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Nach Trump-Wahl
Die blamierten Demoskopen

Mit dem Wahlsieg Donald Trumps sind viele Demoskopen in Erklärungsnot geraten. Sie hatten auf einen Sieg Hillary Clintons gesetzt. Bei der Auswertung von Meinungsumfragen geht es nämlich weniger um Zahlen als um ihre Interpretation. Selbst ein Statistikguru wie Nate Silver muss sich Kritik anhören.

Von Sophie Schimanski |
    Der Firmengründer Nate Silver, FiveThiryEight, in Pasadena, Kalifornien am 25. Juni 2016.
    Nate Silver, der Firmengründer des Weblogs FiveThiryEight, in Pasadena, Kalifornien am 25. Juni 2016. (imago / Zuma Press)
    Nur Comedians können sich noch amüsieren über den völligen Fehlschlag der Demoskopen. Stephen Colbert bilanzierte lakonisch:
    "Der Wahlkampf war anstrengend, und das Ergebnis war unvorhersehbar."
    Für das Wahlsystem können die Demoskopen nichts. Ansonsten aber sind sie bis auf die Knochen blamiert. Vor allem Statistikgurus wie der Fivethirtyeight-Gründer Nate Silver müssen sich nun der Kritik stellen, falsche Vorhersagen getroffen zu haben.
    Zahlen und Statistiken sind emotionaler als viele denken
    Auch die New York Times, die Huffington Post und viele andere lagen völlig daneben. Sie alle sahen Clinton weit vorne. Nate Silver hingegen musste sich wenige Tage vor der Wahl noch rechtfertigen, dass er Trump eine zu große Chance einräumte. Ein Streit zwischen den Meinungsforschern entbrannte. Denn Zahlen und Statistiken sind offenbar emotionaler, als viele denken, erklärt der Medienjournalist und -analyst Ken Doctor:
    "Das ist durchaus eine Frage des Egos. Nate Silver hat gesagt, Trump hat eine Chance, zu gewinnen. Aber er hat eben auch gesagt, dass diese Wahlen sehr volatil und unsicher sind."
    Nate Silver lag falsch mit seiner Prognose, aber nicht so falsch wie seine Konkurrenten bei der New York Times oder der Huffington Post. Trotzdem: Auch der Statistik-Guru hat sich entzaubert. Wenige Tage vor der US-Präsidentschaftswahl sah das noch völlig anders aus. Nate Silver galt als König der Meinungsforscher.
    Als Silver wenige Tage vor der Wahl bei der Gala des Museums für Mathematik auftritt, feiern die Mathematiker ihn wie einen Rockstar:
    "Ich nehme an, Sie alle kennen Nate Silver und wissen, wie beeindruckend er ist. Ein Held für alle Statistik-Nerds dort draußen, mich zum Beispiel."
    Mit Brille und gewohnt wirrem Haar erzählt Silver, wie alles begonnen hat - mit seinem Vater und Baseball:
    "My dad was a big inspiration we did that baseball prognosis when I was eight."
    Das erste Mal professionell betrieben hatte Silver Statistik mit Sportprognosen in Baseball und Football.
    Silver hatte sämtliche Ergebnisse der US-Wahl 2012 korrekt vorhergesagt
    Silver wurde 1978 in Michigan geboren. In dem Schlüsselstaat hat er übrigens einen haushohen Clinton-Wahlsieg vorhergesagt. Geholt hat den Bundestaat Trump.
    Silver lag oft richtig in Vergangenheit. So hat er 2012 auf seinem Blog Fivethirtyeight, damals veröffentlicht von der New York Times, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in sämtlichen 50 Bundesstaaten korrekt vorhergesagt. Zum Teil schon Wochen zuvor, als die etablierten Kommentatoren und Analysten noch von einem offenen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Barack Obama und Mitt Romney geschrieben hatten.
    Dass Silver recht behielt, machte ihn erst recht bekannt. Ein Statistik-Star war geboren. Fivethirtyeight, benannt nach den 538 Wahlmännern und –frauen in den USA, hatte alle verfügbaren Analysen mit Nate Silvers Bauchgefühl kombiniert – und lag richtiger als die Konkurrenz.
    Als die "New York Times" seinen Wunsch nach einer prominenteren Rolle in der Redaktion abwies, übersiedelte er FiveThirtyEight zum Sportsender ESPN. Mit rund zwei Dutzend Mitarbeitern hat FiveThirtyEight nun vor zwei Jahren dort seine virtuellen Pforten eröffnet.
    Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und – ganz ernsthaft – dem Leben wollen die Datenjournalisten von Fivethirtyeight auf den Grund gehen. Und das tun sie mit großem Selbstbewusstsein: Ihr Daten- oder Erklärjournalismus brachte die gesamte Branche ins Grübeln - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa.
    Silvers Daten-Experten erklärten jeden und alles: Von der Suche nach dem verschollenen malaysischen Flugzeug über die Sezession der Krim von der Ukraine bis zur Frage, ob die Briten wirklich so schlechte Zähne haben, wie es das Klischee behauptet. - Nein, haben sie nicht. Und schließlich den Sieger des Superbowls 2015 - die New England Patriots.
    Statistik: sexy und spannend
    Der Superbowl und die amerikanischen Präsidentschaftswahlen - ja, Nate Silver hatte Statistik sexy gemacht und spannend. Doch dass er nun daneben lag, ist mehr als nur eine falsche Prognose. Denn niemand wirft ihm vor, einen Fehler bei den Zahlen gemacht zu haben - es geht um seine Interpretation der Zahlen.
    Silver hatte bereits daneben gelegen, als es um die Nominierung des republikanischen Kandidatens ging. Journalist Cenk Uygur:
    "Er ist befangen! Er schaut auf die Umfragen und dreht sie so, dass es aussieht, als könne Trump nicht oder kaum gewinnen - und dann tut er es doch."
    Nate Silver selbst hat bereits Stellung bezogen. Er sei über den Ausgang der Wahl schockiert. Trotzdem verteidigt er seine Vorhersagen und die Statistik:
    "Der erste Impuls bei allen war jetzt, den Umfragen Schuld zu geben. Allerdings waren auch die ganzen Experten so überheblich und zu sicher, Clinton würde gewinnen. Die öffentliche Meinung lag noch weiter daneben als die Umfragen."
    Auch für die Meinungsforscher, Statistiker und Demoskopen ist aber die Welt nach der Wahl von Donald Trump nicht mehr die gleiche wie zuvor.