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Nachbarschaftshilfe im Quartier

Alte, alleinstehend Menschen wollen und sollen möglichst lang in ihrem vertrauten Umfeld leben können. Wie sie dabei am besten unterstützt werden, das erprobt ein Projekt des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe.

Von Anja Arp |
    "Wir sind jetzt auf der, auf der anderen Bahnseite des Stadtteils. Nämlich Mülheim-Styrum, im Mülheimer Norden liegend. Wird geteilt von der Bahnstrecke und wird eingefasst von der Autobahn. So könnte man es sagen. Und die Styrumer haben eine hohe Identifikation mit ihrem Stadtteil. Und wir merken das in diesen beiden Teilen Styrums."

    Ortstermin mit Jörg Marx vom örtlichen Sozialamt. Er koordiniert das Projekt "Unterstützungskonzepte im Quartier" im Stadtteil Styrum in Mülheim an der Ruhr:

    "Die Struktur ist wie in vielen nördlichen Stadtgebieten des Ruhrgebiets ursprünglich geprägt von einer Arbeiter-, also von einer Arbeiterklasse, muss man sagen. Ausgehend davon, dass viele Menschen auch durch Anwerbeabkommen hierhergekommen sind. Wir haben hier einen großen Anteil türkischer, türkischstämmiger Menschen. Und wir haben im Gegensatz zur Gesamtentwicklung in der Stadt, Mülheim ist die Stadt mit dem höchsten Personenanteil älterer Menschen im Ruhrgebiet oder in Nordrhein-Westfalen sogar, haben wir es hier mit einer gegenläufigen Tendenz zu tun. Was wir als Stadt sehr positiv finden. Wir haben hier viele Kinder, viele Familien. Aber eben auch viele alte Menschen."

    In dem gewachsenen Arbeiterviertel gibt es zahlreiche soziale Probleme. Nicht zuletzt deshalb hat die Arbeit im Quartier hier Tradition. So gibt es zum Beispiel schon lange einen Nachbarschaftsverein und den Styrumer Treff. Der lebendige Stadtteil erinnert Jörg Marx in Teilen an Berlin-Neukölln:

    "Offenbar ist es so, dass dieser Stadtteil dann wiederum, gerade für die türkische Bevölkerung interessanter ist, also lebendiger ist oder mehr Möglichkeiten bietet. Und die älteren Menschen sind eingefleischte Styrumer noch. Also ganz viele. Zwischenzeitlich auch eingefleischte Styrumer mit Migrationshintergrund. Und da erleben wir eben, dass sie nicht weg wollen. Und von daher arbeiten wir natürlich daran, dass man möglichst lange in seinen eigenen vier Wänden wohnen bleiben kann."

    So hat der Nachbarschaftsverein zum Beispiel einen Fahrdienst für ältere Menschen eingerichtet, der sie für ganze drei Euro zum Arzt fährt und wieder abholt. Genau solche Unterstützungskonzepte will das Forschungsprojekt vom Kuratorium Deutsche Altershilfe, kurz KDA, fördern. Ganz nach dem Motto: Es gibt nichts, was man nicht noch besser machen könnte. Heiko Rutenkröger ist Pflegewissenschaftler und leitet das Projekt, das vom Bundesgesundheitsministerium finanziert wird:

    "Das heißt, wir haben funktionierende Netzwerke gesucht. Die wurden dann ausgeschrieben, die haben sich beworben. Wir haben geschaut: Sind es denn Quartiersnetzwerke, die schon gute Strukturen haben, die schon miteinander gut zusammenarbeiten, gut vernetzt sind. Und wollen mit diesen gut vernetzten Quartieren jetzt erproben, wie erreichen wir denn die genannten Zielgruppen, die Gefahr laufen eben nicht erreicht zu werden."

    Gerade alte, alleine lebende Menschen neigen häufig dazu, sich zurückzuziehen. Nachbarschaftliches Engagement im Quartier kann da helfen:

    "Es gibt immer mehr Ausgrenzungstendenzen. Und das betrifft nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, nicht nur behinderte Menschen, sondern es trifft eben auch alte Menschen, die einen auffallenden Hilfebedarf haben. Das heißt, dass alte Menschen mit solchen Hilfebedarfen laufen Gefahr, irgendwo durchs Netz zu fallen. Das heißt, sie laufen Gefahr, einsam zu werden, sie laufen Gefahr, mit ihrem Hilfebedarf alleine zu bleiben. Sie laufen auch Gefahr, zu verwahrlosen. Und ein Netzwerk vor Ort, ein Netzwerk im Quartier oder im Kiez kann die Möglichkeit schaffen, diesen Menschen auch mitzunehmen und aufzufangen und in der Gemeinschaft zu halten. Sodass sie nicht eben völlig isoliert ihren Lebensabend verbringen müssen."

    Das KDA hat sich ganz unterschiedliche Quartiere zum Beispiel in Dortmund und im Saarland für sein Forschungsprojekt ausgesucht. Der Stadtteil Styrum in Mülheim an der Ruhr ist auf Grund seiner sozialen Struktur und seiner hervorragenden Stadtteilarbeit mit von der Partie. Das gesamte Projekt läuft noch bis Oktober und wird dann ausgewertet:

    "Das KDA ist dafür da, dass wir die Ergebnisse unserer Projekte nicht in der Schublade verschwinden lassen, sondern die sollen natürlich Impulse geben für die Versorgungslandschaft. Impulse geben anhand von guten Beispielen, wo man sagt, das und das hat funktioniert. Und in diese Richtung kann man tatsächlich gehen, mit Erfolg. Dass diese eben Modellcharakter haben, einen Ausstrahlungscharakter, vielleicht für andere oder mit Sicherheit für andere Quartiere. Wir hoffen natürlich bundesweit."

    So findet vielleicht auch der Bürgerbus aus Styrum Nachahmer:

    "Eine ganz phantastische Geschichte. Mit über 30 Freiwilligen, die als Fahrer fungieren, fährt dieser Bürgerbus feste Haltestellen an. Und das ist für ältere Menschen natürlich hervorragend. Die sozusagen direkt vor der Haustür dann mitfahren können. Und der Bürgerbus fährt den ganzen Tag über. Und fährt gerade die Geschäfte an. Es gibt hier, wir fahren da gleich mal vorbei, so ein kleines Marktcenter. Das liegt auch ein kleines bisschen außerhalb. Das kann man sozusagen, wenn man kein Auto hat, nicht gut erreichen. Und der Bürgerbus fährt da vorbei und bringt die Leute dorthin und holt sie wieder ab."
    Und dann steuern wir die Seniorentagestätte im Schloss Styrum an. Im Wintergarten sitzt der 73-jährige Rentner Manfred aus dem Siepen und liest Zeitung. Weil er sich zu Hause zu alleine fühlt, kommt er jeden Tag her:

    "Jeden Tag zweimal, morgens und abends."

    Hier trifft der ehemalige Arbeiter in der Industrieverpackung Freunde:

    "Bin alleine zu Hause. Immer so alleine, ne, war nie verheiratet. Ist man eben so."

    Im Schloss Styrum werden demnächst im Rahmen des KDA-Projekts auch runde Tische zum Thema Demenz stattfinden. Solche Gesprächsrunden können zum Beispiel für pflegende Angehörige eine wichtige Anlaufstelle sein. Heiko Rutenkröger:

    "Es geht in erster Linie darum, Gruppen, die Gefahr laufen, nicht von Netzwerken erfasst zu werden, zu unterstützen. Wir haben da vier Gruppen identifiziert. Das sind Personen, die sehr wenige soziale Kontakte haben. Personen, die Probleme mit Inkontinenz haben. Personen, die schlecht hören und schlecht sehen. Und Personen, die Verwahrlosungstendenzen aufweisen. Verwahrlosungstendenzen gehen meist sowieso einher mit Rückzugstendenzen."

    Inkontinenz ist zum Beispiel ein absolutes Tabuthema, das mit viel Scham besetzt ist. Gemeinsam mit dem schon lange bestehenden Styrumer Nachbarschaftsverein und anderen Netzwerkgruppen vor Ort soll das Thema im Rahmen des KDA-Projektes aktiv angegangen werden. Jörg Marx:

    "Es gibt Menschen, die inkontinent sind und die sich nur deshalb nicht mehr auf die Straße trauen, weil sie wissen, dass sie gleich eine Toilettenanlage aufsuchen müssen. Und wahrscheinlich machen wir uns keine Vorstellung davon, unter welcher Problemstellung diese Menschen leben. Wenn es uns gelingt, beispielsweise denjenigen, die in einem Stadtteil leben, öffentliche Einrichtungen, Toiletten zur Verfügung zu stellen. Das müssen nicht nur öffentliche Einrichtungen sein. Es könnte auch eine Bäckerei sein beispielsweise. Wenn es gelingt also, die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren. Dann, glaube ich, hätten wir schon einen großen Erfolg."