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Nach US-Kongresswahlen
"Ich sehe mehr Zusammenarbeit"

US-Präsident Obama wird nach den US-Kongresswahlen mehr Kompromisse suchen müssen, glaubt der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Das werde Obama aber nicht leicht fallen - auch weil die Republikaner inhaltlich zerrissen seien und kein Programm hätten.

John Kornblum im Gespräch mit Bettina Klein | 05.11.2014
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Über das Wahlergebnis ist Kornblum nicht überrascht - es sei wie erwartet ausgefallen. Die sogenannten "midterm elections" seien schon immer eine Abstimmung über die Politik des Präsidenten gewesen.
    Nun müsse Obama in seiner verbleibenden Amtszeit versuchen, "zu retten, was er retten kann". Aus Kornblums Sicht sind dafür Kompromisse nötig. Das werde für Obama aber schwer, "weil er kein Mensch der Kompromisse ist".
    Andererseits gebe es aber auch aufseiten der Republikaner Probleme. Die Partei sei zerrissen - wie etwa die Strömung der konservativen "Tea Party"-Bewegung zeige. Zudem fehle den Republikanern ein Programm. Sie hätten ihren Wahlkampf gegen Obama ausgerichtet, aber nicht gesagt, wofür sie stünden, so Kornblum.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, politisch den Demokraten nahestehend. Ich grüße Sie, Herr Kornblum.
    John Kornblum: Guten Morgen.
    Klein: Wie schwer enttäuscht sind Sie heute Morgen, oder waren Sie darauf vorbereitet?
    Kornblum: Nein, ich bin nicht enttäuscht. Die Ergebnisse sind mehr oder weniger wie zu erwarten etwas stärker Richtung Republikaner. Aber ich glaube, das Ergebnis hat sich schon angezeigt in den letzten Wochen, und es ist gekommen, wie man es erwartet hatte.
    "Obama ist kein Mann der Kompromisse"
    Klein: Wir haben es angesprochen: Mitch McConnell hat bereits zur Kompromissbereitschaft aufgerufen. Sehen Sie das in den kommenden Monaten und zwei Jahren zwischen Kongress und Weißem Haus?
    Kornblum: Ich sehe wahrscheinlich mehr Kompromisse und mehr Zusammenarbeit. Es hängt auch sehr viel von Obama ab. Er muss jetzt versuchen, das zu retten, was er retten kann, und auch sein Bild für die Geschichte fertig zu malen. Er ist in letzter Zeit nicht sehr kompromissbereit gewesen, und das ist ein Teil seines Problems gewesen. Wir werden sehen. Beide Seiten sagen, sie wollen zusammenarbeiten. Für die Republikaner wird es schwierig sein, weil sie immer noch intern sehr zerrissen sind und auch keine Agenda haben. Sie müssen irgendwie jetzt aus dem Nichts ein Programm zusammenstellen. Und für Obama wird es schwierig sein, einfach weil er kein Mensch der Kompromisse ist.
    Klein: Es wird ja erwartet, dass er in den nächsten Stunden, also im Laufe dieses Mittwochs in Washington vor die Presse treten wird. Was glauben Sie, wie wird er konkret reagieren?
    Kornblum: Na ja, er wird natürlich zuerst sagen, dass es schade ist, was passiert ist, dass er aber die Stimme der Wähler sozusagen gehört hat, und er wird sagen, er wird bereit sein, mit den Republikanern zusammenzuarbeiten. Er hat keine andere Wahl!
    Klein: Wir haben es angedeutet, Sie haben es auch gesagt: Selbst aus dem eigenen Lager, auch aus dem Weißen Haus hört man Unzufriedenheit darüber, dass er zu wenig den Weg zur anderen Seite gesucht habe, dass er sich eingemauert habe, wie man jetzt auch gerade aus Washington noch mal gehört hat. Wie schwer trifft ihn die Schuld tatsächlich, ihn persönlich auch und sein politisches Handeln, an den Ergebnissen des gestrigen Tages?
    Kornblum: Na ja, diese Zwischenwahl, Midterm Elections, wie sie heißen, sind meistens immer ein Referendum über den Präsidenten selber. Das ist immer der Fall. Um es ein bisschen in Kontext zu bringen, muss man nicht vergessen: Die Partei des Präsidenten verliert fast immer in diesen Midterm Elections, fast immer. Es gibt nur wenige Ausnahmen.
    Klein: Also war es unvermeidlich Ihrer Meinung nach?
    Kornblum: Nein, natürlich nicht unvermeidlich. Aber das Ausmaß des republikanischen Sieges war natürlich vermeidlich. Aber das ist genau der Punkt. Wenn Sie die sogenannten exit poll der Leute, die befragt worden sind, nachdem sie gewählt haben, lesen, dann sehen Sie, dass national gesehen nach Parteizugehörigkeit 41 Prozent Demokraten gesagt haben und nur 38 Prozent Republikaner. Das heißt, das Land ist immer noch mehr oder weniger geteilt, wie es immer geteilt ist, politisch gesehen. Der Unterschied hier war tatsächlich Obama. Das sagt jeder Kommentar. Jede exit poll sagen, dass die Wähler mit dem Präsidenten sehr unzufrieden waren.
    "Jetzt hat er nur das Weiße Haus"
    Klein: Und rechnen Sie damit, dass er seine Haltung und sein Verhalten noch ändern wird?
    Kornblum: Das werden wir mal sehen. Seine Parteikollegen haben ihn seit zwei, drei Jahren gebeten, angefleht, wenn Sie wollen, angesichts dieser Wahlen sein Verhalten zu ändern, und er hat es nicht getan. Er scheint, nicht in der Lage zu sein, Kompromisse zu schließen. Wir werden jetzt sehen. Bisher hatte er nicht nur das Weiße Haus, sondern den Senat. Jetzt hat er nur das Weiße Haus. Das ist immer noch natürlich die stärkste Machtposition in der amerikanischen Regierung. Dies ist immer noch das Weiße Haus. Er hat ziemlich viele Möglichkeiten, auch Kompromisse zu machen. Wir werden sehen, ob er dazu bereit ist.
    Aber die Republikaner sind auch nicht besonders gut dran. Die haben jetzt gewonnen, das ist sehr gut, aber sie sind eine sehr geteilte Partei. Es gibt immer noch eine Fraktion der Tea-Party darin, weniger, aber immer noch da. Aber noch wichtiger ist: Sie haben kein Programm vorgestellt. Sie wissen nicht, wofür sie sind. Sie haben gewonnen, weil sie gegen den Präsidenten und gegen einige seiner Initiativen waren. Jetzt müssen sie auch zeigen, dass sie was Positives machen können.
    Klein: Sie haben zurecht festgestellt, dass die Zwischenwahlen immer eine Art Abrechnung auch mit den amtierenden Präsidenten sind.
    Kornblum: Ja!
    Klein: Kann man so weit gehen und sagen, das politische Pendel schwingt in den Vereinigten Staaten langsam, aber sehr sicher wieder nach rechts?
    Kornblum: Nein, das kann man nicht sagen. Das ist, glaube ich, genau der Punkt. Erstens: Es ist eine Abstimmung über den Präsidenten. Zweitens: Die Parteizugehörigkeit steht mehr oder weniger wie sie ist. Aber drittens: Die Republikaner wissen sehr wohl, dass die Mathematik der Wahlgesetze gegen sie ist bei den Präsidentenwahlen. Das hat mit den electoral cowards zu tun. Sie wissen auch, dass sie im Moment kein Programm vorzuweisen haben, und es gibt viele Punkte, wo die Mehrheit der Bevölkerung nicht auf ihrer Seite ist. Das heißt, sie müssen jetzt sehr, sehr geschickt sein, um diese Wahl, die eigentlich, wie Sie gesagt haben, eine Wahl gegen den Präsidenten ist, in ein Programm für die Republikaner umzuwandeln. Das wird schwierig sein.
    "Wahl ist kein nationales Referendum über dieses oder jenes"
    Klein: Das heißt, Sie erwarten jetzt auch nicht inhaltlich - das ist ja eine Frage, die auch hier von Deutschland aus immer wieder interessant erscheint und diskutiert wird - eine Verschiebung der politischen Debatten in eine, mit deutschen Begriffen gesagt, rechte Richtung?
    Kornblum: Eigentlich nicht. Nein! Interessant ist, dass die Tendenzen in den Bundesstaaten wo auch teilweise Republikaner gewonnen haben. Nehmen wir Colorado zum Beispiel, wo ein republikanischer Kandidat gegen einen sehr beliebten demokratischen Senator gewonnen hat. Colorado hat vor neun Monaten oder so Marihuana legalisiert. Die eingeschlechtliche Ehe ist auf dem Vormarsch überall im Lande etc. etc. Das heißt, diese Wahl ist wichtig, man soll sie auch ernst nehmen, aber man kann es nicht als ein nationales Referendum über dieses oder jenes sehen.
    Klein: Wir werden schon ein wenig historisch in diesen Tagen und Stunden. Es ist ja die letzte Wahl mit einem wirklich amtierenden Präsidenten Obama. Um ihn ging es nicht. Aber natürlich, das hat er selber gesagt: er stand ja irgendwie dann doch auch auf den Wahlzetteln. Wenn wir das jetzt alles in den Kontext stellen, Abrechnung mit Obama, ist es eine gerechte Strafe für den Präsidenten, auch historisch betrachtet, was wir da erlebt haben?
    Kornblum: Na ja, jetzt rede ich über meine persönliche Haltung dazu. Ich war vor fast acht Jahren, vor sieben Jahren, als er gewählt wurde, eigentlich nicht so glücklich. Ich war glücklich, weil ein Afroamerikaner gewonnen hatte. Ich war aber nicht so glücklich, weil ich ihn in demselben Rahmen sah wie Jimmy Carter. Jimmy Carter war sehr ähnlich mit Obama. Er hat dieselben Probleme gehabt. Er ist nach einer Amtszeit abgewählt worden. Er hatte auch endlose Probleme mit Europa, endlose Probleme mit Russland gehabt, weil er genau wie Obama als - das ist ein starkes Wort - Erlöser gewählt wurde nach einer Phase der großen Schwierigkeiten. Damals war es Nixon und Vietnam, dieses Mal war es George Bush und Irak. Die Amerikaner sind nicht parteigebunden, wie Sie wissen, die Parteien sind sehr schwach, und die wählen sehr oft nach der Laune oder nach den Emotionen. Obama wurde gewählt, um die, wenn Sie so wollen, ...
    Klein: Herr Kornblum, spannende Analyse. Wir werden das garantiert noch fortsetzen. Ich danke Ihnen erst mal sehr für Ihre Einschätzungen. Heute Morgen hier im Deutschlandfunk John Kornblum, der frühere US-Botschafter in Deutschland, mit seiner Meinung zu den Ergebnissen der US-Zwischenwahlen gestern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.