht ja (und seit gestern ganz besonders) weiter fest an der Seite von Hans-Georg Maaßen.
    Högl: Nun ja, das hat mich auch sehr überrascht, dass er so schnell gesagt hat, dass er keinen Anlass sieht, personelle Konsequenzen zu ziehen. Denn die Darstellung war alles andere als klar und schlüssig. Im Übrigen halte ich das auch für sehr bedenklich, wenn sich der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz soweit aus dem Fenster lehnt, sich an Spekulationen und Verschwörungstheorien via "Bild"-Zeitung beteiligt. Ich möchte ganz gern noch mal daran erinnern, dass Herr Maaßen ja an die Spitze des Verfassungsschutzes gekommen ist, als das Vertrauen in den Verfassungsschutz schwer erschüttert war aufgrund gravierender Fehler und Versäumnisse nach der NSU-Terrorserie, der NSU-Mordserie. Und wenn jetzt kein Vertrauen in den Verfassungsschutz besteht, dann muss man tatsächlich auch personelle Konsequenzen ziehen.
    Heinlein: Sie haben Horst Seehofer kritisiert. Ist aus Sicht der SPD Horst Seehofer der Vater aller Probleme der Koalition?
    Högl: Nun ja, es ist gerade nicht ganz einfach, mit Horst Seehofer Innenpolitik zu gestalten, denn die SPD legt großen Wert darauf, dass wir an den Problemen orientiert gute Lösungen für Innenpolitik, für unsere Demokratie und für unseren Rechtsstaat finden, und das macht man nicht mit schnellen Schlagzeilen, auch nicht mit symbolischer Politik. Das erfordert, wenn es Probleme gibt, auch die notwendigen Entscheidungen, und die Entscheidung über Herrn Maaßen gestern wäre so eine gewesen. Ich hoffe, dass Herr Seehofer darüber noch mal nachdenkt.
    Noch ein Hüter der Verfassung?
    Heinlein: Sie haben in Ihrer ersten Antwort, Frau Högl, gesagt, dass Ihr Vertrauen in Hans-Georg Maaßen nicht vollständig wiederhergestellt ist. Ist denn Hans-Georg Maaßen, der Verfassungsschutzpräsident, noch ein Hüter der Verfassung, oder muss er jetzt zurücktreten, wenn er nicht weitere oder ausführlichere Antworten gibt auf die Fragen, die Sie nach wie vor haben?
    Högl: Ja, die SPD ist der Auffassung, dass sich jetzt tatsächlich eine ganze Menge angesammelt hat und Herr Maaßen höchst persönlich mit seinem Agieren das Vertrauen in den Verfassungsschutz selbst erschüttert hat. Die häppchenweise Information über Gespräche mit der AfD, das birgt auch immer die Gefahr, dass Rechtsextremismus verharmlost wird. Ich erinnere noch mal an die häppchenweise Information auch rund um den Tod des V-Manns Corelli, die Unklarheiten beim V-Mann rund um Anis Amri. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die jedenfalls nicht dazu geeignet sind, das Vertrauen wiederherzustellen beziehungsweise zu sagen, dass Herr Maaßen glücklich agiert an der Spitze des Verfassungsschutzes. Deswegen kommen wir zu dem Ergebnis als SPD, dass er nicht der Richtige ist.
    Heinlein: Nehmen wir nur ein Beispiel von den Interview-Äußerungen von Hans-Georg Maaßen. Er redet ja da von Mord, obwohl die Staatsanwälte in Chemnitz ja wegen Todschlags ermitteln. Ist Hans-Georg Maaßen ein schlechter Jurist, oder hat er das bewusst gemacht? Was glauben Sie?
    Högl: Herr Heinlein, danach habe ich ihn genau gestern gefragt, weil ich darüber auch gestolpert bin und das auch wirklich bemerkenswert finde. Er hat mir darauf geantwortet, und auch das finde ich sehr bemerkenswert, dass er das Wort "Mord" gewählt habe wider besseren Wissens, weil die Bürger große Sorgen haben, dass in unserem Land Tötungsdelikte heruntergeredet werden und man deshalb so ein Tötungsdelikt auch drastisch mit Mord bezeichnen müsste. Das ist für einen Juristen, der Herr Maaßen ist, und in der Gesamtgemengelage der öffentlichen Diskussion doch wirklich eine Verfehlung, die ich auch nicht so einfach hinnehmen kann.
    "Eine Aufgabe der politischen Beratung"
    Heinlein: Ein Verfassungsschutzpräsident ist ja eigentlich ein Geheimdienstchef. Das sagt ja schon der Name. Er sollte eigentlich im Geheimen arbeiten und eher in der Öffentlichkeit schweigen. Ist es ein grundsätzlicher Fehler, wenn ein Verfassungsschutzpräsident sich in der Öffentlichkeit äußert, Interviews gibt, zumal in Boulevard-Zeitungen? Gehört das zu seinen Aufgaben? Oder muss man ganz klar sagen: Lieber Verfassungsschutzpräsident, da bist Du lieber still?
    Högl: Der Verfassungsschutz muss auf der Basis von Tatsachen sich äußern. Er muss Sachverhalte aufklären. Er muss die Bundesregierung gut beraten bei ihren politischen Entscheidungen, auch den Bundestag. Er hat eine Aufgabe der politischen Beratung. Ich sehe es sehr, sehr kritisch, wenn der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz die "Bild"-Zeitung wählt, um sich an Spekulationen zu beteiligen und um mehr Unsicherheit und Unklarheiten zu schaffen als Klarheiten. Ich fand es auch sehr bemerkenswert (und auch danach habe ich ihn gestern gefragt), dass er sich ja mit seinem Interview in der "Bild"-Zeitung ganz offenkundig in Widerspruch zur Einschätzung der Bundeskanzlerin gesetzt hat. Deswegen kritisiere ich diese permanente öffentliche Darstellung durch Herrn Maaßen ganz ausdrücklich. Ich finde, der Chef eines, wie Sie sagen, Geheimdienstes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat die Aufgabe, Politik zu beraten, aber nicht selber Politik zu machen.
    Heinlein: Wie problematisch ist es, Frau Högl, wenn ein Verfassungsschutzpräsident regelmäßig Kontakte pflegt zu einer rechtspopulistischen Partei und sie möglicherweise sogar berät?
    Högl: Grundsätzlich spricht gar nichts dagegen, dass der Chef des Verfassungsschutzes sich mit allen politischen Parteien und vor allen Dingen mit den im Bundestag oder in anderen Parlamenten vertretenen Fraktionen austauscht und informiert über die Lage. Wo die Grenze natürlich überschritten ist, wenn es die Form einer Beratung annimmt. Ich weiß nicht, wie genau die Gespräche abgelaufen sind, aber was ich kritisiere ist, dass er nicht von selbst in die Offensive gegangen ist - in diesem Fall wäre Offensive gut gewesen – und berichtet hat, mit wem aus der AfD er zu welchem Anlass gesprochen hat, zumal wir ja auch gerade intensiv darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit ist, die AfD durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, und da auch diverse Prüfvorgänge bei den Verfassungsschutzämtern in diversen Bundesländern laufen.
    Neuanfang beim Verfassungsschutz?
    Heinlein: Frau Högl, es gibt Hinweise in verschiedenen Medien, auch in Untersuchungsberichten über undichte Stellen beim Verfassungsschutz. Informationen würden durchsickern in Richtung AfD. Haben Sie Hans-Georg Maaßen dazu gestern im Innenausschuss befragen können?
    Högl: Dazu haben wir ihn nicht konkret befragt. Das war gestern nicht Thema. Aber ich weiß das aus den Bundesländern, dass es da Skepsis gibt. Ich will mich an diesen Spekulationen und an dieser Skepsis nicht im Detail beteiligen. Aber ich will eins noch mal hervorheben, was ich vorhin schon gesagt habe: Es geht um Vertrauen und es geht vor allen Dingen um eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Das war auch der Kardinalfehler bei der NSU-Mordserie, weswegen dort nicht ordnungsgemäß gearbeitet wurde beim Verfassungsschutz. Wenn dieses Vertrauen nicht da ist von Seiten der Bundesländer, weil sie vermuten, dass die Informationen weitergegeben werden, dann haben wir ein ernstes Problem, und auch das wäre ein Grund zu sagen, vielleicht ist Herr Maaßen nicht der Richtige an der Stelle.
    Heinlein: Wäre das auch ein Grund, grundsätzlich über einen Neuanfang beim Verfassungsschutz nachzudenken? Das ist ja eine Forderung der Grünen.
    Högl: Genau! Das sehen wir als SPD ähnlich. Wir konzentrieren uns jetzt auf den personellen Neuanfang, aber natürlich müssen wir fortlaufend daran arbeiten, dass der Verfassungsschutz gut aufgestellt ist, dass er personell gut ausgestattet ist, dass er alle Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die problematisch für Demokratie und Rechtsstaat sind, im Blick hat. Das ist seine Aufgabe und das ist eine permanente Aufgabe, und ich fordere vor allen Dingen, dass wir als Politikerinnen und Politiker den Verfassungsschutz auch sorgfältig parlamentarisch kontrollieren.
    Heinlein: Heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl. Frau Högl, vielen Dank für Ihre Zeit und auf Wiederhören nach Berlin.
    Högl: Danke auch! – Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.