Stefan Heinlein: Ein Megadeal der Chemiebranche: Im Sommer blätterte der deutsche Bayer-Konzern über 55 Milliarden Euro auf den Tisch für die Übernahme des US-Saatgutunternehmens Monsanto. Eine Übernahme, die sich lange hinzog und von Beginn an heftig umstritten war. Der Grund: Monsanto ist der Hersteller von Glyphosat, ein Unkrautvernichtungsmittel, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Kein Verdacht, sondern eine Tatsache, so ein Gericht in San Francisco. Die Geschworenen verurteilten den Konzern jetzt zu einer dreistelligen Millionenentschädigung. Und am Telefon nun Renate Künast, lange Jahre Bundeslandwirtschafts- und Vebraucherschutzministerin und Fraktionsvorsitzende der Grünen. Guten Tag, Frau Künast!
Renate Künast: Guten Tag, Herr Heinlein!
Heinlein: Monsanto habe sich der Heimtücke schuldig gemacht, so steht es im Urteil, wir haben es gerade gehört. Teilen Sie, Frau Künast, diese Einschätzung der Geschworenen in San Francisco?
Künast: Ein harter Begriff, aber ich teile diese Einschätzung. Warum? Weil in dieser Beweisaufnahme ja festgestellt wurde, dass es eine Vielzahl anderer wissenschaftlicher Einschätzungen gibt, also es mindestens strittig ist, Monsanto aber gezielt gegen diese Wissenschaftler vorgegangen ist, für andere Wissenschaftler Vorlagen geschrieben hat, Studien nicht veröffentlicht hat. Und deshalb sagen sie, allein daraus, dass es mindestens strittig ist in der Wissenschaft, war es heimtückisch, nicht die Wahrheit zu sagen, die entsprechenden Anwender nicht zu warnen.
Das würde man vielleicht nicht gleichermaßen scharf von einem Gericht Deutschlands hören, aber es ist schon die Wahrheit: Monsanto betreibt – wie sagt man im Englischen – Whitewashing, gibt es auch entsprechende Bücher, in denen sie Druck auf Wissenschaftler ausüben, und das läuft alles nicht sauber. Und wenn jetzt Monsanto sagt, ja, die Umweltbehörden oder Risikobehörden hätten ja auch in Europa ihre Einschätzung gestützt. Ja, das war aber ein Zulassungsverfahren, wo im Wesentlichen Monsanto bestimmt hat, welche Gutachten und Studien vorlagen.
Heinlein: Aber das genau, Frau Künast, ist doch der Punkt. Warum wissen es denn die Geschworenen – das sind ja Laien – in San Francisco besser als alle Experten der US-Umweltbehörde, aber auch deutsche und europäische Aufsichtsbehörden, die ja Glyphosat, und damit Monsanto, einen Blankoschein gegeben haben?
Künast: Wissen Sie, die Vorlagen, die die jeweils hatten, sind andere gewesen. Das Verfahren ist ein anderes. In diesem Verfahren, wo mehrere Anwälte mitgearbeitet haben, auch aus der Kennedy-Familie, hat man mal alles auf den Tisch gelegt und hat auch dargestellt, dass Monsanto, wenn ein Wissenschaftler sich mal kritisch geäußert hatte und seine Studie vorgelegt hat, dann haben sie den Mailverkehr veröffentlichen müssen, wo Monsanto gesagt hat, wir brauchen jetzt unbedingt einen Wissenschaftler, dem schreiben wir schon eine Vorlage, der gegen diesen kritischen Wissenschaftler vorgeht.
Aus dieser Gemengelage, dass es kritische Berichte gibt und dass Monsanto da systematisch getrickst hat, haben die Geschworenen – das ist ein bisschen anders als im deutschen Recht – gesagt, dass Monsanto nicht mal gewarnt hat, dass es die Möglichkeit gibt, dass es Krebs erregt, dass das strittig ist, deshalb gibt es dort diesen 300-Millionen-Dollar-Schadensersatz.
Da geht es nicht um die Frage, wer klüger ist, sondern wie die Fragestellung und die Beweisregeln sind. Wenn hier in Deutschland das Bundesinstitut für Risikobewertung Zulassungsentscheidungen trifft, wunder ich mich, ehrlich gesagt, auch, warum die nicht sagen, wir wollen mehr Studien haben und nicht nur Monsanto-Studien mit einer engen Fragestellung. Ist ja auch wichtig, wenn ich eine enge Fragestellung habe, habe ich auch ein Ergebnis.
"Da hat man einen Beleg gehabt, dass sie nicht sauber gearbeitet haben"
Heinlein: Frau Künast, noch einmal die Frage: Dieser Prozess, habe ich heute Morgen gelernt, dauerte nur vier Wochen. Reicht das denn aus, um diese komplexen Fachfragen, den Krebsverdacht gegen Glyphosat zu beurteilen, zumal eben von Laien?
Künast: Ich glaube ja, ehrlich gesagt nicht, Herr Heinlein, dass es um die Laienfrage geht, sondern es geht darum, die haben ja auch nicht gesagt, das ist zwingend krebserregend oder so, das war gar nicht deren Fragestellung. Sondern die Fragestellung ist, hat Monsanto getrickst, hatte Monsanto auch andere Gutachten, die zu einem anderen Ergebnis als die engen Fragestellungen der Monsanto-Studien oder der geheimen Studien, die sie nicht veröffentlicht haben, sondern hat Monsanto bewusst getrickst und gelogen und Druck auf Wissenschaftler ausgeübt und, und, und. Da hat man halt einen Beleg gehabt, dass sie nicht sauber gearbeitet haben. Das hat sich Monsanto mindestens ja selber eingebrockt. Die Fragestellung war da nicht abschließend, ist es krebserregend oder nicht. Ich glaube, dass man aus dem Vorsorgeprinzip in Europa heraus, weil man mindestens erhebliche Zweifel haben muss, eigentlich zu einem ähnlichen Ergebnis kommen muss, weil ich will nicht, dass bei uns Bauern, Konsumenten, vor allen die Kinder, derartig einer Gesundheitsgefahr ausgesetzt werden.
Heinlein: Gelogen hat der Monsanto-Konzern, so sagen Sie, so sagen die Geschworenen in San Francisco. Nun ist Monsanto Teil, eine Tochter jetzt eines deutschen Unternehmens, des Bayer-Konzerns. Welche Folgen wird das Urteil haben für diesen Konzern, für den Bayer-Konzern und für die Branche insgesamt?
Künast: Ich glaube, dass Bayer jetzt sehr genau nachdenken muss, ob sie damit nicht einen kapitalen Fehler gemacht haben. Sie hatten ja behauptet, sie würden anders kommunizieren, als Monsanto das getan hat, die ja oft Druck ausgelöst haben an der Stelle. Und genau darüber muss Bayer jetzt nachdenken, dass sie sagen, meines Erachtens, sie stoppen Glyphosat, und Glyphosat-ähnliche Stoffe nehmen sie raus aus dem Prozess. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit für das Unternehmen, nicht noch weiter Schaden zu nehmen, und dann, sage ich mal, Botschaft an Frau Klöckner: Das Vorsorgeprinzip, das nämlich heißt, wenn eine begründete Gefahr besteht, zieht man ein Mittel vom Markt, muss für Frau Klöckner eigentlich heißen, dass sie jetzt ein ganz striktes Anwendungsverbot in Deutschland verkündet, weil man darf auch hier Bauern und Konsumenten nicht der Krebsgefahr aussetzen.
Heinlein: Frau Klöckner ist Ihre Nachfolgerin, eine Ihrer Nachfolgerinnen als Bundeslandwirtschaftsministerin. Sehen Sie denn Anzeichen, dass die CDU-/CSU-Politikerin tatsächlich jetzt Glyphosat verbieten könnte?
Künast: Sie hat sich ja heute Vormittag noch nicht geäußert. Ich habe zumindest nichts gesehen. Was sie bisher gesagt hatte dazu, war, sie wollte ein paar Anwendungsbeschränkungen mit, ich finde, vielen Ausnahmen machen. Das finde ich falsch. Wir haben so viel Agrarsubvention. Sagen wir doch jetzt mal als ersten Schritt, in bestimmten Gebieten, auch zum Beispiel Wasserschutzgebieten, darf es gar nicht mehr angewandt werden. Und ich glaube, sie wäre gut beraten, gleich grundsätzlich zu sagen, es gilt ein grundsätzliches Nein, und die Bauern, die da jetzt Einschränkungen erfahren, die können wir mit unseren Agrarsubventionen, den können wir bei der Umstellung finanziell helfen. Das wäre sozusagen deren gutes Recht. Somit wäre allen gedient, dem Bauern beim Ertrag, bei ihrer Gesundheit, und allen Konsumenten, was die Bauern ja auch sind.
"Es macht Sinn, durchaus hier auch zur Klage zu gehen"
Heinlein: Frage noch an die Verbraucherschützerin Renate Künast: Würden Sie jetzt auch dazu raten, in Deutschland oder auf europäischer Ebene zu klagen gegen Monsanto?
Künast: Die rechtliche Lage ist da nicht ganz gleich. Man kann nicht den entsprechenden Schadensersatz wegen unterlassener Warnhinweise oder so bekommen, aber grundsätzlich halte ich es durchaus für richtig, hier zu klagen und zu fragen. Eins ist aber auf alle Fälle klar: Die, die jetzt politisch Verantwortung tragen, haben jetzt ein Legitimationsproblem. Sie müssen erklären, was los ist, und ich sage mal, besser jetzt als – Sie haben es im Vorspann ja selber gesagt –, 5.000 Klagen, über 5.000 Klagen in den USA anhängig, 400 sind da schon zugelassen zur Klage in Kalifornien. Also das Thema hört nicht auf, sondern es geht weiter, und damit werden die Kunden auch immer kritischer werden. Also sage ich mal, es macht Sinn, durchaus hier auch zur Klage zu gehen, aber der allererste Punkt ist ja, schützen wir nach dem Vorsorgeprinzip die Gesundheit aller Menschen hier, und deshalb sage ich mal, Anwendungsverbot jetzt heißt die Devise.
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