Nach dem Angriff auf das Kapitol durch seine Anhänger steht der noch amtierende US-Präsident Donald Trump zunehmend isoliert da. Seine Accounts für mehrere soziale Medien sind vorübergehend gesperrt. Republikanische Parteifreunde kehren ihm den Rücken zu. Führende Demokraten wie Nancy Pelosi und Chuck Schumer fordern eine Amtsenthebung Trumps noch vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit am 20. Januar. Auch Republikaner schlossen sich dieser Forderung an.
Unterdessen hat Trump die Randale seiner Anhänger verurteilt. In einem auf Twitter verbreiteten Video zeigte sich Trump empört, verurteilte den Angriff auf das Kapitol als abscheuliche Attacke und kündigte strafrechtliche Konsequenzen für die Randalierer an. Zudem versprach er, einen ruhigen und reibungslosen Amtsübergang an seinen Nachfolger Joe Biden sicherstellen zu wollen. Nun sei der Moment für Heilung und Versöhnung, sagte Trump.
Kornblum: Für Trump ist es zu spät
Für den ehemalige US-Botschafter in Berlin, John Kornblum, sind diese überraschend versöhnlichen Worte ein Zeichen dafür, dass Trump gemerkt habe, dass er überzogen hat. Es stehe außer Frage, dass Trump seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol angestiftet habe. Nun rudere er zurück. Nach Einschätzung von Kornblum ist es nun jedoch zu spät.
Ob es sich bei dem Sturm auf das Kapitol um einen versuchten Staatstreich angestiftet durch den Präsidenten gehandelt habe, wie ein US-Historiker behauptet, könne er nicht sagen, so Kornblum. Bei Trump sei es immer sehr schwierig, zu beurteilen, ob sein Vorgehen wirklich politisch-strategisch sei oder nur aus seinem tief verwundeten Innern komme.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Herr Kornblum, der Historiker Michael Beschloss spricht von einem versuchten Staatsstreich, angestiftet vom Präsidenten der Vereinigten Staaten. Teilen Sie diese Bewertung?
John Kornblum: Es kann sein, aber bei Trump ist es immer sehr schwierig zu verstehen oder festzustellen, ob seine Strategie richtig politisch, strategisch ist oder ob das nur aus seinem tiefen verwundeten Innern kommt, seinem Narzissmus, wie man sagt. Ich habe das Gefühl, dass er manchmal ganz lustige Sachen macht, die Politiker und Analytiker wie Herr Beschloss als politische Strategie sehen, aber eigentlich aus seinem tiefsten Innern [kommt], denn er ist sehr verwundet und sehr zerrissen.
"Er hat das überzogen"
Heinemann: Donald Trump hat sich jetzt in einer Videobotschaft geäußert, er spricht von einem Amtswechsel am 20. Januar und von einem Moment der Heilung und Versöhnung, und das wollen wir uns kurz noch mal anhören, diesen kleinen Ausschnitt. (O-Ton Trump). Also Trump verurteilt die Gewalt, zu der er ermuntert hat. Wie passt das zusammen?
Kornblum: Na ja, er hat ja festgestellt, dass er das alles überzogen hatte, dass er diesen Angriff, wenn Sie wollen, diesen Zustand selber gestiftet hatte, ist ohne Frage. Man braucht nur seine Wörter zu hören, als er vor dem Washington Monument vorgestern gesprochen hatte. Das ist ohne Frage, dass er das angestiftet hatte. Und er hat das überzogen, und sogar er hat gemerkt, dass er das zu weit getrieben hat. Jetzt rudert er sehr, sehr schnell zurück, ich glaube aber, dass es für ihn zu spät ist. Die Demokraten, die in Georgia noch zwei Senatssitze gewonnen haben und jetzt die Mehrheit im Senat haben, die werden ihn richtig in die Ecke drängen, entweder über ein Amtsenthebungsverfahren oder sie versuchen vielleicht, dass Vice President Pence das selber macht durch das 25. Amendement, aber Trump sitzt richtig tief in der Klemme jetzt. Wenn er jetzt versucht, versöhnend zu sein, wissen wir, dass er weiß, dass er wirklich in einer schwierigen Lage ist.
"Er wird im Endeffekt fast alleine im Weißen Haus sitzen"
Heinemann: Kann er noch zwölf Tage lang im Amt bleiben?
Kornblum: Ich nehme es an, weil es auch eine sehr kurze Zeit ist. Aber er wird ständig unter Druck sein, er wird immer in der Defensive sein. Es werden entweder Amtsenthebungsverfahren unternommen oder irgendwas anderes versucht, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Die Hälfte seines Kabinetts hat schon gekündigt, und wahrscheinlich gibt es noch mehr, die das tun. Er wird im Endeffekt fast alleine da im Weißen Haus sitzen. Er ist, wenn Sie wollen, ein klassisches Beispiel von einer Tragödie, jemand, der wirklich meint, dass er alles machen kann und es überzieht und am Ende mit mehr oder weniger nichts alleine dasteht.
Heinemann: Herr Kornblum, besteht ein Zusammenhang zwischen Donald Trumps Nähe zu Rechtsextremisten wie den sogenannten Proud Boys und zu Verschwörungstheoretikern der QAnon-Bewegung und den Ausschreitungen im US-Kongress?
Kornblum: Ja, ich nehme es an. Ich glaube, das waren dieselben Menschen. Es gibt jetzt hier im Fernsehen und auch in den Zeitungen endlose Analysen, wer das war. Das waren teilweise auch, wenn Sie wollen, normale Bürger, die von Trump irgendwie angetan sind, die wirklich nichts von Gewalt oder irgendwas anderes im Kopf hatten. Aber es hat einen Kern gegeben, der wirklich sehr aggressiv war und der wirklich auch im Sinne von Trump, muss man sagen, versuchen wollte, […] die Auszählung der Wahlstimmen, die schon bestätigt worden sind - die hatten wirklich vielleicht das Gefühl, dass sie den Wahlkampf irgendwie umdrehen könnten. Ich glaube doch, dass diese Verbindung hier sehr klar ist.
"Trump verschwindet allmählich als Faktor in der Partei"
Heinemann: Einige Republikaner haben Trump jetzt den Rücken gekehrt, andere wie Ted Cruz handeln weiter im Sinne des Präsidenten. Welche Folgen hat die Besetzung des Kapitols für die republikanische Partei?
Kornblum: Erstens, ich glaube, Trump verschwindet allmählich, nicht sofort, aber allmählich als Faktor in der Partei. Er wird versuchen, seine Rolle aufrechtzuerhalten, aber sie ist schon sehr, sehr beschädigt worden durch diese Affäre im Kapitol. Erstens das. Zweitens aber, es gibt noch diese Gruppe von sehr überzeugten Menschen, die Trump oder vielleicht auch die Ideen von Trump sehr unterstützen, das Gefühl haben, dass sie ausgenutzt worden sind, die entfremdet sind von der Gesellschaft. Und was wir da sehen von Cruz, von Senator Hawley und von einigen anderen, ist ein Versuch, sich mit diesen Menschen irgendwie zu verbinden und, wenn Sie wollen, der Nachfolger von Trump zu sein.
Heinemann: Joe Biden und Kamala Harris haben jetzt zwei Jahre lang Zeit bis zu den nächsten Kongresswahlen. Was müssen sie bis dahin unbedingt auf den Weg bringen?
Kornblum: Ja, die Zeit ist sehr knapp. Sie haben ja ein Geschenk vom Himmel sozusagen bekommen, dass sie eigentlich nicht erwartet haben, das waren die zwei Sitze in Georgia. Jetzt haben sie eine Mehrheit im Senat, das heißt, es ist 50/50, aber der Vizepräsident, die Vizepräsidentin in diesem Fall, ist der Tie-Breaker, die schafft die Mehrheit für die Demokraten. Und die Agenda ist endlos lang und endlos schwierig – angefangen mit Corona, angefangen mit der finanziellen Unterstützung von den Menschen, die durch Corona arbeitslos geworden sind, angefangen von der Neugestaltung der Wirtschaft, von den Infrastrukturprogrammen, von Gesundheitspolitik – das amerikanische Gesundheitssystem ist wirklich ziemlich zerstört am Boden im Moment. Ich könnte mehrere andere – Klimapolitik, auch die Neugestaltung der Außenpolitik, Wiederherstellung von guten, positiven Beziehungen zum Beispiel zu den europäischen Verbündeten. Die Agenda ist endlos lang, und jeder Politiker weiß, er hat zwei Jahre bis zur nächsten Wahl. Die Regel in Amerika ist, dass der amtierende Präsident bei den sogenannten Midterm-Wahlen Stimmen verliert.
"Demokratien sind ziemlich desorientierte Wesen"
Heinemann: Herr Kornblum, Diktaturen weltweit lachen sich ins Fäustchen. In Peking und in Minsk vergleichen die Regime die Randalierer wahrheitswidrig mit den Freiheitskämpfern in Hongkong oder auch in Belarus, und der iranische Machthaber dachte laut über die Instabilität der Demokratien nach. In welchem Ausmaß haben die Bilder aus Washington dem Ansehen der USA und dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie geschadet?
Kornblum: Oh, etwas, aber nicht permanent. Demokratien sind ja sehr unklare und ziemlich desorientierte Wesen, das ist seit eh und je so. Und ich bin lang genug dabei, um sehr viele Beispiele zu nennen, wo das Image, die Rolle der Vereinigten Staaten genauso infrage gestellt wurde wie jetzt. Das heißt nicht, dass alles automatisch wieder zurückzuholen ist, das heißt aber, dass die Schäden nicht permanent sind. Es hängt jetzt von Biden ab, ob er den Respekt und die Rolle der Vereinigten Staaten wiederherstellen kann. Aber permanent und gefährlich ist es nicht, und wir sind immer noch viel, viel stärker als in autoritären Staaten.
"Ein Vorbote für das, was auch in Europa passiert"
Heinemann: Die Bilder aus Washington erinnerten ja bei uns an die Bilder aus Berlin: Im August drangen Menschen auf das Gelände des Deutschen Bundestages vor. Was sollten Demokratien aus Donald Trumps Amtszeit lernen?
Kornblum: Sie haben meinen Lieblingspunkt angesprochen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass alle Demokratien, ob das Nordamerika ist, ob das Europa ist oder sogar Australien, verstehen müssen, dass wir in eine sehr unklare und sogar vielleicht gefährliche Phase kommen, wo die Strukturen und auch die Verhaltensweisen der Wähler aus der sehr langen Nachkriegszeit sich allmählich ändern, wo die alten Institutionen, aber auch die alten oder die bestehenden Ziele der Wähler sich sehr schnell ändern, wo die Technologie ziemlich viel, alles durcheinanderbringt, und wir müssen alle mit diesen amerikanischen Verhältnissen leben. Wir wissen, dieser Ausdruck ist sehr oft in Deutschland über die letzten Jahre benutzt worden, meistens auf eine negative Weise. Die amerikanischen Verhältnisse sind eigentlich ein Vorbote für das, was auch in Europa passiert. Ich habe auch dran gedacht, wie die Menschen versucht haben – viel, viel weniger und ohne Erfolg –, den Reichstag zu stürmen vor ein paar Monaten, und das zeigt, dass es die Tendenz, die es in Amerika gibt, auch in westeuropäischen Staaten gibt. Da müssen wir sehr wach und sehr wachsam sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.