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Nach Trumps Wahlsieg
Asselborn: "Wir müssen uns zusammenreißen"

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hält es für nötig, nach der US-Wahl das "Projekt Europa" voranzutreiben. "Wenn wir mithalten wollen, müssen wir an unseren Positionen feilen und klar wissen, was wir wollen", sagte Asselborn im DLF. Zurückhaltend äußerte er sich mit Blick auf eine gemeinsame europäische Armee. In etlichen Ländern, insbesondere im Baltikum, befürchte man eine Schwächung der NATO.

Jean Asselborn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.11.2016
    Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn spricht mit Pressevertretern, Juni 2016
    Asselborn: "Wir dürfen unsere Richtlinien nicht aufgeben." (picture alliance / dpa / Julien Warnand)
    Nach dem Sondertreffen der EU-Außenminister gestern in Brüssel sagte der luxemburgische Ressortchef Jean Asselborn im Deutschlandfunk, die Stimmung habe sich gewandelt. Habe sich bisher die Frage gestellt, wie man die transatlantische Partnerschaft effizient umsetze, müsse man sich nun fragen: "Wollen die USA mit dem neuen Präsidenten diese Partnerschaft überhaupt noch kooperativ gestalten."
    Asselborn betonte, anstatt den Amtsantritt von Donald Trump abzuwarten, müsse man schon jetzt aktiv werden: "Wir müssen klar machen, dass es eine fundamentale Partnerschaft zwischen Europa und den USA gibt, basierend auf der internationalen Zusammenarbeit." Es gehe nicht darum, die Richtlinien der Politik in Europa aufzugeben. Aber wenn man das Projekt Europa wirklich wolle, "dann müssen wir uns zusammenreißen und die Solidarität und das Gemeinsame in den Vordergrund stellen."
    Mit Blick auf eine stärkere Zusammenarbeit der Europäer in Sicherheitsfragen verwies Asselborn auf den Widerstand etlicher Mitgliedsstaaten. Vor allem die Balten wollten keine Debatte über eine mögliche EU-Armee. Zu groß seien die Ängste, die NATO würde geschwächt.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Nicht nur Europa, die ganze Welt war ja überrascht vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA. Keiner hatte einen Sieg Donald Trumps wirklich auf dem Zettel und niemand weiß so recht, was von Trump zu erwarten ist. Gestern Abend kamen die Außenminister der EU zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen. Mit dabei Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs. Schönen guten Morgen, Herr Asselborn.
    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Asselborn, der britische Außenminister Boris Johnson, der war ja nicht dabei. Er hat verlauten lassen, man sehe dazu keinen Anlass für ein solches Treffen. Die Wahl in den USA sei ein normaler demokratischer Vorgang. Wozu dieses Sondertreffen? Haben die Europäer ein Problem mit dem Ausgang demokratischer Wahlen?
    Asselborn: Ich glaube, nicht nur die Europäer. Ich bin ja jetzt zwölfeinhalb Jahre im Außenministerrat. Es war gestern schon, sagen wir mal, ein qualitativer Unterschied, wenn wir über Amerika gesprochen haben in Europa. Bisher und vor allem seit dem Ende des Irak-Krieges 2003/2004 hat man immer die Frage gestellt, wie soll man sich aufstellen in der Europäischen Union, um die Effizienz dieser Kooperation zu gestalten. Gestern Abend, glaube ich jedenfalls, war die Frage, wollen die USA mit dem neuen Präsidenten die transatlantische Partnerschaft überhaupt noch kooperativ gestalten. Wir akzeptieren die Wahl selbstverständlich. Die ist zu akzeptieren, ohne zu lamentieren. Aber von den Anwesenden jedenfalls war keiner dabei, der jetzt geglaubt hätte, die unbefleckte Demokratie wäre jetzt ausgebrochen.
    "Klar machen, dass es eine fundamentale Partnerschaft gibt zwischen Europa und den USA gibt"
    Heckmann: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der hat immerhin jubiliert. Der hat gesprochen von einer Rückkehr zur wahren Demokratie. Und auch die britische Premierministerin May, die hat ja gesagt, man freue sich sehr auf die Zusammenarbeit mit Donald Trump. Frank-Walter Steinmeier, der hatte Trump hingegen einen Hassprediger genannt. Wie würden Sie denn insgesamt die Stimmung beschreiben jetzt beim Außenministerrat gestern, bei diesem Sondertreffen?
    Asselborn: Herr Heckmann, ich glaube, jeder hat gesagt, wir müssen abwarten. Wir wissen nicht richtig rationell, was kommt. Das ist klar. Nicht nur die Europäer, sondern auch die Amerikaner, glaube ich. Aber beim Abwarten, glaube ich, der Meinung bin ich auch, dass man aktiv sein soll in Washington vor dem 20. Januar 2017 und vielleicht klarer macht oder klar macht, wenn Sie so wollen, dass es eine fundamentale Partnerschaft gibt zwischen Europa und den USA, beruhend auf dem Multilateralismus der internationalen Zusammenarbeit, sei es in den großen außenpolitischen Fragen, sei es - Sie haben das angeschnitten - beim Klima, und dass auch bis jetzt jedenfalls versucht hat, im gegenseitigen Interesse und Respekt zum Beispiel beim Handel voranzukommen. Ich glaube, die Einstellung war anders als vorher, das ist ganz klar, aber jetzt nicht dramatisierend und auch, dass wir die Richtlinien unserer Politik in Europa jetzt aufgeben müssen.
    Heckmann: Trump, der gibt sich ja lernfähig jetzt in den letzten Tagen, auch nach seinem Treffen mit Obama im Weißen Haus. Da hat er angekündigt, dass er die Gesundheitsreform Obamas nicht vollständig zurückdrehen werde. Was denken Sie denn persönlich, Herr Asselborn? Wird Trump mehr und mehr von seinem radikalen Kurs abweichen, weil er konfrontiert ist mit den Realitäten als Präsident?
    Asselborn: Ich habe auch gestern gehört, er will jetzt keine elf Millionen deportieren, sondern nur drei. Das ist ja schon ein Fortschritt. Aber im Ernst: Ich glaube, vielleicht agiert Präsident Trump wie ein Business Man, geben und nehmen, und das ist natürlich eine große Herausforderung auch für die Europäische Union. Wenn wir mithalten wollen, wenn wir unsere Frau und unseren Mann stellen wollen, dann müssen wir an unseren Positionen feilen. Wir müssen klar wissen, was wir wollen, und das kam gestern auch dabei heraus. Wenn Sie zum Beispiel die Angst nehmen, die verschiedene Länder haben, was die Sicherheit angeht, Sicherheitsfragen angeht. Vor allem die Balten wollen keine - und das muss man verstehen - Debatte über eine mögliche EU-Armee, aber dass die transatlantischen Beziehungen nicht wackeln dürfen. Ich glaube, dass es auch gut war, dass Jens Stoltenberg erinnert hat, dass der einzige Bündnisfall eigentlich für die Amerikaner war nach 9.11. Ich glaube, wir müssen als Europäische Union mit viel Seriosität daran arbeiten und uns die Frage stellen, manche nennen es die Gretchenfrage, wollen wir nach Brexit, wollen wir nach dieser Wahl in Amerika das Projekt Europa als ein seriöses Projekt weiterhin sehen. Ich hoffe das und wenn das ein Ja ist, dann müssen wir uns zusammenreißen und die Solidarität und auch das Gemeinsame vor allem in den Vordergrund stellen und nicht das Ausscheren.
    "Bei der NATO zählen auch die Grundsätze, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit"
    Heckmann: Sie haben die Idee einer europäischen Armee gerade angesprochen. Trump, der hatte ja angekündigt, die Beistandspflicht der NATO, die sehe er nicht automatisch, jedenfalls nicht in Fällen, in denen Mitgliedsländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, ihren finanziellen Verpflichtungen auch. Und Unions-Fraktionschef Kauder, der hatte jetzt am Sonntag gesagt, das ist jetzt der richtige Zeitpunkt, eine europäische Armee aufzubauen. Ich verstehe Sie richtig, der Widerstand in den baltischen Ländern beispielsweise ist so groß, dass das eigentlich eine Idee ist, die gestorben ist?
    Asselborn: Heute wird ja vieles geboren und schnell wieder gestorben. Diese Debatte ist ja nicht neu und ich bin kein Spezialist davon. Aber ich will nur sagen, dass man die Angst hat in verschiedenen Ländern - und das muss man verstehen -, dass wenn wir uns jetzt konzentrieren auf eine europäische Armee, dass dadurch natürlich in die Karten von denen gespielt wird, die die NATO schwächen wollen. Bei der NATO haben wir klare Linien. Bei der NATO, das will ich auch sagen, zählen auch die Grundsätze, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit. Und ich bin überzeugt, dass Herr Trump sehr schnell einsieht, dass die Sicherheit Amerikas nicht in Amerika anfängt, sondern auch viel mit Europa zu tun hat.
    Heckmann: Donald Trump hatte sich sehr positiv auch über Wladimir Putin geäußert. Er sei ein großer Führer, hatte er gesagt, und auch angedeutet, dass die Annexion der Krim möglicherweise akzeptiert werden kann. Wie berechtigt ist denn die Sorge aus Ihrer Sicht, dass Trump und Putin sich über die Köpfe der Europäer, auch über die Köpfe der Osteuropäer hinweg verständigen?
    Asselborn: Ja, das sind viele Spekulationen. Keiner kann etwas dagegen haben, wenn Amerika und Russland enger zusammenrücken wollen. Keiner will natürlich, dass das auf Kosten Europas geht. Ich glaube, wir haben gestern außenpolitisch ein wenig geschaut. Was wir ja wissen: Wichtige Fragen wie Iran kann man nicht einfach umwerfen. Diese Vereinbarung, der Friedensprozess, der kann nicht einfach tot sein mit allen Konsequenzen, die das dann hätte, auch für Amerika. Syrien, ich glaube, den IS bekämpfen, aber es darf auch den Amerikanern nicht gleichgültig sein, wer oder wie in Damaskus regiert wird. Der Umgang mit Russland ist aufgebaut auf Spekulationen. Ich glaube, beide Personen haben sich noch nie gesehen. Wenn sie besser werden und effektiver werden, wenn Europa sich natürlich auch wiederfinden kann in dieser Verbesserung, dann, glaube ich, wäre das schon etwas Positives. Aber auch hier: Ich glaube, es hat keinen Sinn, jetzt zu diesem Zeitpunkt darüber zu viel Energie zu verlieren. Wir wissen das nicht.
    "Kampagne von Herrn Trump war nicht gerade gespickt mit fundamentalen Werten"
    Heckmann: Glauben Sie denn, dass darin auch eine Chance für Europa besteht, sich stärker auf sich selbst zu besinnen und selbst auch Lösungen zu entwickeln?
    Asselborn: Ja, ich bin noch immer überzeugt. Wir haben gestern auch gesagt, Europa ist eine Soft Power, natürlich auch mit einer globalen Strategie, was die Sicherheit angeht, und darauf müssen wir uns konzentrieren. Ich glaube, diese Kampagne von Herrn Trump war ja nicht gerade gespickt mit fundamentalen Werten. Ganz im Gegenteil! Hier, glaube ich, muss man in Europa vielleicht auch die Botschaft geben und auch für uns selbst, dass man mit Populismus Wahlen gewinnen kann, aber dass Ausgrenzungen führen, Minderheiten in die Ecke rücken, der Zusammenhalt der Gesellschaft, wenn der mit Neid und Egoismen aufs Spiel gesetzt wird, das führt zu Gewalt.
    Heckmann: An der Stelle müssen wir einen Punkt machen, Herr Asselborn. Jean Asselborn war das, der Außenminister Luxemburgs. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.