Ralf Krauter: 2014 zeigte "SternTV" schwer erträgliche Bilder aus dem Primatenlabor des Tübinger Max-Planck-Institutes für biologische Kybernetik. Einem Affen lief nach einer Operation eine rote Flüssigkeit aus einer Narbe am Schädel, ein anderer hatte einen gelähmten Arm. Die Wissenschaftler, insbesondere Direktor Professor Nikos Logothetis, wurden daraufhin massiv angegriffen, erhielten Todesdrohungen und wurden zum Teil in Tübinger Geschäften nicht mehr bedient. Die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Heute, mehr als drei Jahre später haben sich viele Vorwürfe in "SternTV" nicht erhärtet. Jetzt haben aber Wissenschaftler des Institutes in der Zeitschrift "Nature" und auch in der "Zeit" mangelnde Unterstützung vonseiten der Max-Planck-Gesellschaft angeprangert. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth beschäftigt sich schon lange mit Primatenversuchen in Deutschland. Er hat mit vielen Beteiligten gesprochen. Herr Wildermuth, was ist von den Vorwürfen gegen Nikos Logothetis übrig geblieben?
Volkart Wildermuth: Gerade die Bilder, die am Anfang für Aufsehen gesorgt haben, ließen sich erklären. Einem Affen suppte ja Wundflüssigkeit über das Gesicht. Er war am Tag zuvor operiert worden, übrigens mit vergleichbaren Methoden wie in Krankenhäusern. Diese hohen Standards wurden übrigens von Nikos Logothetis entwickelt. Dass Wundflüssigkeit aus der Narbe läuft, ist normal. Menschliche Patienten bekommen einen Verband, da sieht das niemand. Die Rhesusaffen würden den abreißen, und so kam es zu den Bildern, die zwar nicht schön anzusehen sind, aber eben auch nicht belegen, dass der Affe wirklich leidet.
Das Regierungspräsidium Tübingen hat dann noch einige organisatorische Fehler festgestellt, die als Ordnungswidrigkeiten gewertet wurden. Übrig geblieben ist nur ein schwerer Vorwurf, wo es um den Umgang mit schwer erkrankten Affen geht. Hier hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl erlassen, den Nikos Logothetis nicht akzeptiert, deshalb wird die Sache wohl im Herbst vor Gericht verhandelt.
Streit um schwer erkrankten Affen
Krauter: Was ist da der strittige Punkt?
Wildermuth: Es geht vor allem um einen Affen, der Krampfanfälle entwickelte. Statt den direkt einzuschläfern, haben sich die Tierschutzbeauftragten des Institutes und Nikos Logothetis dafür entschieden, erst noch eine Behandlung zu versuchen. Als die nicht anschlug, wurde das Tier dann doch eingeschläfert. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Tübingen lautet: Man hätte dem Affen das Leiden ersparen und ihn direkt einschläfern müssen.
Logothetis argumentiert, dass es moralisch geboten war, wenigstens einen Heilungsversuch zu unternehmen. Stefan Treue, Direktor am Deutschen Primatenforschungszentrum in Göttingen, hat die Affenlabore in Tübingen 2014 begutachtet und damals keine Probleme bei Haltung und Organisation festgestellt. Er hält die Frage "Einschläfern oder Behandeln" für eine Ermessensfrage. Wer hier im Sinne des Tierschutzes gehandelt hat, werden letztlich die Richter entscheiden.
Logothetis lehnt Strafbefehl ab - MPG reagiert
!Krauter:!! Wie hat die Max-Planck-Gesellschaft darauf reagiert, dass Nikos Logothetis diesen Strafbefehl ablehnt und vor Gericht zieht?
Wildermuth: Als klar war, dass es zu einem Prozess kommen wird, hat die Max-Planck-Gesellschaft MPG Nikos Logothetis die Verantwortung für die Tierversuche in Tübingen entzogen. Die MGP schreibt in einer Stellungnahme gegenüber dem Deutschlandfunk:
"Wir nehmen Anzeichen von Fehlentwicklungen sehr ernst. Und ein Strafbefehl wegen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz gegen einen unserer Direktoren – was übrigens bisher ein einmaliger Fall ist – ist ein solches Anzeichen, dass der Verwaltungsrat ernst nehmen muss, wenn er seiner Aufgabe als Aufsichtsorgan gerecht werden will."
So will die MPG das Vertrauen der Bevölkerung in die korrekte Durchführung der Tierversuche stärken. Nikos Logothetis und seine Mitarbeiter sehen das aber als eine Vorverurteilung.
Krauter: Was beklagen sie noch?
"Wir nehmen Anzeichen von Fehlentwicklungen sehr ernst. Und ein Strafbefehl wegen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz gegen einen unserer Direktoren – was übrigens bisher ein einmaliger Fall ist – ist ein solches Anzeichen, dass der Verwaltungsrat ernst nehmen muss, wenn er seiner Aufgabe als Aufsichtsorgan gerecht werden will."
So will die MPG das Vertrauen der Bevölkerung in die korrekte Durchführung der Tierversuche stärken. Nikos Logothetis und seine Mitarbeiter sehen das aber als eine Vorverurteilung.
Krauter: Was beklagen sie noch?
Wildermuth: Sie finden, die Max-Planck-Gesellschaft hätte den Tierversuchsgegner anzeigen müssen, der ja falsche Angaben gemacht hat, um in das Labor zu kommen. Sie hätten sich 2014 auch selbstbewusstere Unterstützung gewünscht. Die MPG hat auch eine wichtige Begutachtung verschoben und aus Sicht der Tübinger Forscher auch den Neubau eines Tierversuchshauses verzögert. Da soll übrigens mit Ratten und Mäusen geforscht werden. Die Versuche mit Affen hat Nikos Logothetis beendet, weil ihm die Angriffe auch auf ihn persönlich, auf seine Familie und die andere Mitarbeiter des Institutes zu sehr belastet haben.
Sowohl die Begutachtung, als auch die neuen Experimentiermöglichkeiten sind gerade für junge Forscher entscheidend, wenn es um den nächsten Karriereschritt geht.
Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt
Krauter: Was sagt denn die Max-Planck-Gesellschaft zu den Vorwürfen?
Wildermuth: Die MPG wird die Begutachtung in den nächsten zwei Monaten nachholen und die Bautätigkeiten schnell vorantreiben. Da geht man also aufeinander zu. Aber generell ist die Stimmung zwischen der Abteilung Logothetis und der MPG auf dem Tiefpunkt. Er selbst gilt als schwierig im Umgang, in der internen Kommunikation scheint da vieles nicht optimal gelaufen zu sein. Die Max-Planck-Gesellschaft steht klar zur Hirnforschung an Affen. Aber sie will auch alle Vorwürfe geklärt haben. Dazu ist das Gerichtsverfahren sicher wichtig. Dass sie Nikos Logothetis vorab schon von Teilaufgaben entbunden hat, das wirkt auf die Mitarbeiter wie eine Vorverurteilung. Da ist natürlich etwas dran. Auf der anderen Seite: In vielen Bereichen erwartet die Gesellschaft, dass Organisationen auch schon auf Vorwürfe reagieren, bevor alle Fakten geklärt sind, ich denke da an die #MeToo-Bewegung. Von daher kann ich die Entscheidung der MPG nachvollziehen.
Die Mitarbeiter und Nikos Logothetis hätten sich gewünscht, dass die MPG die sehr persönlichen Angriffe der Tierversuchsgegner massiver verurteilt. Vielleicht hätte eine stärker öffentliche Präsenz in Tübingen die sehr aggressive Stimmung beruhigen können. Denn eines steht fest, was auch immer am Ende die Gerichte entscheiden: Die meisten Vorwürfe gegen den renommierten Hirnforscher Niko Logothetis haben sich nicht bestätigt und trotzdem ist die sehr erfolgreiche Forschung an Primaten in Tübingen beendet worden.
Die Mitarbeiter und Nikos Logothetis hätten sich gewünscht, dass die MPG die sehr persönlichen Angriffe der Tierversuchsgegner massiver verurteilt. Vielleicht hätte eine stärker öffentliche Präsenz in Tübingen die sehr aggressive Stimmung beruhigen können. Denn eines steht fest, was auch immer am Ende die Gerichte entscheiden: Die meisten Vorwürfe gegen den renommierten Hirnforscher Niko Logothetis haben sich nicht bestätigt und trotzdem ist die sehr erfolgreiche Forschung an Primaten in Tübingen beendet worden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.