In Belarus gehen die Menschen weiter auf die Straße, unterstützt von der Opposition, die der Regierung Wahlbetrug vorwirft. Auch die EU hat in der Belarus-Krise ein deutliches Signal gesendet. Sie erkennt das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Weißrussland nicht an und veurteilte bei ihrem Sondergipfel auch die Gewalt gegen Menschen in Belarus. Alle Gefangenen müssten bedingungslos wieder freikommen und es müsse zu einem nationalen Dialog kommen. Eine Einmischung von außen dürfe es nicht geben.
Die Opposition in Belarus will einen "Koordinierungsrat" gründen, was von Präsident Alexander Lukaschenko als versuchter Staatsstreich gewertet wird. Im November endet die Amtszeit von Lukaschenko, dessen erneute Amtseinführung aber schon früher stattfinden könne. Er selbst zeigt bisher keine Bereitschaft zum Dialog und machte er deutlich, dass er weiterhin hart durchgreifen wolle.
Litauen kündigte Sanktionen gegen Belarus an, die über die gesamteuropäischen hinausgehen sollen. Die Strafmaßnahmen sollen sich gegen 32 Personen richten, die für die Fälschung der Präsidentschaftswahlen und die Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlich gemacht werden. In Litauen befindet sich derzeit die belarusische Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die dorthin ins Exil gegangen ist und nun Besuch von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bekam.
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Ziemiak, nach den Eindrücken Ihres Gesprächs mit Frau Tichanowskaja, hilft das, was die EU jetzt beschlossen hat, dem Wunsch nach Demokratie der vielen demonstrierenden Menschen?
Ziemiak: Ja, definitiv, aber das ist noch nicht ausreichend. Es ist wichtig, dass gestern dieses Zeichen gesetzt wurde, es macht den Menschen, die auf der Straße sind, Mut, denn die Europäische Union hat gestern klar gesagt, sie akzeptiert dieses Ergebnis nicht, das waren keine fairen und keine freien Wahlen. Und genau das ist das, wofür die Menschen sich einsetzen auf der Straße. Es war wichtig, dass gestern dieses Zeichen gekommen ist, aber es geht auch noch um andere Dinge.
Büüsker: Lukaschenko scheint das Zeichen ja nicht allzu sehr zu beeindrucken.
Ziemiak: Davon war auszugehen, aber er ist jetzt in einer sehr schwierigen Situation. Er spricht ja auch nicht mehr darüber, dass er diese Wahl gewonnen hat und dass diese Wahl rechtmäßig war, sondern er droht jetzt wieder. Die Sicherheitskräfte gehen, nach dem, was ich höre, wieder verstärkt gegen die Demonstranten vor. Heute wurden auch beispielsweise vor den Gefängnissen, wo Menschen demonstrieren, diese Demonstrationen wieder aufgelöst.
Und es gibt offene Drohungen, das war auch bei dem Treffen mit ihr ihre Botschaft an mich, dass es friedlich bleiben muss. Und wenn Sie sich das Verhalten der Menschen auf der Straße anschauen, dann sehen Sie, dass diese Demonstrationen absolut friedlich ablaufen. Aber Menschen werden verschleppt an unbekannte Orte, sitzen zu Unrecht im Gefängnis. Und auch diese Menschen müssen aus meiner Sicht so schnell wie möglich freigelassen werden.
"Sanktionen sind der richtige Weg"
Büüsker: Was muss aus Ihrer Sicht denn seitens der EU als Nächstes passieren?
Ziemiak: Das war gestern ein wichtiges Zeichen, zu sagen, diese Wahlen sind nicht frei und nicht fair gewesen, deswegen erkennt man auch diese Wiederwahl nicht an. Dann sind Sanktionen auch der richtige Weg. Ich bin dagegen, dass wir darüber sprechen, kollektive Sanktionen zu verhängen, sondern es muss individuelle Sanktionen geben gegen die diejenigen Personen, die verantwortlich sind für die Fälschung der Wahl und für die Gewalt, die dort gegenüber den Menschen angewandt wurde. Diejenigen, die da verantwortlich sind, die müssen spüren, dass ihre rechtswidrigen Taten nicht folgenlos bleiben.
Büüsker: Und was muss das Ziel dieser Maßnahmen sein? Neuwahlen?
Ziemiak: Ja, Neuwahlen, die dann unter internationalen Standards auch fair und frei ablaufen. Dann muss das belarussische Volk selbst entscheiden, wie die Zukunft des Landes aussieht. Also keine Einmischung von außen, aber der Einsatz von uns allen in Europa, überall, für Menschenrechte und eben für freie Wahlen. Und dann müssen die Menschen, die jetzt im Gefängnis sind, sofort freigelassen werden. Und wir brauchen, sofern es gewünscht ist, natürlich Unterstützung im Prozess des Dialogs. Und die OSZE könnte dort eine sehr gute Institution sein.
Büüsker: Was macht Sie denn so sicher, dass Lukaschenko das Ergebnis von Neuwahlen anerkennen würde, wenn es bedeuten würde, dass er abgewählt wird?
Ziemiak: Ich setze nicht auf ihn, ich setze auf viele andere, die noch in diesem System sind und erkennen, dass das der falsche Weg ist, dass das belarussische Volk aufgestanden ist und seine Stimme jetzt erhebt nach so vielen Jahren des Unrechts. Ich setze nicht auf Lukaschenko. Jemand, der so gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, auf den ist nicht zu zählen, wenn es darum geht, einen friedlichen Dialog zu führen.
Büüsker: Aber noch hat er ja de facto die Macht und bekommt auch Unterstützung aus Russland.
Ziemiak: Er muss aber einsehen, dass es jetzt noch eine Möglichkeit gibt, wie mir ein Gesprächspartner gesagt hat, verzeihen, und er einfach dieses Amt freimacht – in dem Sinne, dass das Volk selbst entscheiden kann bei freien und geheimen Wahlen, wer der nächste Präsident seien soll. Deswegen müssen wir unsere Stimme erheben und deswegen muss der Fokus auf Belarus bleiben. Und auch Russland muss wissen, wir sagen alle gemeinsam, keine Einmischung von außen, das gilt nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für Russland.
"In welche Richtung das Land geht, muss das Volk selbst entscheiden"
Büüsker: Auf der einen Seite sagt die Europäische Union, keine Einmischung von außen, auf der anderen Seite stellt sie Gelder zur Verfügung, um die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Wird Lukaschenko nicht genau so etwas als Einmischung von außen werten?
Ziemiak: Das wird ja schon versucht, das hat er ja auch schon in seiner Rede versucht, die er vor seinen Anhängern, die dort auf diesen Platz gekarrt wurden, getan hat. Wenn Sie heute in russische Medien schauen, dann sehen Sie auch, wie dort die Demonstranten niedergemacht werden, indem man ihnen unterstellt, sie seien vom Westen bezahlt und die Anführer seien nicht Herr ihrer geistigen Sinne. Das ist absurd, aber genau diese Propaganda wird gerade gemacht. Das muss aufhören.
Und wir müssen uns darauf konzentrieren, was jetzt wichtig ist: Einsatz für die Menschen, die im Gefängnis sind, für freie und faire Wahlen – aber in welche Richtung das Land geht, das muss das Volk selbst entscheiden. Und wir sehen bei dieser Bewegung auf der Straße, das ist weder eine pro oder contra russische Bewegung noch eine Pro- oder Contrabewegung zur Europäischen Union. Es ist eine Bewegung für die Freiheit, und genau so muss es sein. Aber dass wir solidarisch sind mit den Menschen, die für ihre Menschenrechte sich einsetzen, das ist selbstverständlich. Ich bin selbst in Polen geboren worden, und damals gab es auch – übrigens durch viele Verantwortliche und Generalsekretäre der CDU – die Solidarität mit Solidarnosc, deswegen dürfen wir heute nicht schweigen.
Büüsker: Und dennoch ist ja das Narrativ, Sie sagen es selbst, in Belarus, aber auch in Russland von Sergej Lawrow, dem Außenminister, unter anderem, dass da eine ausländische Einmischung stattfindet, auch wenn die EU sagt, sie findet nicht statt. Wie kann man denn damit als Europäische Union einen Umgang finden?
Ziemiak: Wie will man mit etwas einen Umgang finden, was total unbegründet ist? Es ist absurd, man kann nur die Fakten immer wieder auch in die Öffentlichkeit bringen.
Büüsker: Darf ich da kurz einhaken: Ist das nicht das Grundproblem, was die Europäische Union immer im Umgang mit Russland hat, was sie schon mit Blick auf die Ukraine hatte?
Ziemiak: Das ist so, ich will jetzt diese beiden Fälle nicht miteinander vergleichen, weil sie doch anders liegen. Aber es gibt aus meiner Sicht keine andere Möglichkeit, als immer wieder auf die Fakten hinzuweisen. Und wir sehen jetzt auch, dass zunehmend auch die Dinge richtig gesehen werden, übrigens nicht nur in Belarus von immer mehr Menschen, sondern auch in Russland. Deswegen muss dort, wo Falschinformation stattfindet, diese aufhören und deswegen muss man die Stimme erheben – übrigens nicht nur Regierungen, sondern auch Politikerinnen und Politiker an anderen Stellen.
Solidarität zeigen mit Menschen, die auf die Straße gehen
Büüsker: Sie haben eben europäische Solidarität mehrfach betont. Litauen vereinfacht jetzt die Einreise aus humanitären Gründen für Menschen aus Belarus, um eben auch denjenigen Zuflucht zu bieten, die vor der belarussischen Repression fliehen. Sollte Deutschland da nachziehen?
Ziemiak: Wir haben ja die Rechtsgrundlagen, die politisch Verfolgte schützen. Wir haben ein Asylrecht in Deutschland, Gott sei Dank, und das gilt selbstverständlich auch für jeden, der in Weißrussland verfolgt wird. Wer also hier den Asylantrag stellt, der bekommt auch entsprechenden Schutz. Und wenn es notwendig sein sollte, entsprechende Verwaltungsvorschriften zu vereinfachen, dann muss das passieren. Da sehe ich aber kein Problem, die Rechtsgrundlage ist durch unser Grundgesetz da für jeden, der politisch verfolgt wird.
Büüsker: Sie haben sich ja in Litauen nicht nur mit Tichanowskaja getroffen, sondern auch mit dem Staatspräsidenten und dem Außenminister. Haben Sie da in ihrer Funktion als CDU-Generalsekretär eine Neben-Außenpolitik gemacht?
Ziemiak: Ich habe das, was wir immer getan haben und ich immer getan habe, die Werte der CDU hochgehalten und dazu gehört auch, dass wir da unsere Stimme erheben. Ich bin Mitglied des Deutschen Bundestages und engagiere mich im Auswärtigen Ausschuss. Ich will Ihnen sagen, es ist auch eben unsere Tradition als CDU – und auch die Junge Union hat das immer getan, ich war früher Vorsitzender der Jungen Union.
Eine der ersten Veranstaltungen, die wir gemacht haben, ist, zusammenzukommen mit Jugendlichen in Belarus, die sich engagieren für Demokratie. Da haben wir unter meinem Vorsitz uns in Polen, meinem Geburtsland, getroffen, was eine besondere Rolle in dieser Region spielt. Deswegen ist es wichtig, dass nicht nur die Regierungen in Europa, sondern auch diejenigen, die in Parlamenten, der Herzkammer der Demokratie, sich engagieren für Außenpolitik, das tun.
Büüsker: Und trotzdem haben Sie ja eine besondere Rolle, weil Sie Generalsekretär einer Regierungspartei sind. War Ihr Besuch mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt?
Ziemiak: Wir arbeiten immer eng zusammen, wenn es darum geht, im Auswärtigen Ausschuss zusammenzuarbeiten, und auch bei Reisen außerhalb, aber das kommuniziert man nicht in der Öffentlichkeit, sondern man vertritt das, wofür man steht, und das habe ich getan: Nämlich die Solidarität mit den Menschen, die in Minsk und in anderen Städten in Belarus auf die Straße gehen.
Büüsker: Wäre das unter Umständen auch ein Termin für den deutschen Außenminister gewesen, ein Besuch in Litauen bei Tichanowskaja?
Ziemiak: Das entscheidet der Außenminister selbst und er braucht auch von mir dazu keine Ratschläge.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.