"Die Polizei wusste, was sie tat", sagte Malchow, und die Kollegen hätten sehr gute Arbeit geleistet. Die vorliegenden Hinweise hätten den Großeinsatz mit bewaffneten Spezialkräften in der Öffentlichkeit notwendig gemacht. "Wir werden ja weiterhin in Deutschland diese Bedrohungslage haben", man könne nicht mehr nur von einer abstrakten Gefahr ausgehen, sondern müsse gegenüber den Bürgern offen von einer konkreten Bedrohung sprechen. Das aufgeschlossene Verhalten der Bremer Bürger am Wochenende zeige, dass sie mit der Situation umgehen könnten. Umso wichtiger sei es, fügte Malchow hinzu, dass auch weiterhin großes Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbeamten bestehe.
Allerdings bedeuteten derartige Einsätze einen enormen Kräfteaufwand. Dass Versammlungen und Demonstrationen wie in der Vergangenheit abgesagt werden müssen, sei eine absolute Ausnahme. Um die innere Sicherheit auch weiterhin zu gewährleisten, müsse der hohe Standard gehalten werden. Das sei mit der derzeitigen Personalausstattung nicht möglich. Besonders die Länderparlamente hätten in den vergangenen Jahren "deutlich gespart". Es drohe eine steigende Unzufriedenheit und Kriminalitätsfurcht der Bürger, warnte Malchow.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Mitte Januar durften die Anhänger von Pegida wegen einer Terrordrohung nicht demonstrieren. Dann wurde vor zwei Wochen aus dem gleichen Grund der Karnevalszug in Braunschweig kurzfristig abgesagt. Und nun machten Hinweise auf einen islamistischen Anschlag am Freitagabend Bremen zu einer Hochsicherheitszone. Am Telefon ist Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Guten Morgen.
Oliver Malchow: Schönen guten Morgen.
Barenberg: Zwei Verdächtige wurden vorläufig festgenommen, sind jetzt wieder auf freiem Fuß. Waffen hat man nicht gefunden. War diese groß angelegte Anti-Terror-Operation in Bremen trotzdem verhältnismäßig, wie der dortige Innenminister sagt?
Malchow: Das war sie auf jeden Fall. Man kann nicht davon ausgehen, dass das, was man jetzt weiß, das Ergebnis der ganzen Bemühungen gewesen ist. Die Durchsuchungen sind ja nur das eine. Man kann davon ausgehen, dass Durchsuchungen auch ohne so einen großen Polizeiaufwand betrieben werden können. Insofern gab es weitere Hinweise, die es notwendig gemacht haben, Spezialkräfte in Bremen deutlich dann auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, und ich finde, die Bürgerinnen und Bürger haben da auch ohne große Hysterie vernünftig drauf reagiert. Aber notwendig war das auf jeden Fall.
Barenberg: Gelassen und ohne Hysterie reagiert, sagen Sie, obwohl ja eine ganze Stadt quasi unter Polizeischutz stand, obwohl beispielsweise den ganzen Samstag niemand so recht wusste, worum es eigentlich geht.
Malchow: Dass niemand das wusste - der Polizei können Sie auf jeden Fall unterstellen, dass sie wusste, was sie tat.
"Ein großes Vertrauen in die Polizei"
Barenberg: Von den Menschen in der Stadt, meine ich.
Malchow: Ja. Das zeigt aber, glaube ich, dass es ein großes Vertrauen in die Polizei gibt, auch wenn sie so ausgerüstet in der Öffentlichkeit sich positioniert. Das ist natürlich auch wichtig und insofern sage ich jetzt auch mal für die Zukunft: Das wird ja nicht das Ende der Geschichte sein, sondern wir werden ja weiterhin in Deutschland diese Bedrohungslage haben. Es bleibt notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger auf die Polizei vertrauen und dann auch wirklich nicht Hysterie zeigen, sondern Aufmerksamkeit zeigen, Dinge äußern, mitteilen, die ihnen verdächtig vorkommen, und dann wird die Polizei schon ihre Arbeit machen.
Barenberg: Stichwort Vertrauen. Sie haben gefordert, die Innenpolitiker aufgefordert, nicht mehr nur von einer abstrakten Terrorgefahr in Deutschland zu sprechen nach den Ereignissen von Bremen. So drückt sich ja Bundesinnenminister Thomas de Maizière immer aus. Sind Sie der Meinung, dass er die Gefahr unterschätzt?
Malchow: Nein, er unterschätzt die Gefahr, glaube ich, überhaupt gar nicht. Herr de Maizière weiß genau, wie die Gefährdungslage hier aussieht. Ich finde, man kann klar aussprechen, dass nach Paris, aber auch Brüssel oder Kopenhagen auch Deutschland sehr konkret bedroht ist. Allein die Aktionen jetzt am Wochenende in Bremen zeigen ja, dass es hier konkrete Hinweise gegeben hat und dass Polizei so in den Einsatz gebracht werden musste, um diese Gefahren abzuwehren. Insofern ist das alles ganz konkret und nicht mehr abstrakt. Und das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger zeigt letztendlich, dass sie damit umgehen können. Deswegen sollten wir das auch aussprechen, weil es auch tatsächlich so ist. Das ist ja keine Show-Veranstaltung der Polizei.
"Eine konkrete Gefährdungslage"
Barenberg: Was genau wünschen Sie sich da eigentlich? Oder anders gefragt: Was wäre gewonnen, wenn jetzt Thomas de Maizière an die Öffentlichkeit geht und sagt, es gibt keine abstrakte Terrorgefahr mehr, sondern eine konkrete? Was ist damit gewonnen?
Malchow: Ich glaube, es klärt auf. Man muss den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass wir hier auch bis jetzt ungeschoren davon gekommen sind, weil wir gute Polizeiarbeit geleistet haben, aber wir auch teilweise Glück hatten, und die Bedrohungslage ist nun mal so, wie sie ist. Und wenn man das so zum Ausdruck bringt, glaube ich, kann man auch die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Ich verstehe aber auch, dass man natürlich, um letztendlich keine Hysterie auszulösen, zunächst anders formuliert hat. Aber ich glaube, die Zeit ist vorbei. Gerade Bremen hat das jetzt gezeigt, aber auch die Hinweise schon in Braunschweig, da so einen Umzug abzusagen. Das macht man als Polizei ja nicht so ohne Weiteres. Da gibt es schon konkrete Hinweise, also gibt es auch eine konkrete Gefährdungslage.
Barenberg: Sie haben den Kolleginnen und Kollegen der Polizei in Bremen gerade einen guten Job attestiert. Das erwartet man natürlich auch von dem Vorsitzenden einer Polizeigewerkschaft. Nun hat Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, gesagt, dass die Sicherheitsbehörden am Rande ihrer Handlungsfähigkeit sind, dass man auch das an Bremen ablesen kann. Teilen Sie diese Einschätzung?
Malchow: Die teile ich. Das ist ein Kräfteaufwand, der ist schon enorm. Wir haben mittlerweile die Absagen von Versammlungen, Demonstrationen. Das ist eine absolute Ausnahme in Deutschland, dass man so was absagen muss als Versammlungsbehörde, weil es nicht genügend Polizeikräfte gibt. Das wird alles auf dem Rücken meiner Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. Wir haben in den letzten 15 Jahren 16.000 Vollzugsbeamte abgebaut und die Sicherheitslage ist äußerst angespannt. Aber es geht nicht nur um Terrorbekämpfung, sondern es ist alles nur möglich, was wir machen, weil wir andere Dinge vernachlässigen, und das ist einfach eine Katastrophe und das wird sich auch zeigen. Die Bürgerinnen und Bürger sind unzufrieden, wie auch die letzten Wahlen in einigen Bundesländern gezeigt haben, denn da ist die AfD groß geworden, weil sie das Thema Kriminalitätsfurcht thematisiert hat, und das ist eben auch so, dass Bürgerinnen und Bürger immer häufiger sich eine intensivere Polizeiarbeit wünschen.
"Wir haben da einen hohen Standard"
Barenberg: Wir beginnen gerade die Diskussion über eine bessere Ausstattung der Bundeswehr, über mehr Geld in Zukunft für den Verteidigungsetat. Müssen wir parallel auch mehr Geld für den wehrhaften Rechtsstaat ausgeben, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner jetzt gemeint hat?
Malchow: Da hat er vollkommen recht. In den letzten Jahren ist deutlich gespart worden, personell, aber auch bei der Sachausstattung der Polizei. Da hat es keine große Lobby und Unterstützung gegeben. Die Parlamente - das ist mittlerweile die Gruppe, die ich anspreche -, die Parlamente sind es, die in den Ländern, aber auch auf Bundesebene dafür verantwortlich sind, dass innere Sicherheit als Kernaufgabe des Staates so gewährleistet werden kann, wie es in einem der reichsten Länder der Welt vonnöten ist. Wir haben da einen hohen Standard, aber den müssen wir auch halten, und da gilt es nachzulegen. Da muss deutlich was verändert werden. Insbesondere in den Länderparlamenten ist in den letzten Jahren deutlich gespart worden und nur wenige haben jetzt nach den Terrorangriffen in Frankreich und Kopenhagen da eine Kehrtwende vorgenommen. Viele, so auch mein Heimatland Schleswig-Holstein sparen noch weiterhin am Personal, und das wird sich negativ auswirken.
Barenberg: Sagt Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Malchow: Ich danke Ihnen! Schönen Tag noch.
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