In Köln herrscht akuter Handlungsdruck. Nicht nur weil die Vorfälle am Jahreswechsel auf dem Areal rund um Hauptbahnhof und Dom Entsetzen allerorten hervorgerufen haben. Sondern auch, weil bald mit Karneval ein noch wesentlich größerer Massenauflauf Hunderttausender in der Domstadt ansteht - und das gleich an sechs Tagen in Folge und nicht nur in einer Nacht.
Und so kündigten Stadt und Kölner Polizei nach einem von Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Rathaus einberufenen Krisentreffen mehrere absehbare Maßnahmen an: Sicherheitskonzepte zu allen Großveranstaltungen, bei denen die Stadt Köln als Veranstalter auftreten wird, den Einsatz mobiler Videoüberwachung, ein punktuell verstärkter Einsatz zusätzlicher Polizisten - uniformiert und zivil - sowie bereits im Vorfeld ausgesprochene Betretungsverbote für polizeibekannte Personen. Doch genau an dieser Stelle wird ein Problem deutlich: Denn nach bisherigem Ermittlungsstand sind die Täter der Silvesternacht nicht bekannt.
Steigender Fahndungsdruck und immer mehr Anzeigen
Eine eigens gegründete Ermittlergruppe wertet nun zunächst Überwachungsfilme aus dem Hauptbahnhof aus. Zudem ruft die Polizei Zeugen auf, Fotos und Videos zur Verfügung zu stellen. Auch versuchen die Beamten, gestohlene Mobiltelefone zu orten, um möglichen Tätern auf die Spur zu kommen. "Wir haben derzeit keine Erkenntnisse über Täter", sagte Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers nach dem Krisentreffen am Nachmittag.
Zuletzt meldeten sich bei der Polizei immer mehr Opfer. Bis zum Mittag gingen insgesamt 90 Anzeigen ein. Wie es hieß, befinden sich darunter vereinzelt auch mutmaßliche Fälle von Vergewaltigungen. Die Schilderungen vieler Opfer lesen sich bestürzend: "Umzingelt, abgetastet, sexuell belästigt, systematisch gejagt, bestohlen". Bei den Tätern handelte es sich den Angaben zufolge um Hunderte Männer, die in größeren Gruppen vorgegangen seien. Sie seien "stark alkoholisiert" gewesen sowie "völlig enthemmt und gewaltvoll" vorgegangen.
Bereits gestern hatte Albers von "Straftaten einer völlig neuen Dimension" gesprochen. Derartiges sei den Beamten der Domstadt bislang unbekannt gewesen.
Emotionale Debatte - auch in der Politik
In der Folge begann eine teils hitzige Diskussion zunächst in Sozialen Netzwerken und den Online-Kommentarspalten der Medien. Inzwischen haben auch Politiker die Brisanz des Themas erkannt und melden sich in immer kürzeren Abständen zu Wort. Auf der einen Seite geht es um den Rechtsstaat und dessen Durchsetzung durch die staatlichen Organe. Auf der anderen Seite wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den Tätern nach Augenzeugenberichten um Männer handelte, die "dem Aussehen nach aus dem nordafrikanischen oder arabischen Raum" stammten. So wechseln sich nun Law-and-Order-Bekenntnisse mit mahnenden Worten ab.
Ermittlungen ohne Ansehen des Migrationshintergrunds
Bundesinnenminister Thomas de Maizière betonte, die Berichte dürften nicht dazu führen, dass nunmehr Flüchtlinge "gleich welcher Herkunft" unter einen Generalverdacht gestellt werden, die hierzulande Schutz vor Verfolgung suchten. Sein Kollege im Justizressort, Heiko Maas, sprach in Berlin von feigen und abscheulichen Übergriffen, die man nicht hinnehmen werde. Zugleich wertete er die Vorgänge als organisierte Kriminalität. Frauen seien "kein Freiwild", erklärte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Die Täter müssten schnell ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden - "egal welcher Herkunft und Religion" sie seien, fügte Schwesig hinzu.
Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in der "Thüringer Allgemeinen". Bei der Verfolgung von Straftaten dürfe es keinerlei Rolle spielen, ob die Verdächtigen einen Migrationshintergrund hätten. So dürfe es keine rechtsfreien Räume geben, "ganz egal, ob hinter den Straftaten deutsche Staatsbürger, Asylbewerber oder Ausländer" steckten. An der Debatte beteiligen sich inzwischen auch zahlreiche Landespolitiker. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verlangte wieder deutlich mehr Sicherheitskräfte. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg betonte, man habe in den vergangenen Jahren wiederholt vor einem Abbau von Polizeikräften gewarnt. Nun brauche es hier eine "Umkehr".
Berichte über Vorfälle in weiteren Städten
Inzwischen werden auch aus anderen Städten ähnliche Vorkommnisse gemeldet. In Hamburg seien Frauen auf der Reeperbahn jeweils von mehreren Männern "umringt und an der Brust oder im Intimbereich angefasst" worden, teilte ein Polizeisprecher mit. Zugleich hätten ihnen die Täter Handys, Papiere und Geld weggenommen.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, erklärte, auch aus Stuttgart und Hamburg seien derartige Phänomene bekannt. Er sagte dem Norddeutschen Rundfunk, seiner Einschätzung nach handele es sich nicht um organisierte Kriminalität. Vielmehr nutzten die Täter die Masse der Menschen, die Dunkelheit und den Überraschungseffekt, um nach vollzogener Tat wieder unerkannt zu entkommen. Aber zugleich warnte auch Wendt, durch solche Vorfälle drohe sich die Stimmung in der Gesellschaft gegen Flüchtlinge verschärfen.
Polizisten reagieren mit Betroffenheit
Der NRW-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, forderte im Deutschlandfunk, nicht der Polizei den Schwarzen Peter für die Vorkommnisse zuzuschieben. Dunkelheit und der Pulk hätten die Situation schwierig gemacht. Man habe nicht sehen können, was dort passiere.
(db/at/stfr)