Die Festnahme des belarussischen Bloggers Roman Protasewitsch geschah nach Wildwest-Manier. Das Ryanair-Flugzeug, in dem der 26-Jährige zusammen mit seiner Freundin unterwegs nach Litauen war, wurde von belarussischen Kampfjets zur Landung in Minsk gezwungen. Protasewitsch, der vor allem in sozialen Medien gegen den belarussischen Machthaber Lukaschenko schrieb, und seine Partnerin Sofia Sapega wurden am Flughafen festgenommen. Wo genau sie sich derzeit befinden, ist offenbar unklar.
Viele Staaten in der westlichen Welt reagierten empört: Die EU beschloss Sanktionen gegen Belarus - unter anderem dürfen belarussische Fluggesellschaften nicht mehr den Luftraum der EU nutzen. Allein durch die abenteuerlichen Umstände dieser Festnahme aber ist klar: Bei der Skrupellosigkeit autoritärer Regime gegen Kritiker ist eine neue Dimension erreicht. In Belarus hat sich das Risiko für Journalisten und Blogger, die ihren Namen und ihr Gesicht gegen Lukaschenko in die Öffentlichkeit tragen, dramatisch erhöht.
"Es war nur eine Frage der Zeit"
Für Beobachter der Szene sei die Festnahme Protasewitschs nur eine Frage der Zeit gewesen, sagt Roman Schell, der als deutschsprachiger Journalist in Russland lebt und seit vergangenem Jahr immer wieder aus Belarus berichtet hat. Protasewitschs Telegram-Kanal Nexta, den er seit 2020 betreibt, sei "Feind Nr. 1" für Lukaschenko. Seit Monaten seien Protasewitsch und sein kleines Team in Belarus per Haftbefehl gesucht worden, zuletzt hätten sie in Polen versteckt gelebt.
Schon seit Wochen herrsche eine Atmosphäre der Angst unter Journalisten in Belarus, berichtet Roman Schell, der erst vor vier Tagen aus Minsk zurück kam. Niemand traue sich mehr, über elektronische Medien miteinander zu kommunizieren.
Jede Nacht das Hotel wechseln
Schell musste beobachten, wie befreundete ausländische Journalisten im September 2020 in einem Hotel verhaftet wurden. Man gehe davon aus, dass Hotelbetreiber und das Hotelpersonal Anweisung von der Regierung hätten, ausländische Pressevertreter der Polizei zu melden. Wer es dennoch wagen wolle, für das Ausland über die Proteste zu berichten, müsse jede Nacht das Hotel wechseln und erst spät am Abend einchecken. Oder Unterschlupf in einer Privatwohnung finden. "Man darf einfach keine Spuren hinterlassen."
Er selber habe "immer Herzrasen", wenn er in Belarus arbeite, sagt Schell, der als TV-Journalist unter anderem auch für das ZDF arbeitet. Mehrmals seien Gesprächspartner wenige Stunden vor einem Treffen mit ihm verhaftet worden.
Auch drehe er niemals mit einer normalen Kamera, das sei viel zu gefährlich: "Wenn man auf einer Demo eine Kamera aus der Tasche nimmt, wird man sofort festgenommen." Die Corona-Schutzmasken seien in den vergangenen Monaten tatsächlich hilfreich gewesen, um als Journalist in einer Menschenmenge unentdeckt zu bleiben.
Regierung unterbindet unabhängige Polit-Talk-Show
Zuletzt habe er den Moderator einer belarussischen Polit-Talk-Show - "der einzigen unabhängigen" - für eine Dokumentation begleitet. Doch die letzte Ausgabe der Sendung vergangene Woche sei nicht zustande gekommen, weil die Polizei das Gebäude kurz zuvor stürmte.
Ausländische Journalisten würden nach ihrer Festnahme meist außer Landes gebracht. Ihnen drohe ein Einreiseverbot für die nächsten zehn Jahre. Auch für ihn sei es riskant, immer wieder einzureisen, sagt Schell. Doch es sei ihm wichtig, weiter aus Belarus zu berichten und "über Menschen, die viel, viel mehr riskieren als ich: Ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihr Leben."