Der designierte US-Präsident Joe Biden und der noch amtierende US-Präsident Donald Trump geben sich dieser Tage noch unterschiedlicher, als sie ohnehin schon sind. Biden, von Staatsmännern und –frauen weltweit als "president elect" anerkannt, zeigt Verständnis für die enttäuschten Trump-Wähler, holt Meinungen von Corona-Experten ein und reicht dem gegnerischen Lager symbolisch die Hand. Donald Trump hingegen erkennt seine Niederlage nicht an, verzieht sich auf den Golfplatz, geht also auf Tauchstation. Von dort bringt er seine Anwälte in Stellung und entlässt unliebsames Personal: Er hat Verteidigungsminister Mike Esper kurzerhand gekündigt.
Die Historikerin Ute Frevert hat in Yale gelehrt, kennt die USA aus eigener Erfahrung und forscht und publiziert unter anderem zur Politikgeschichte der Moderne und zur Emotionsgeschichte. Trumps Reaktion hat sie nicht anders erwartet:
"Trotz würde ich es nicht nennen", sagte sie im Dlf. "Er ist ja ein Spieler seiner selbst." Doch die Rolle des Verlierers kenne er nicht, sagt Frevert. "Ich kann allen auf die Füße treten und bin selbst unverwundbar – diese Rolle spielt er jetzt auch wieder."
Problematisch: das Verhalten der Republikanischen Partei
Doch als viel problematischer als das Verhalten Trumps ist für Frevert das der Republikanischen Partei. Ganz wenige Repräsentanten der Republikaner hätten Joe Biden gratuliert. Kaum einer von ihnen tue, was die Ordnung der Ding erfordere und Tradition der letzten 200 Jahre nach einer Wahlniederlage sei. Es entsteht der Eindruck, so Frevert, dass im Hintergrund versucht wird, den Prozess des Neubeginns zu verzögern oder sogar zu hintertreiben.
"Ich glaube, dass Trump und seine Partei diese schreckliche Niederlage als solche an sich noch gar nicht begreifen. Es ist für sie Fake News", sagte Frevert. Sie hielten sich fest an einem Szenario, das schon früh skizziert worden sei, nämlich dass ein Wahlsieg der Demokraten nur aufgrund deren "finsterer Machenschaften" möglich sei. Dafür bringe man sich und die Wählerschaft in Stellung. Diese Haltung sei "wahnsinnig gefährlich", betont die Historikerin Ute Frevert.
Vor diesem Hintergrund sei das Versöhnungsangebot Joe Bidens vergeblich. Viele in der Partei und auch die Anhänger der Republikaner wollten sich ihre Rechte nicht wegnehmen lassen, glaubt Frevert. Da gebe es gar keine Resonanz auf Bidens Angebot. Man sage auch nicht: "Okay, wir haben das demokratische Spiel verloren, vielleicht gewinnen wir es in vier Jahren wieder." Nein - es ist ein existenzieller Kampf, es sei ein Krieg.
Solange Trump nicht seine sogenannte "Concession Speech" gehalten habe und damit den Vorgang der Machtablösung ermöglicht, sieht Ute Frevert in ihm auch keine "lame duck". [Anmerkung der Redaktion: Als sogenannte 'lame duck' wird im politischen System der Vereinigten Staaten ein Präsident oder anderer Politiker bezeichnet, der noch im Amt ist, aber nicht zu einer Wiederwahl antritt bzw. eine Wahl verloren hat. Er gilt insbesondere innenpolitisch als handlungsunfähig. Quelle: Wikipedia]
Radikalisierung gesellschaftlicher Gefühle
Trump und die Republikanische Partei würden mit allen legalen Tricks versuchen, an der Macht zu bleiben, glaubt Ute Frevert. Die nächsten Wochen würden zeigen, wie weit Trump dabei gehen werde.
"Es ist eine hochspannende Zeit, aber nicht so sehr wegen der Emotionen von Donald Trump und Joe Biden, sondern wegen der Emotionen, die Trump seit vier Jahren geschafft hat zu halten", erläutert die Historikerin. Emotionen, die sich gegen "das furchtbare Establishment und die furchtbaren Demokraten" richteten, die Amerika verändern wollten und gegen die man etwas zu verteidigen habe. Man könne von einer Zeit der Radikalisierung der gesellschaftlichen Gefühle sprechen, erläutert Frevet. Das sei "in Verbindung mit der Liebe vieler Amerikaner zu den Waffen" schon beunruhigend, sagte die Historikerin.
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