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Nach Trumps Jerusalem-Entscheidung
"Wie das jetzt weitergehen soll, weiß man hier gar nicht"

US-Präsident Donald Trump erkennt Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Er ergreife damit eindeutig Partei für Israel und gegen die Palästinenser, sagte Bettina Marx vom Heinrich-Böll-Institut in Ramallah im Dlf. Wenn die USA als Vermittler ausschieden, sei unklar, wer deren Rolle übernehmen könnte.

Bettina Marx im Gespräch mit Philipp May |
    US-Präsident Donald Trump (l) hält am 06.12.2017 eine Proklamation, in der er Jerusalem als die Hauptstadt Israels anerkennt. Neben ihm steht Vizepräsident Mike Pence.
    Was US-Präsident Trump hier erklärt, hat im Nahen Osten größte diplomatische Sprengkraft. Die USA wollen das von Israelis und Palästinensern beanspruchte Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen. (dpa-Bildfunk / AP / van Vucci)
    Philipp May: Drei Tage Zorn – damit hatte die radikal-islamische Hamas im Vorfeld gedroht, sollte Trump seine Ankündigung wahr machen. Bettina Marx war für die ARD lange Israel-Korrespondentin. Jetzt ist sie Leiterin der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Ich habe gut eine Stunde nach Trumps Rede mit ihr gesprochen und sie gefragt, ob der Zorn in den Palästinenser-Gebieten schon ausgebrochen ist.
    Bettina Marx: Es ist noch nicht sehr viel passiert. Es gab vereinzelt kleinere Demonstrationen. Es sind Bilder mit dem Konterfei von Donald Trump verbrannt worden in Bethlehem. Im Gazastreifen gab es Demonstrationszüge. Aber das war alles noch sehr ruhig, zumindest heute im Verlauf des Tages. Es war auch ein sehr regnerischer Tag, muss man hinzusagen. Im Grunde rechnen wir hier damit, dass es wahrscheinlich am Freitag zu Eskalationen kommen könnte. Es muss nicht sein, aber es könnte kommen nach den Freitagsgebeten.
    Ob es zu einer vierten Intifada kommt, ist nicht klar
    May: Einige reden ja davon, dass möglicherweise eine dritte Intifada kommen würde.
    Marx: Ja, es ist wirklich sehr, sehr schwer zu sagen, ob so was wirklich ins Haus steht. Wir haben immer wieder diese Ankündigungen mit martialischen Ausdrücken. Da wird von Tagen des Zorns, Tagen der Wut gesprochen. Aber ob das dann wirklich soweit kommt? Meistens kommt es nicht so schlimm, wie es vorher angekündigt wird. Viele Palästinenser, muss man auch sehen, sind einfach müde, sind erschöpft, sind sehr frustriert, sehr deprimiert über diese Entscheidung. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie deswegen alle auf die Straßen gehen werden. Man kann allerdings nicht ausschließen, dass Jugendliche vor allen Dingen in Jerusalem auf die Straße gehen werden und demonstrieren werden.
    In Jerusalem ist die palästinensische Bevölkerung in Ostjerusalem sehr stark unter Druck durch die israelische Besatzungsmacht, fühlt sich dort sehr an die Wand gedrängt. Und sie schaut zurück auf einen Sommer voller Unruhen. Im vergangenen Sommer hat Israel Metalldetektoren aufgestellt vor dem Haram al-Sharif, nachdem es dort einen Anschlag gegeben hatte mit zwei toten israelischen Sicherheitsbeamten, und die palästinensische Bevölkerung hat über Wochen hinweg draußen gebetet auf den Straßen, hat sozusagen einen Akt des zivilen Ungehorsams verübt, und hat es damit erreicht, dass die israelischen Behörden diese Metalldetektoren wieder zurückgenommen haben. Dies hat sehr großen Eindruck hinterlassen. Das hat auch deswegen sehr großen Eindruck hinterlassen, weil die Palästinenser hier mit einem vollkommen gewaltlosen Widerstand etwas durchsetzen konnten.
    Trump "ignoriert, dass in dieser Stadt zwei Völker leben"
    May: Wir wissen noch nicht, was passiert. Was wir allerdings bewerten können, ist die Rede von Donald Trump, und da hat er ja unter anderem zum einen gesagt, dass man nur die Realität anerkenne. Schließlich sei die Regierung nun mal in Jerusalem. Und zweitens hat er ja auch klargestellt, dass man mit dieser Entscheidung keiner Einigung, keiner möglichen Einigung zwischen Israel und den Palästinensern vorgreifen wolle bezüglich des Statusses von Jerusalem in einer Zwei-Staaten-Lösung. Warum ist diese Entscheidung dennoch so problematisch für viele?
    Marx: Es stimmt einfach nicht, was er gesagt hat. Denn wenn er sagt, er will nur die Realitäten anerkennt – er hat die Realität nicht anerkannt, dass in Ostjerusalem 370.000 Palästinenser leben, die vollkommen rechtlos sind, die dort den Status von Einwohnern haben, die dort keine Bürgerrechte haben, die nicht wählen können zum Beispiel, die keine Papiere haben, die nicht ohne weiteres reisen können, die sehr, sehr eingeschränkte Rechte dort nur haben, die praktisch nicht mit annektiert wurden mit dem Land und die auch jederzeit ihren Status verlieren können in Ostjerusalem, die unter sehr großen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen leiden. Diese Realität hat er überhaupt nicht anerkannt. Und zu sagen, wir vollziehen hier bloß die Anerkennung dessen, dass Jerusalem schon längst die Hauptstadt Israels ist, das ist einfach falsch, denn das ignoriert, dass in dieser Stadt zwei Völker leben.
    Ist eine Zwei-Staaten-Lösung damit vom Tisch?
    May: Aber er hat ja gerade nicht gesagt, Jerusalem gehöre einzig zu Israel.
    Marx: Na ja. Wenn Jerusalem die Hauptstadt Israels ist – er hat ja nicht gleichzeitig gesagt, wir möchten auch, dass der Ostteil der Jerusalems die Hauptstadt der Palästinenser wird. Das hat er ja gerade nicht gesagt. Er hat gesagt, eine Zwei-Staaten-Lösung soll es geben, wenn beide Parteien es wollen. Es ist aber offensichtlich, dass es hier eine Partei gibt, die es nicht will, nämlich Israel. Was heißt das jetzt? – Das heißt, die Zwei-Staaten-Lösung ist dann vom Tisch. Die wird nicht mehr umgesetzt. Was will er damit eigentlich erreichen?
    Er hat sich ganz eindeutig auf die Seite Israels gestellt. Das haben wir auch in den Reaktionen schon gesehen. Benjamin Netanjahu, der Ministerpräsident Israels, war sehr zufrieden, hat sich sogar bedankt bei Donald Trump für diese Rede heute Abend, und er hat die Rechte der Palästinenser in dieser Stadt vollkommen ignoriert und hat auch nicht in Aussicht gestellt, dass diese Rechte irgendwann einmal anerkannt werden.
    Auch in Israel sind jetzt kritische Stimmen hörbar
    May: Sie haben gerade Israel angesprochen. Gibt es eigentlich in Israel kritische Stimmen, die sagen, das ist ein Fehler, dass Trump jetzt vorgeprescht ist? Oder ist man sich da einig, das war gut?
    Marx: Nein, es gibt natürlich auch in Israel kritische Stimmen. Nicht alle sind damit einverstanden. Die Regierung ist ganz offensichtlich sehr zufrieden damit, zumindest der Ministerpräsident ist zufrieden damit, aber auch die Vertreter seiner Koalition, seiner Rechtsaußen-Koalition. Aber natürlich gibt es auch mahnende Stimmen, vor allen Dingen in den Sicherheitskreisen, die davor warnen, dass die Situation hier eskalieren könnte, dass es zu Unruhen kommen könnte. Diese Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels könnte zum Beispiel auch dazu führen, dass es im Gazastreifen zu Unruhen kommt und dass das wiederum die Annäherung zwischen Fatah und Hamas gefährdet, und das ist etwas, was sich die Armee, was sich die Sicherheitskreise in Israel überhaupt nicht wünschen.
    USA "offiziell verabschiedet als 'honest broker'"
    May: Das heißt, der Friedensprozess ist jetzt endgültig in Rauch aufgegangen?
    Marx: Na ja. Von diesem Friedensprozess hat man in den letzten Jahren sowieso nichts mehr gespürt. Und wie das jetzt weitergehen soll, das weiß man hier gar nicht. Wenn die Amerikaner sich jetzt wirklich offiziell verabschiedet haben als der sogenannte "honest broker", als der Mediator, der zwischen den beiden Parteien steht, der versucht, diese beiden Parteien an einen Tisch zu bringen, so wird das nicht funktionieren. Wenn derjenige, der dazwischen stehen soll als Vermittler, sich eindeutig auf eine Seite stellt, dann wird das nicht gehen. Die Amerikaner waren schon immer auf der Seite Israels. Das haben die Palästinenser immer schon beklagt. Aber es war nie so offensichtlich, wie es das heute Abend geworden ist, und damit sehe ich im Moment überhaupt keine Aussichten, dass der Friedensprozess, dass irgendwelche Verhandlungen wieder aufgenommen werden könnten.
    Trump-Schwiegersohn bei Palästinensern "keine gute Figur"
    May: Was ist eigentlich mit Trumps Schwiegersohn Jared Kushner? Der sollte ja nach dem Willen von Trump den Friedensprozess in Gang bringen beziehungsweise eine Lösung herbeiführen. Was ist daraus geworden?
    Marx: Genau wissen wir das nicht, was daraus geworden ist. Der Schwiegersohn von Donald Trump ist ja auch in große Schwierigkeiten in den USA selbst verwickelt. Hier vor Ort ist er als Investor bekannt in die Siedlungen. Das zeigt ihn nicht als einen besonders guten Vermittler hier für die Palästinenser. Er hat hier keine gute Figur. Wir wissen gar nicht, was passiert. Wir wissen, dass er viele Gespräche geführt hat. Wir wissen, dass er oft in Saudi-Arabien gewesen ist, dass er immer wieder ankündigt, einen großen Deal ausarbeiten zu wollen. Aber was das sein soll – es ist für mich sehr schwer vorstellbar, dass hier jemand, der überhaupt noch nie in Erscheinung getreten ist in dem israelisch-palästinensischen Konflikt, der keine Kenntnisse hat über diesen Konflikt, der keine jahrelangen Erfahrungen hat, dass der jetzt kommt und die magische Formel auf den Tisch legt, um diesen Konflikt zu lösen. Das erscheint mir wirklich vollkommen unmöglich und ich halte den Optimismus in Bezug auf die amerikanische Verhandlungsmannschaft für sehr übertrieben.
    In der EU zum Nahostkonflikt "überhaupt keine Einigkeit"
    May: Die Amerikaner sind total diskreditiert als Vermittler, sagen Sie. Wer könnte denn überhaupt noch einen positiven Einfluss ausüben in der Region, in diesem Konflikt?
    Marx: Na ja. Da die Amerikaner jetzt aus dem Spiel sind sozusagen, wären es eigentlich die Europäer, die hier aufgerufen würden. Es ist natürlich sehr, sehr schwierig. Die Europäer sind in einer weit schwierigeren Situation, als es die Amerikaner sind. Sie sind sich nicht einig untereinander. Es ist für die Europäer sehr schwierig, in kleinen Dingen zu einer einheitlichen Position zu kommen. Und was diesen Konflikt angeht, gibt es in der Europäischen Union auch überhaupt keine Einigkeit. Von daher: Sie wären eigentlich der Ansprechpartner. Vielleicht schaffen sie es ja jetzt, sich zusammenzuraufen, aber sehr optimistisch bin ich auch in Bezug auf die Europäische Union nicht.
    May: … sagt Bettina Marx, ehemals Israel-Korrespondentin für die ARD, jetzt Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Frau Marx, vielen Dank für das Gespräch.
    Marx: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.