Sarah Zerback: Anders als Donald Trump will Hassan Rohani also nicht einfach so ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurück. Stattdessen hat der iranische Präsident dem amerikanischen Präsidenten jetzt psychologische Kriegsführung vorgeworfen und gedroht, die USA würden noch bereuen, die Sanktionen verhängt zu haben, weil sie sich damit weiter isolieren würden. Worte vom Präsidenten eines Landes, das seinerseits versucht, nicht weiter isoliert zu werden. Ein Land, das meine Gesprächspartnerin sehr gut kennt: Katajun Amirpur ist Islamwissenschaftlerin und Iranistin, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Amirpur!
Katajun Amirpur: Guten Morgen, Frau Zerback!
Zerback: War das jetzt vor allem eine Botschaft an den US-Präsidenten oder an die eigene Bevölkerung?
Amirpur: Auch an die eigene Bevölkerung vor allem, denke ich. Man möchte signalisieren, dass man durchaus gesprächsbereit ist. Man wiederholt, dass man ja selber eigentlich keine Schuld trage am Scheitern des Atomabkommens und möchte damit die eigene Bevölkerung, die sehr aufgebracht ist, weil sie nun wirklich merkt, was die Sanktionen bewirken, schon bevor die Sanktionen in Kraft getreten sind. Diese Bevölkerung möchte man etwas besänftigen.
Unzufriedenheit in der Bevölkerung
Zerback: Und glauben Sie, diese Botschaft ist angekommen? Konnte er seine Landsleute beruhigen?
Amirpur: Ich glaube, nicht. Schon seit mehreren Monaten merken wir ja immer mehr von Protesten. Im Januar gab es eine ganz große Welle von Protesten, die sind zwar abgeebbt, weil sie niedergeschlagen wurden, aber man hat immer wieder davon gehört, dass es Brotunruhen gab, dass es Unruhen gab, weil das Wasser abgestellt wurde, aus den verschiedensten Gründen. Und die Menschen insgesamt sind sehr frustriert, sehr unzufrieden. Die Währung befindet sich eben tatsächlich im freien Fall. Seit April hat der Rial zweidrittel seines Werts verloren. Das ist sehr spürbar für die Menschen und die haben große Sorge, was jetzt noch die Zukunft bringen wird.
Zerback: Glauben die dieser Erzählung nicht mehr, dass dafür eben der Erzfeind USA verantwortlich ist und nicht die eigene Regierung?
Amirpur: Nicht nur. Man sagt natürlich schon auch, es liegt an den USA, es liegt an den Sanktionen, es liegt daran, dass, obwohl der Atomvertrag bestanden habe, es nicht direkt so umgesetzt werden konnte, dass es wirklich spürbar war an Verbesserungen für die Menschen. Das wirft man schon den USA vor, was da dieser jahrelange Boykott bewirkt hat in der Vergangenheit. Aber man ist sich schon auch bewusst, dass das auch eigene Misswirtschaft und eigene Korruption ist, dass viele der ganzen Probleme hausgemacht sind und dass es nicht sehr viel Unterschied macht, ob es da Sanktionen gibt oder ob es sie nicht gibt.
"Man hat sich sehr viel von Rohani erhofft"
Zerback: Sie sind ja immer wieder im Land, auch vor einem Monat das letzte Mal. Wie erleben Sie denn den Iran? Wie viele Unterstützer hat das Regime denn dann tatsächlich noch?
Amirpur: Was die wirtschaftliche Lage, die immer schlechter wird, anbelangt, in dem Sinne natürlich sehr viel weniger als noch vor einigen Jahren. Man hat sich sehr viel erhofft von diesem Atomabkommen, man hat sich sehr viel von Rohani erhofft. Aber der konnte eben nicht liefern. Und schon im Januar war sehr häufig zu hören, unter dem Vorgänger, unter Ahmadinedschad ging es uns wirtschaftlich einfach besser. Und wenn man dann erwidert hat, ja, mein Gott, aber diese ganzen Tiraden, die er geschwungen hat, diese Hetze gegen Israel, das war doch fürchterlich, was da ankam im Ausland, da sagten die Leute, gut, aber am Ende des Tages hatten wir wenigstens mehr Geld in der Tasche und konnten uns Fleisch kaufen. Das können wir heutzutage nicht mehr. Und dann wollen wir eher jemanden haben, der uns das bieten kann. Da war man schon sehr desillusioniert gegenüber Rohani. Und jetzt fanden die es noch mal schlimmer, weil man tatsächlich auch sehr viele Befürworter dieses Trump‘schen Kurses gehört hat, vor allem unter jungen Leuten. Und es scheint sich da wirklich so ein Graben zwischen den Generationen aufzutun, dass die jungen Leute, die die Revolution eben auch nicht mehr miterlebt haben von '78/'79, dass die sagen, ja nun, dann ist es eben so. Wir haben so viel auf Reformen gesetzt, wir haben so viel vertraut darauf, dass wirklich was passieren kann von innen heraus. Aber es hat alles nicht gefruchtet, und dann muss es vielleicht wirklich mal zu diesen harten Maßnahmen kommen. Dass eben aufgrund von solchen harten wirtschaftlichen Sanktionen, von so einer schlimmen wirtschaftlichen Lage die Menschen auf die Straße gehen und dann eben eventuell das Regime stürzen.
Zerback: Das könnte tatsächlich dem Regime gefährlich werden, die aktuelle Situation?
Amirpur: Die wirtschaftliche Lage auf jeden Fall, ja. Wenn das jetzt so weitergeht und im November dann noch die Sanktionen kommen, die den Ölsektor betreffen, das könnte schon sehr gefährlich werden, was da noch alles kommen kann. Die Lage ist ja jetzt schon fürchterlich, und ja, das ist eigentlich kaum noch zu toppen. Aber wenn das passiert, dann weiß man wirklich nicht, was die Menschen machen. Es ist natürlich tragisch, dass die Jugend auf eine solche Form von Regime-Change setzt, also letztlich das machen möchte, was Trump ja eigentlich auch will. Aber man kann es auch irgendwo verstehen. Die Leute sind einfach wahnsinnig frustriert, weil so viel versucht wurde, so viel Vertrauen gesetzt wurde in den schleichenden Reformprozess und einfach zu wenig passiert ist. Man kann nicht sagen, dass nichts passiert ist, man merkt es auch an der Atmosphäre im gesellschaftlichen Alltag. Das ist deutlich lockerer als noch vor einigen Jahren. Aber es sind eben nicht die großen Dinge geschehen, die angekündigt worden sind, weder im gesellschaftlichen noch im politischen noch im wirtschaftlichen Bereich.
Regime versucht, Proteste im Keim zu ersticken
Zerback: Aber für einen Regime-Change oder einen persischen Frühling, wie auch immer man das nennen möchte, braucht es ja auch eine gewisse vielleicht Koordination? Es ist ja in der Vergangenheit auch daran gescheitert eben, dass das Regime natürlich immer mit aller Härte immer wieder auf die Proteste reagiert hat. Lässt sich denn dieser Protest jetzt unter diesen Umständen auch koordinieren und zum Erfolg führen?
Amirpur: Das ist schwer zu sagen. Es sind ja schon einige Personen, die das vielleicht hätten machen können, auf die man gesetzt hat, die Nasrin Sotoudeh beispielsweise ist eingesperrt worden schon mal, in weiser Voraussicht vermutlich. Das Regime rechnet durchaus damit, dass das passieren kann. Und der Weg, es zu unterbinden, wird das sein, wie man immer reagiert hat, wie man auch im Januar reagiert hat. Man wird dann ganz brutal zuschlagen und diese Proteste schon ganz früh und im Keim zu ersticken versuchen. Aber trotzdem, obwohl der iranische Sicherheitsapparat sehr gut gerüstet ist, obwohl es die Revolutionswächter und die Basij gibt – wenn dann die wirtschaftliche Lage tatsächlich so verheerend ist, wie sie werden könnte, dann wird das natürlich ein sehr großer Unruheherd werden. Aber es wird nicht glimpflich abgehen, und es wird nicht ohne sehr viel Blutvergießen abgehen. Und es ist natürlich auch brandgefährlich, weil Iran ein Vielvölkerstaat ist. Das war schon im Januar eines der großen Schreckensszenarien, das man gemalt hat, weil sich da eben gerade die Provinzen, die Menschen in den Provinzen angefangen haben, sich zu bewaffnen. Und wenn es da losgeht, wenn sich die Kurden, die Balutschen, die Turkmenen zu bewaffnen anfangen, dann wird es wirklich – könnte es sehr schlimm werden, weil dann wirklich auch ein ethnischer Bürgerkrieg droht.
Zerback: Jetzt sagen Sie, erste Proteste im Keim ersticken. Jetzt haben wir in den letzten Tagen zumindest schon mal Hunderte Demonstranten in mehreren Städten gesehen. Gibt es da schon Meldungen, dass dagegen hart vorgegangen wurde?
Amirpur: Mehr oder minder. Es gibt ja schon einen Toten nach den Protesten, und man wird sich das als leise Proteste noch eine Weile angucken. Aber wenn es dann mehr werden wird, dann hat man in der Vergangenheit gesehen, dass das Regime sehr radikal zuschlägt.
Hoffnung auf Unterstützung der EU
Zerback: Und auch zum Beispiel die Berichterstattung, das Internet einfach mal abdreht.
Amirpur: Genau. Das gehört dann auch immer dazu, damit sich die Leute untereinander nicht vernetzen können, damit man sich untereinander keine Informationen geben kann, wann sich wo getroffen wird und was da genau passiert ist. Auch das zählt ja zu den normalen Mitteln, die wir in der Vergangenheit immer wieder beobachtet haben, wie man sich dagegen zur Wehr setzt.
Zerback: Was erwarten, was erhoffen sich vielleicht auch die Iranerinnen und Iraner denn jetzt von Deutschland, von der EU?
Amirpur: Auf der einen Seite erhofft man sich schon, dass die EU einspringt, wie sie das ja auch angekündigt hat, wie sie ja auch wirklich Pakete vorgeschlagen hat, wie das gehen könnte. Aber es gibt eben tatsächlich auch Stimmen, und da bin ich wieder bei der Jugend, die so frustriert ist und einen anderen Weg einschlägt oder anders denkt, die sagen also, Deutschland macht sich da letztlich zum Handlanger des Regimes, wenn es versucht, diesen Deal noch irgendwie zu retten, weil es dann auch zum Bestand des Regimes beiträgt, und das solle es doch möglichst nicht, sondern da solle möglichst mal was passieren. Also auch diese Stimmen hat man durchaus gehört. Es sind sicherlich Minderheitsstimmen, aber es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich da die ältere Generation tickt, die die Revolution erlebt hat, die eben auch gesehen hat, man kann vom Regen in die Traufe kommen, wenn so etwas passiert. Es ist nicht ganz so einfach, einfach mal eine Revolution zu machen, und dann wird alles besser. Und den jungen Leuten, die einfach sehen, sie haben keine Perspektive mehr, und dann soll es eben mal den Bach runtergehen, damit es dann hoffentlich besser wird am Ende.
Zerback: Katajun Amirpur, Professorin für Iranistik an der Uni Köln. Besten Dank für das Gespräch heute Morgen!
Amirpur: Danke Ihnen!
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