Archiv

Nach Terroranschlag in Wien
Die gefährliche Bilderflut

Nach dem Terroranschlag in Wien verbreiteten sich zahlreiche Videos der Tat nicht nur in Sozialen Netzwerken, sondern auch in einigen Boulevardmedien. Dabei sei das Teilen von Videos der Tat in vielerlei Hinsicht falsch, meint die Publizistin Ingrid Brodnig.

Ingrid Brodnig im Gespräch mit Michael Borgers |
Schwer bewaffnete Polizisten und Polizeiwagen am 2. November 2020 nach einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt
Einsatz nach dem Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 (imago images / photonews.at)
Nach Angaben der österreichischen Bundesregierung hatte die Tat im Zentrum der österreichischen Hauptstadt einen islamistischen Hintergrund. Bislang starben durch den Anschlag vier Menschen, der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei erschossen, mehrere Menschen wurden schwer verletzt, sieben davon lebensbedrohlich.
Auf einer eigens eingerichteten Website der Polizei sind nach Behördenangaben zehntausende Zeugen-Videos hochgeladen worden, die bei den Ermittlungen helfen sollen. Doch auch in den sozialen Netzwerken und über Messengerdienste verbreiteten sich viele Bilder nach der Tat schnell - trotz Aufrufen der Polizei, dies zu unterlassen.
Beschwerden und Anzeigenstopps wegen Verbreitung von Videos
Zeitweise teilten außerdem Boulevardmedien wie OE24.at, krone.at und Bild.de Videos von Schusswechseln - rund tausend Beschwerden sind deswegen nach Informationen der Wiener Tageszeitung "Der Standard" bereits beim Österreichischen Presserat eingegangen. In einer Petition fordern Unterzeichnerinnen nach der Berichterstattung von OE24 außerdem, dass alle öffentlichen Institutionen Österreichs jegliche Zuwendungen sowohl in Form von Presseförderung als auch in Form von Inseraten und anderen Schaltungen einstellen. Große Anzeigekunden wie Billa und Spar haben darüber hinaus den Stopp der Werbeschaltungen angekündigt.
Die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig hält das für ein wichtiges Signal. Gerade Boulevardmedien wären sehr unreflektiert mit Bildmaterial des Terroranschlags umgegangen, OE24 zeige ein Video der Tat bis heute auf seiner Webseite. Wenn sich Geldgeber dann zurückziehen würden, könne es zukünftig dazu führen, dass Redaktionen "zweimal nachdenken" würden, sagte Brodnig im Dlf.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Insgesamt seien Redaktionen bei der Berichterstattung über Terroranschläge vorsichtiger geworden, meint die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig (Foto: Ingo Pertramer/Brandstaetter Verlag )
Das Teilen von Videos der Tat sei in vielerlei Hinsicht falsch, meint Brodnig. Das Teilen könnte nicht nur eine Gefahr für Menschen vor Ort und für einen laufenden Polizeieinsatz darstellen, sondern man müsse sich auch fragen, inwiefern man mit der Verbreitung solcher Bilder nicht im Interesse der Terroristen handle. Darüber hinaus könnten die Bilder traumatisierend wirken und psychische Folgen für ihre Rezipienten haben.
Straßburg: Ein Polizist sichert die Umgebung nach dem ein Mann mehrere Menschen erschossen hat
Terroranschläge - "Lehren aus einer zu hektischen Berichterstattung"
Kurz nach einem Terroranschlag müssten Medien immer abwägen: Ist man hysterisch oder zu abgestumpft, sagte ZDF-"heute journal"-Redaktionsleiter Wulf Schmiese im Dlf. Dies sei das Ergebnis eines "Selbstlernprozesses".
Facebook habe zwar extrem schnell reagiert, meint Brodnig, jedoch müsse das soziale Netzwerk Videos konsequenter löschen. Das passiere nicht automatisch - Facebook lege über viele Videos lediglich einen Filter. Auch Gerüchte und falsche Nachrichten seien auf der Plattform weiter verbreitet worden, sagte Brodnig im Dlf. Auf Twitter teilte sie in Anlehnung an das "Breaking News Concumer's Handbook" des US-amerikanischen Podcasts "On the Media" Empfehlungen zum Umgang mit medialen Informationen nach einem Terroranschlag.
Auch "Der Standard" bat seine Nutzerinnen und Nutzer in den Sozialen Netzwerken, keine Gerüchte zu verbreiten.
Bericht von "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk
"Die Videos und Telegram-Accounts, die wir nun sichten, sind grausam. Wir zeigen sie nicht, aber wir beschreiben sie, die Wahrheit ist zumutbar", schreibt auch Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung "Falter", deren Redaktion sich unweit des Ortes des Attentats in der Wiener Innenstadt befindet, am Morgen nach der Tat in seinem Newsletter.
Noch am Abend habe die Redaktion einen Anruf des österreichischen Innenministers Karl Nehammer bekommen. Der ÖVP-Politiker habe persönlich darum gebeten, keine Videos von Einsatzkräften oder den Tätern posten, sondern via Social Media zu kommunizieren, dass alle zu Hause bleiben.
Terroranschläge, wie der in Wien, sind nicht nur eine Herausforderung für die Gesellschaft, sondern auch für Medien. Wie können sie berichten, ohne selbst Angst und Schrecken zu erzeugen? Darüber wollen wir in unserem Podcast Nach Redaktionsschluss sprechen.

Welche Beobachtungen haben Sie gemacht? Was kritisieren Sie? Schreiben Sie uns an NachRedaktionsschluss@deutschlandfunk.de.