Nur ein paar verlorene Gestalten, Verwaltungsangestellte und Männer vom Sicherheitsdienst: Der Campus der Universidad Centroamericana, UCA, im Zentrum von Managua, wirkt verlassen. Hier begannen am 18. April die Proteste gegen die mittlerweile zurückgenommene Rentenkürzung und Sozialreform der Regierung.
Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Normaler Unterricht ist seither unmöglich. Per Internet werden den Studenten die Lehrinhalte vermittelt.
"Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas lerne. Es ist nicht dasselbe wie richtige Vorlesungen. Und es macht mich traurig und wütend, wenn ich an all die Kommilitonen denke, die gefoltert und verprügelt wurden", sagt die 18-jährige Claudia.
"Die Familien haben gelitten. Viele Studenten sind ums Leben gekommen. Aber wir vertrauen auf Gott, dass alles zur Normalität zurückkehrt", hofft Cristian. Schwer angesichts der hohen Zahl an Opfern.
Seit dem Ende der Proteste läuft eine Säuberungsaktion
Wir gehen von 320 Toten aus, sagt Gonzalo Carrion vom CENIDH, dem nicraguanischen Menschenrechtszentrum.
Das ist aber keine endgültige Zahl, denn die Regierung hat mit ihren Agenten und repressivem Sicherheitsapparat nicht nur die Proteste vom 18. April unterdrückt und dem nicaraguanischen Volk schweren Schaden zugefügt, sondern auch die Wahrheit verschleiert.
Laut Regierung gab es nur 200 Opfer. Andere Menschenrechtsorganisationen indes sprechen sogar von 528 Todesopfern, darunter auch gut 20 Polizisten, und von 2.000 bis 4.000 Verletzten. Rund 400 Personen sollen inhaftiert worden sein.
Fast täglich kommen weinende Eltern ins Büro des CENIDH, um das Verschwinden von Sohn oder Tochter zu melden. Seit die Barrikaden abgebaut wurden, läuft eine Säuberungsaktion. Studentenführer werden entweder direkt von den Sicherheitskräften verhaftet oder von vermummten Schlägertrupps mitgenommen und eingeschüchtert.
Erst gestern tauchte im Netz ein Video von der Entführung eines jungen Mannes durch Vermummte auf. Sie schlugen ihn krankenhausreif.
Ortega "hat keinen politischen Rückhalt mehr"
Es regiert die Angst. Sie lähmt den Alltag. Das Wirtschaftswachstum ist um nahezu zehn Prozent eingebrochen, der Überlebenskampf schwerer geworden. Und dennoch wollen sich Oppositionelle nicht mundtot machen lassen.
Die Sandinisten haben indes die Straße zurückerobert: An den großen Kreisverkehren stehen sie, angeblich auf Anweisung der Regierung, schwarz rote Fahnen schwenkend. Die Kreuze, die an die Toten der Proteste erinnerten sind längst entfernt, regierungsfeindliche Graffiti wurde bis auf wenige Ausnahmen übermalt.
Es herrscht eine trügerische Ruhe in Managua. Tausende forderten vergangenen Sonntag bei einer Messe in der Kathedrale Freiheit und den Rücktritt des seit 2006 ununterbrochen regierenden Daniel Ortega, des früheren Revolutionsführers.
"Alle Elemente der nicaraguanischen Gesellschaft wie die katholische Kirche, die Unternehmer, die Zivilgesellschaft, die Mittelschicht, die Bürger sind gegen Ortega. Er ist isoliert, geschützt durch ein paar Maschinengewehre, durch Waffen. Er hat keinen politischen Rückhalt mehr. Am Ende wird er über sich selbst stolpern", glaubt Sergio Ramirez.
Von 1985 bis 1990 war der Schriftsteller Vizepräsident von Ortega, hatte zuvor gemeinsam mit ihm Diktator Somoza bekämpft.
Die Zeichen stehen weiter auf Konfrontation
Vor knapp 40 Jahren siegte die sandinistische Revolution. Ramirez verhandelte damals den Abgang des Diktators. Auch Ortega müsse man gewisse Garantien geben, ist Ramirez überzeugt:
"Nur durch Dialog, durch Verhandlungen kann eine Lösung gefunden werden. Ein Bürgerkrieg oder Militärputsch kommt für mich nicht in Frage."
Für die Regierung waren die Proteste ein 'golpe', ein Putsch. Die Verhandlungen unter Vermittlung der Kirche hat Präsident Ortega abgebrochen. Zum einen, weil die Opposition auf seinem Rücktritt und Neuwahlen im März besteht, zum anderen weil er die katholische Kirche als Teil der Verschwörung gegen ihn betrachtet.
Die Zeichen stehen somit weiter auf Konfrontation und Repression.