Sportförderung
Warum Deutschland bei Olympia so wenige Medaillen geholt hat

Deutschland belegt bei den Olympischen Sommerspielen in Paris den 10. Platz im Medaillenspiegel. 33 Medaillen bedeuten die schlechteste Bilanz seit der Wiedervereinigung. Vor allem bei der Sportförderung gibt es Verbesserungsmöglichkeiten.

Von Maximilian Rieger und Julian Tilders |
Der deutsche Stabhochspringer Torben Blech zeigt sich nach dem Verpassens des Finals bei Olympia frustriert
Es gab einige Überraschungen, aber auch viele Enttäuschungen für die deutschen Sportlerinnen und Sportler bei den Olympischen Spielen in Paris. (IMAGO / Beautiful Sports / IMAGO / BEAUTIFUL SPORTS / Axel Kohring)
Zwölfmal Gold, 13-mal Silber, achtmal Bronze: Das ist die deutsche Bilanz der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Bei 204 qualifizierten Nationen ein ehrbares Ergebnis, aber Deutschland will schon lange (wieder) unter die besten fünf kommen. Frankreich, Australien, Japan, China und die USA an der Spitze sind jedoch weit enteilt.
Lutz Thieme bringt den Wettstreit im Dlf-Gespräch auf den Punkt: "Wir haben international unterschiedliche Systeme, die in unterschiedlichen Sportarten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen." In den USA gebe es mit dem College-System zum Beispiel ein ganz andere Art der Sportförderung, so der Sportwissenschaftler von der Hochschule Koblenz. Und in den Niederlanden, die Platz sechs im Tableau belegten, werde die Sportförderung zentralisiert und auf medaillenträchtige Sportarten konzentriert.

Spagat zwischen Flächendeckung und Zentralisierung

Das föderal organisierte Deutschland arbeitet hingegen im Sport mit 13 Olympia- und fast 200 Bundesstützpunkten. Aber wäre eine Zentralisierung wie etwa in den flächenmäßig fast zehnmal kleineren Niederlanden in Deutschland überhaupt sinnvoll? "Das kann man pauschal nicht beantworten", so Thieme, der beim Deutschen Schwimmverband Vizepräsident ist.
Er führt aus: "Eine Zentralisierung macht dort Sinn, wo ich hohe spezifische Kosten habe, denken Sie an eine Bobbahn oder Sprungschanze. Auf der anderen Seite sind Sportarten, die in der Fläche weit verbreitet sind, zum Beispiel Leichtathletik oder Schwimmen, darauf angewiesen, dass es eine Flächendeckung gibt. Wir brauchen für bestimmte Sportarten eine Wohnort-nahe Fördermöglichkeit der – insbesondere jüngeren – Athletinnen und Athleten."
Sabine Poschmann, sportpolitische Sprecherin der SPD, wird dazu im Dlf hingegen deutlicher: Es gebe die Überlegung, Stützpunkte zusammenzulegen: "Also einen größeren Stützpunkt mit mehr Qualität. Wo mehrere Sportarten voneinander profitieren und möglichst viele Athleten an einem Ort sind." Poschmann unterstreicht: "Viele Athletinnen und Athleten trainieren zu Hause. Das ist ein System, das zum Großteil nicht funktioniert."

Wie funktioniert bislang die Sportförderung in Deutschland?

Dieses System, das laut Poschmann "zum Großteil nicht funktioniert", sieht bislang in der Finanzierung so aus: Für den Spitzensport ist der Bund zuständig. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) finanziert sich zwar auch durch Mitgliedsbeiträge, Lotterieeinnahmen und Vermarktungslizenzen, doch der Spitzensport-Bereich wird in den Fachverbänden alleine mit Steuergeldern des Bundes gestemmt.
Derzeit fördert das Bundesinnenministerium (BMI) den Spitzensport mit rund 300 Millionen Euro. Außerdem gibt es 160 Förderstellen für Spitzensportlerinnen und -Sportler bei der Bundespolizei, 890 bei der Bundeswehr und 73 beim Zoll – dadurch kommen nochmal rund 67 Millionen Euro Ausgaben für Spitzensportler hinzu.
Für den Breiten- und Amateursport, und damit auch für die Nachwuchssportförderung von potentiellen Olympioniken, sind derweil die einzelnen Bundesländer verantwortlich. Zusammen mit den Kommunen liegt es zudem in ihren Händen, die Sportstätten zu erhalten, die eine wichtige Grundlage fürs Sporttreiben sind.

Spitzensport: Potenzialanalyse steht in der Kritik

Lange entschied der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) alleine, wohin die von der Bundesregierung bewilligten Fördermittel im Spitzensport fließen. Grundlage für die Verteilung ist nun seit einiger Zeit das Potenzialanalysesystem (PotAS) – ein Kind der 2016 beschlossenen Leistungssportreform infolge der Kritik des Bundesrechnungshofes, die Sportförderung sei nicht nachvollziehbar.
Die Potenzialanalyse soll "insbesondere eine Top-5-Platzierung bei den Olympischen Sommer- und eine Top-3-Platzierung bei den (...) Winterspielen" langfristig sichern. Eine Platzierung, von der Deutschland zumindest bei den Sommerspielen seit Jahren weit entfernt ist.
So sind die PotAS-Prognosen nicht unbedingt zuverlässig. Ein Beispiel: Basketball belegte im Jahr 2023 den letzten Platz im Förder-Ranking, die DBB-Männer wurden dann aber Weltmeister, die 3x3-Frauen holten jüngst in Paris Gold. Und die Leichtathletik, bei der Analyse auf Platz eins gesetzt, ging bei der WM in Budapest 2023 erstmals leer aus.
Der DOSB ist bei der Verteilung der Fördergelder bislang weiter federführend. Die Summen für die einzelnen Verbände werden in Zielvereinbarungsgesprächen zwischen DOSB und Fachverbänden ermittelt, an das Innenministerium (BMI) kommuniziert und durch das Bundesverwaltungsamt ausgeschüttet.

Neue Sportagentur: Machtkampf zwischen DOSB und BMI

Das soll sich allerdings ändern – zum Unmut des DOSB, der im März den Entwurf für das historische erste Sportfördergesetz in Deutschland scharf kritisierte und von "vom Bund angelegte[n] Fesseln" sprach.
Der Streitpunkt: die Machtverteilung in einer neuen Sportagentur in Form einer Stiftung. Diese soll unabhängig über die Verteilung der Fördermittel entscheiden. In den Gremien sollen Bund, Länder und der organisierte Sport vertreten sein, mit der gleichen Anzahl an Sitzen, aber unterschiedlicher Verteilung. Im Entwurf hätte bei der Vergabe der Fördermittel das BMI das letzte Wort – schließlich handelt es sich um Steuergelder, so die Argumentation des Ministeriums.
"Wir konzentrieren dort die Gelder, die der Bund zur Verfügung stellt, ermöglichen aber auch Drittmittel", sagt SPD-Politikerin Poschmann. "Es ist eine unabhänige Agentur, von der wir uns versprechen, dass sie in die Struktur reingehen kann und mit Sportmanagern andere Ansätze findet." Alles neu also im Sportsystem? Das ist nicht wirklich der Fall, denn die umstrittene Potenzialanalyse soll dann in der Agentur angesiedelt werden.

Thieme über Agentur: "Zusätzliche Struktur löst Problem nicht"

Sportwissenschaftler Thieme sieht in der neuen Sportagentur jedenfalls nicht die Erlösung. "Die Schaffung einer zusätzlichen Struktur, einer zusätzlichen Entscheidungsinstanz, löst das Problem nicht, sondern vergrößert nur die Anzahl der Spieler, die um das Problem kreisen, es aber nicht lösen", urteilt der Professor.
Seiner Ansicht nach könne eine solche Agentur "nur wirksam werden, wenn sie eine Brückenfunktion zwischen den Nachwuchsleistungssport-Förderungen der Länder und des Bundes vornimmt". Es müssten dringend "bürokratische Hürden abgebaut werden, um das Geld bei Athletinnen und Athleten ankommen und nicht in bürokratischen Strukturen versacken zu lassen".
Auch Torsten Burmester, Vorstandschef des DOSB, hatte im Gespräch mit dem Deutschlandfunk schon im September 2023 moniert: "Wir haben im Moment im Bereich der Mittelvergabe bis zu sieben Beteiligte. Das ist in der Tat ineffizient, da müssen wir wesentlich schneller werden. Ich glaube, wir sind manchmal ein Tanker in der Spitzensportförderung."

Mangelnder Leistungswille als "Fehlwahrnehmung"

Und dieser Tanker wurde immer unattraktiver für seine Besatzung. Die Situation mancher Trainer ist prekär, sie gehen wegen schlechter Bezahlung, streng befristeter Verträge, hoher Arbeitslast und mangelnder Wertschätzung teils ins Ausland. Auch einige Top-Athletinnen und Athleten trainieren wegen der besseren Bedingungen in anderen Ländern.
Aber nicht nur im Profi-Bereich verliert der deutsche Sport seine Talente. "Bis zu 80 Prozent im männlichen und 60, 70 Prozent im weiblichen Bereich sind bis zehn Jahre Mitglied in einem Sportverein. Diese Quote sinkt bis zu einem Alter von 25 Jahren auf ungefähr 25 Prozent", rechnet Sportwissenschaftler Thieme vor. Und das habe auch mit der Verfügbarkeit von Trainer:innen und dem Zustand der Sportstätten zu tun.
Frank Ullrich (SPD), Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag, führte hingegen zuletzt im "Spiegel" die Probleme unter anderem auf einen Mangel an Leistungsbereitschaft zurück: "Ich habe das Gefühl, viele junge Menschen haben sich vom Leistungsprinzip verabschiedet, aber auch der organisierte Sport geht diesen Trend in Teilen mit." Nur Medaillen seien die einzig wahre Währung.
Sportwissenschaftler Thieme hält davon nichts, er nennt Ullrichs Haltung eine "Fehlwahrnehmung": "Die sogenannte Boomer-Generation ist deutlich größer als die Generation der Kinder und Jugendlichen, die jetzt anfangen, Sport zu treiben oder sich in Richtung Leistungssport entscheiden. Insofern ist es statistisch ein Fakt, dass ich weniger Jugendliche habe, die als leistungsbereit beschrieben werden können. Allerdings würde ich behaupten, dass der Anteil derer, die leistungsbereit sind, sich gegenüber anderen Generation nicht unterscheidet."

Ein "Miteinander" im deutschen Sport ist das Ziel

Und auch Ullrichs SPD-Parteifreundin Sabine Poschmann teilt dessen Meinung "in großen Teilen" nicht: "Die früheren Systeme, wo man Druck ausgeübt hat, ich sage mal das alte DDR-System, da wollen wir natürlich nicht wieder zurück. Wir wollen ein Miteinander hinbekommen."
Ein Miteinander, das wohl durch das im Laufe des Jahres noch zu beschließende neue Sportfördergesetz zunächst einmal in eine weitere Form gegossen wird.