Es war ja wirklich nicht zu erwarten, dass Thomas Langhoff, der nach außen hin immer so fein und integer wirkende Senior des Theaters mit den Wurzeln tief in der Geschichte der DDR, eine ernsthafte "Deutung” liefern würde für die Geschichte von Tschechows russischem 'Kirschgarten' - für diese schön, traurige Fabel von der Unbelehr- und Unbeirrbarkeit des Alten gegenüber der verzweifelten Wut und Wucht der Erneuerung, die -zum Beispiel- einen herrlich alten und riesengroßen, aber längst völlig nutzlosen Garten mit Kirschbäumen nebst Holzhütten und Gutshof drum herum platt machen will, um Platz für Datschen zu schaffen mit Urlaubern drin; für die hässliche Gleichförmigkeit der Zeitgenossenschaft also gegenüber der Eigenheit des Unvergänglichen. So stark, so überlebensfähig in allen Generationen ist dieser Konflikt mit Tschechows poetischem Gleichnis vom 'Kirschgarten', dass dieses Stück einerseits jeden auch nur halbwegs modernisierenden Zugriff verträgt, andererseits aber eigentlich gar keinen braucht - jede Generation führt mit der davor in etwa dieses Gespräch:
Die im Pariser Luxus finanziell auf den Hund gekommene Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna, die nie verstehen wird, worum es geht, und darum lacht, und der Datschenplaner Lopachin, der neureiche Emporkömmling aus ärmlich-dörflichen Verhältnissen, der nichts von dem, was er vernichten wird, hasst - und doch alles zerstören wird ... in den Gesprächen dieser beiden bildet sich das ewige Wechselspiel im Nichtverstehen ab, das den Fortschritt begleitet. Und "Der Kirschgarten” ist in dieser Hinsicht sicher Tschechows womöglich politischstes Stück - selbst wo es pittoresk und kurios daher kommt, wie in der berühmten Rede, die der ins Billard vernarrte Gajew, Bruder der Gutsherrin, dem alten Schrank im Wohnzimmer hält:
Miniaturen, immerzu und überall Miniaturen, eingebunden in den gemächlichen, manchmal richtiggehend trägen Fluss der Handlung; die im wesentlichen daraus besteht, dass die Zeit vergeht und sich die Puzzleteilchen der Kirschgarten-Gesellschaft zu immer neuen Konstellationen fügen - manchmal funkelt's, manchmal blitzt's, wenn sich die Geschichten stoßen im Raum; ein Witz-, ein Trauer-Mobile.
Nichts anderes, nichts mehr will Regisseur Langhoff als das, was geschrieben steht - und der herausragende Interpret des pausenlosen Abends ist denn auch der Übersetzer und Bearbeiter, der viel zu früh verstorbene Dramatiker Thomas Brasch. Dessen Fassung setzt Akzente, die genaues Hinhören und Hinschauen lohnen - etwa die sonderbaren Clowns-Dialoge am Rande der Personage, wo Brasch sehr zu Recht fast Becketts Theater des Absurden auszumachen meint; ohne dass Langhoffs Inszenierung diesen Eindruck nun irgendwie forcieren würde. Er ist einfach da. Oder im finalen Monolog des im leeren Gutshaus eingeschlossenen, zum Sterben bereiten Dieners Firs, der sich zum letzten Mal an die merkwürdige Geschichte der eigenen Inhaftierung (und kurz darauf erfolgten -ebenso grundlosen- Freilassung!) vor ungezählten Jahren erinnert: "Von einem Tag auf den anderen. Verhaftet, verurteilt, entlassen ... ohne Grund ... ” - das ist DDR-Erinnerung pur, die Brasch da der Tschechow-Melancholie unterlegt hat. Und wenn das dann auch noch Jürgen Holtz spricht, dieser knorrige Überlebende in und nach der DDR, dann hat das schon sehr eigenen Ton ...
Kurzum - wie wenig auch Langhoff dazu tun mag, wie wenig inspirierend auch Katrin Kerstens maßvoll abstrahierende Bühne den Blick aufs Stück voran treibt, wie wenig zwingend Hans-Jörn Brandenburgs Musik für Streichquintett dazwischen zirpt: an den Zwischentönen gesundet dieser Abend dann eben doch. An Jürgen Holtz als altem Diener, an der zauberhaft unprätentiösen, konsequent sachlich agierenden Cornelia Froboess als ewig ahnungsloser Gutsherrin, an Martin Seiferts nölig-naivem Bruder Gajew und vielen anderen im Ensemble - vor allem aber kristallisiert sich der Kern vom 'Kirschgarten' an Robert Gallinowski, der den Datschen-Propheten Lopachin recht kurzfristig übernahm und diese reiche Rolle mit allen Facetten des Aufsteigers ausgestattet hat; zerrissen zwischen Scham und Gier.
Diese Figur, wenigstens diese, ist dann eben doch ganz und gar von heute; Museum hin, Museum her.
Die im Pariser Luxus finanziell auf den Hund gekommene Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna, die nie verstehen wird, worum es geht, und darum lacht, und der Datschenplaner Lopachin, der neureiche Emporkömmling aus ärmlich-dörflichen Verhältnissen, der nichts von dem, was er vernichten wird, hasst - und doch alles zerstören wird ... in den Gesprächen dieser beiden bildet sich das ewige Wechselspiel im Nichtverstehen ab, das den Fortschritt begleitet. Und "Der Kirschgarten” ist in dieser Hinsicht sicher Tschechows womöglich politischstes Stück - selbst wo es pittoresk und kurios daher kommt, wie in der berühmten Rede, die der ins Billard vernarrte Gajew, Bruder der Gutsherrin, dem alten Schrank im Wohnzimmer hält:
Miniaturen, immerzu und überall Miniaturen, eingebunden in den gemächlichen, manchmal richtiggehend trägen Fluss der Handlung; die im wesentlichen daraus besteht, dass die Zeit vergeht und sich die Puzzleteilchen der Kirschgarten-Gesellschaft zu immer neuen Konstellationen fügen - manchmal funkelt's, manchmal blitzt's, wenn sich die Geschichten stoßen im Raum; ein Witz-, ein Trauer-Mobile.
Nichts anderes, nichts mehr will Regisseur Langhoff als das, was geschrieben steht - und der herausragende Interpret des pausenlosen Abends ist denn auch der Übersetzer und Bearbeiter, der viel zu früh verstorbene Dramatiker Thomas Brasch. Dessen Fassung setzt Akzente, die genaues Hinhören und Hinschauen lohnen - etwa die sonderbaren Clowns-Dialoge am Rande der Personage, wo Brasch sehr zu Recht fast Becketts Theater des Absurden auszumachen meint; ohne dass Langhoffs Inszenierung diesen Eindruck nun irgendwie forcieren würde. Er ist einfach da. Oder im finalen Monolog des im leeren Gutshaus eingeschlossenen, zum Sterben bereiten Dieners Firs, der sich zum letzten Mal an die merkwürdige Geschichte der eigenen Inhaftierung (und kurz darauf erfolgten -ebenso grundlosen- Freilassung!) vor ungezählten Jahren erinnert: "Von einem Tag auf den anderen. Verhaftet, verurteilt, entlassen ... ohne Grund ... ” - das ist DDR-Erinnerung pur, die Brasch da der Tschechow-Melancholie unterlegt hat. Und wenn das dann auch noch Jürgen Holtz spricht, dieser knorrige Überlebende in und nach der DDR, dann hat das schon sehr eigenen Ton ...
Kurzum - wie wenig auch Langhoff dazu tun mag, wie wenig inspirierend auch Katrin Kerstens maßvoll abstrahierende Bühne den Blick aufs Stück voran treibt, wie wenig zwingend Hans-Jörn Brandenburgs Musik für Streichquintett dazwischen zirpt: an den Zwischentönen gesundet dieser Abend dann eben doch. An Jürgen Holtz als altem Diener, an der zauberhaft unprätentiösen, konsequent sachlich agierenden Cornelia Froboess als ewig ahnungsloser Gutsherrin, an Martin Seiferts nölig-naivem Bruder Gajew und vielen anderen im Ensemble - vor allem aber kristallisiert sich der Kern vom 'Kirschgarten' an Robert Gallinowski, der den Datschen-Propheten Lopachin recht kurzfristig übernahm und diese reiche Rolle mit allen Facetten des Aufsteigers ausgestattet hat; zerrissen zwischen Scham und Gier.
Diese Figur, wenigstens diese, ist dann eben doch ganz und gar von heute; Museum hin, Museum her.