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Nach Rücktritt Peter Schäfers
Neuorientierung des Jüdischen Museums gefordert

Der Direktor des Jüdischen Museums, Peter Schäfer, ist zurückgetreten. Diskutiert wird nun nicht nur eine Personalie, sondern das Profil des Hauses. Die Besucherzahlen sind zwar gut, aber prominente Stimmen wie Julius Schoeps und Michael Wolffsohn fordern eine grundsätzliche Neuorientierung.

Von Carsten Dippel |
Der ehemalige Direktor des Jüdischen Museums Berlin, Peter Schäfer. Fotografiert am 21.08.2014 vor dem Haupteingang des Museums in Berlin kruz nach seinem Amtsantritt. F
Nach Peter Schäfers Rücktritt stellen sich grundsätzliche Fragen (dpa / Wolfgang Kumm)
"Wer definiert Judentum, das ist die Frage, um die es hier geht. Und das sind nicht die Nichtjuden, sondern die Juden müssen das machen."
Julius Schoeps stand dem Jüdischen Museum Berlin seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 skeptisch gegenüber. Er ist Gründungsdirektor des gleichnamigen Pendants in Wien und leitete das Haus von 1993 bis 1997. Was ein jüdisches Museum seiner Ansicht nach leisten soll, beschreibt er so:
"Es ist die Botschaft der Juden an die Umwelt. Es muss etwas mit Judentum zu tun haben, es kann nicht der Außenblick auf das Judentum das Bestimmende sein, sondern es muss die Innenperspektive sein des Judentums, die vermittelt wird."
"Es muss eine Umorganisation erfolgen"
Peter Schäfer ist kein Jude. Er ist Judaist. Seine fachliche Qualifikation ist unbestritten, als Museumsdirektor war er aber umstritten: zuletzt, weil er den iranischen Kulturrat - also Vertreter eines den Staat Israel bekämpfenden Regimes - durchs Haus führte. Zuvor hatte die Ausstellung "Welcome to Jerusalem" Israels Premierminister Netanjahu dazu veranlasst, sich über das Haus zu beschweren. Die Schau stelle Israel an den Pranger, befand nicht nur er.
Exponate der Ausstellung "Welcome to Jerusalem" im Jüdischen Museum Berlin
Kritiker sahen in der Ausstellung "Welcome to Jerusalem" einen Affront gegen den Staat Israel (Deutschlandradio/ Andreas Main)
Nun, nach Schäfers Rücktritt, stellen sich grundsätzliche Fragen, inhaltliche wie organisatorische. Dem Museum mit seinem Gründungsdirektor Michael Blumenthal stand von Beginn an ein vom Bundespräsidenten berufener Stiftungsrat vor, derzeit unter dem Vorsitz von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Schoeps ist von dieser Konstruktion des Jüdischen Museums nicht überzeugt.
Er sagt: "Ich glaube, es muss hier eine Umorganisation an Haupt und Gliedern erfolgen und das setzt an bei der Leitung des Hauses, dem Stiftungsrat. Ich bin nicht so begeistert davon, dass die Politik hier das entscheidende Wort zu sagen hat, sondern dieser Stiftungsrat muss sehr viel unabhängiger begründet und ausgestattet werden. Ich würde mir wünschen ein Gremium, mit Fachleuten besetzt und nicht so sehr mit Leuten der Wirtschaft und Politik, wobei die Juden so gut wie keine Rolle spielen."
"Das Jüdische Museum ist ein Zwitter"
Die Initiative für ein jüdisches Museum in der deutschen Hauptstadt ging in den 1970er-Jahren vom damaligen Zentralratspräsidenten Heinz Galinski aus. Im November 1992 wurde der Grundstein gelegt für den Neubau nach einem Entwurf des Architekten Daniel Libeskind. Für den Historiker und Publizisten Michael Wolffsohn rächt sich nun, dass bei der Eröffnung des Hauses 2001 vieles im Unklaren gelassen wurde.
Er sagt: "So wie jetzt konstruiert, kann das Jüdische Museum nicht weitermachen, völlig unabhängig von der Person Schäfer, weil das Jüdische Museum ein Zwitter ist. Zum einen soll es ein deutsches Nationalmuseum sein, zum anderen ein jüdisches Museum. Wer bestimmt, wer oder was jüdisch ist - nur die deutsche Seite, sprich die staatliche? Und was heißt das, deutsch-jüdisch, europäisch-jüdisch oder israelisch-jüdisch? Das muss alles klar formuliert werden und das ist bisher in der gesetzlichen Grundlage nicht geschehen."
"Entjudaisierung der jüdischen Geschichte"
Wolffsohn beobachtet eine Entwicklung, die weit über das Jüdische Museum Berlin hinausreicht. Er nennt sie "Entjudaisierung der jüdischen Geschichte und des Holocausts".
"Das Jüdische Museum ist Teil dieser allgemeinen Entjudaisierung. Es ist ein elementarer Unterschied zwischen jüdischen und nichtjüdischen Opfern, und das ist in der letzten Zeit völlig verschwommen. Deswegen besteht überhaupt kein Gefühl mehr in der Politik und Öffentlichkeit an der jüdischen Geschichte und Leidensgeschichte. Mit anderen Worten, wer das Problem Jüdisches Museum lösen will, muss die Erinnerungskultur bezüglich des Jüdischen wieder judaisieren."
Der Historiker Michael Wolffsohn bei einer Lesung aus seinem Buch "Deutschjüdische Glückskinder" im Jüdischen Museum Berlin
Michael Wolffsohn sieht im Jüdischen Museum ein Symptom für bedenkliche politische Entwicklungen (imago stock&people / Uwe Steinert)
Doch was kann ein jüdisches Museum überhaupt leisten? Wie stellt man Jüdischkeit dar? Gehört das Rembrandt-Gemälde eines wohlhabenden Amsterdamer Juden in ein jüdisches Museum? Oder doch eher Chagall? Reicht ein Siebenarmiger Leuchter, eine Tora-Rolle, der Kiddushbecher? Ein Museum lebt von der Sichtbarmachung, vom Objekt, von greifbaren Dingen. Doch hier stoße ein jüdisches Museum zwangsläufig an seine Grenzen, gibt Wolffsohn zu bedenken. Er stellt das Konzept eines jüdischen Museums generell infrage:
"Die jüdische Kultur ist eine Kultur des Wortes. Deshalb ist ein jüdisches Museum eigentlich eine Kunstproduktion. Was weiß ich über das Judentum, wenn ich die Tora-Rolle nicht gelesen habe? Wenn ich das nicht gelesen habe, weiß ich nichts. Ich kann einen Tora-Schrein zeigen, ich kann die Kippa zeigen. Aber ja, na und?"
"Hier ist ein Monstrum entstanden"
Die bisherige Berliner Dauerausstellung sei denn auch kaum mehr als eine Art von "judaisiertem Disneyland" gewesen, beliebig und unverbindlich, kritisiert er. Für viele Berlin-Touristen steht das Jüdische Museum dennoch bislang auf der Must-See-List ganz oben. Es ist vor allem der Bau Daniel Libeskinds, der zum Magneten wurde. Schoeps hat mit dieser "Weltanschauungsarchitektur", wie er es nennt, von Beginn an gehadert.
Er sagt: "Libeskind hat hier etwas sehr Gewagtes unternommen, wobei er nicht so sehr die spätere Nutzung im Blick hatte, sondern ein Architekturkonzept wollte und durchgesetzt hat. Der Museumsbau muss hinter den Objekten, hinter die Ausstellung zurücktreten. Er muss neutral sein. Und das macht eine der großen Schwierigkeiten aus, deshalb ist das so schwierig, das Gebäude zu bespielen."
Das Foto zeigt die Straßenansicht vom Jüdischen Museum in Berlin.
Das Jüdische Museum ragt deutlich heraus (imago / Schöning)
In Wien habe man seinerzeit sehr darauf geachtet, dass das Jüdische Museum in die Stadt passe. Das Berliner Haus galt jedoch von Beginn an, so wollte es die Politik, als Aushängeschild und als Ausdruck der deutschen Staatsräson.
Julius Schoeps: "Man muss sehr aufpassen, dass man ein Museum nicht größer baut als andere vergleichbare Museen in einer Stadt. Das ist in Berlin deutlich schief gelaufen. Hier ist ein Monstrum entstanden, das alles andere überragt und in keiner Weise die Geschichte des deutschen und europäischen Judentums widerspiegelt."
Problem der deutschen Gesellschaft
Für Julius Schoeps gehört die Leitung eines solchen Museums in jüdische Hand:
"Es geht um die Eigenperspektive, die einfließen muss in diese Konzepte. Ein jüdisches Museum ist früher von Juden in erster Linie betrieben worden. Wir haben heute die Tendenz, dass Nichtjuden jüdische Museen als ihr Thema ansehen."
Der Historiker und Politologe Julius H. Schoeps, hier in Potsdam 2012
Julius Schoeps sähe das Jüdische Museum in Berlin gerne in jüdischer Hand (dpa / picture alliance / Oliver Mehlis)
Michael Wolffsohn sieht das anders. Als im letzten Jahr die ersten Vorwürfe an Peter Schäfer gerichtet wurden, hat er diesen ausdrücklich in Schutz genommen. Schäfer sei ein weltweit anerkannter Judaist. Dank seiner fachlichen Expertise habe das Jüdische Museum erstmals überhaupt einen Weg gefunden, Judentum nicht als eine Art "Judentum light" zu präsentieren, sondern tatsächlich in seiner ganzen Vielschichtigkeit dessen Geschichte, Religion und Kultur zu zeigen.
Wolffsohn: "Gehört das in jüdische Hand? Nein, es muss richtig geführt werden. Jemand, der viel vom Judentum versteht, kann selbstverständlich auch Direktor eines jüdischen Museums sein."
Wie das Jüdische Museum künftig geführt wird, ist offen. Michael Wolffsohn hofft, dass die jüdische Geschichte und der Holocaust wieder mehr jüdisch dargestellt werden:
"Das Jüdische Museum ist nur ein Teilproblem. Das Hauptproblem heißt: Will Deutschland den Holocaust und die jüdische Geschichte im allgemeinen Unverbindlichen der Universalisierung untergehen lassen, auflösen, verwässern? Oder ist Deutschland bereit, die Einzigartigkeit des Holocausts, sprich die Einzigartigkeit des jüdischen Schicksals, darzustellen? Das ist keine Problematik des Jüdischen Museums, sondern das ist ein Problem der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik."